Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen

 
Autor: Valentin Hoffmann
Ort: München, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion, Extremismus,  Technologie
Datum: 29.05.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca. 12 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Corona und die Verschwörungen

  

 

Corona und die Verschwörungen

 

Sargon Gross – Thebing ist Zellbiologe, hat einen nahöstlichen Hintergrund, forscht auf verschiedenen Ebenen und betrachtet das Verhalten mancher Verschwörungstheoretiker aus der sehr nüchternen Sichtweise des Wissenschaftlers. Von ihm wollen wir in Erfahrung bringen, weshalb gerade nahöstliche Kulturen einen Hang haben sich, gerade jetzt in der Corona – Krise, Verschwörungstheorien hinzugeben.

Herr Groß – Thebing ist Mitglied im ZOCD.

 

1. Herr Groß -Thebing, sind Sie ein gläubiger Mensch? 

Ja, ich würde mich als gläubigen Menschen bezeichnen. 

 

2. Gibt es einen Widerspruch zwischen ihrer akademischen Forschung und Ihrem Glauben?

Ich bin der Meinung, dass Wissenschaft und Glauben keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig ergänzen, da sie ganz unterschiedliche Fragen stellen. Wissenschaft und Glauben geben aus unterschiedlichen Blickwinkeln Aufschluss über die Welt. Die Naturwissenschaft stellt die “Wie-Fragen”: Wie funktioniert die Welt, welchen naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten unterliegt sie?, etc..

Der Glaube stellt die “Warum-Fragen”: Warum ist etwas entstanden? Der Glaube fragt nach dem Grund, nach dem Sinn des Lebens, nach den moralischen Maßstäben... Diese Fragen können wir als Naturwissenschaftler nicht beantworten. Genauer gesagt, steht uns gar nicht zu, solche Fragen zu beantworten, da wir hierfür nicht zuständig sind. Kurzum, Naturwissenschaft ist nicht kompetent für die Warum-Fragen, wie der Glaube nicht zuständig ist für die Wie-Fragen.

 

3. Was ist der Inhalt Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?

Ich promoviere im Bereich der biomedizinischen Zellbiologie, in der ich mich im Grenzgebiet der Krebsforschung mit der Zellwanderung beschäftige. Ich möchte besser verstehen, wie sich Zellen im Körper eines Lebewesens fortbewegen. Die Fortbewegung bzw. Wanderung von Zellen ist für viele Prozesse in unserem Körper lebensnotwendig. Zellen wandern einerseits, um Infektionen zu bekämpfen, um Wunden zu verschließen und um abgestorbene Zellen zu ersetzen. Andererseits verbreiten sich auch bösartige Krebszellen, indem sie gezielt im Körper wandern. Zu verstehen, wie sich Zellen im Normalfall bewegen, hilft uns zu begreifen, aus welchem Grund sie sich bei Krankheiten ungewöhnlich verhalten und nach Lösungen zu suchen.

Um die Wanderung von Zellen im lebenden Organismus zu untersuchen, nutze ich Zebrafische. Sie eignen sich optimal für die Wissenschaft: Die Fisch-Embryonen entwickeln sich außerhalb des Mutterleibs und sind in den ersten Tagen durchsichtig. Dadurch können wir unter dem Mikroskop die Bewegung von einzelnen Zellen und die Entwicklung von Organen “live” beobachten.

 

4. Ihre Eltern haben einen nahöstlichen Hintergrund, Sie sind in Deutschland auf die Welt gekommen und in verschiedenen Kulturen aufgewachsen. Sind nahöstliche Kulturen anfälliger für Verschwörungstheorien, die z.B. in Verbindung mit dem aktuellen Corona – Virus stehen?

Ob nahöstliche Kulturkreise anfälliger sind für Verschwörungstheorien, vermag ich nicht festzustellen. Ich habe keine Daten bzw. kein Wissen darüber. Mir ist auch in diesem Zusammenhang keine wissenschaftliche Untersuchung bekannt, die spezifisch adressiert, ob nahöstliche Kulturen anfälliger für Verschwörungstheorien sind. Wenn ich mir die nahöstlichen Kulturen etwas genauer anschaue, nehme ich wahr, dass die Menschen aus dem Nahen Osten sehr gläubig sind und eine stark ausgeprägte Religiosität haben. Meines Wissens nach gibt es in der Tat Erhebungen, die vorschlagen, dass religiöse Menschen anfälliger für Verschwörungstheorien sind als nicht-religiöse Menschen. Jedoch würde ich solche Studien mit Vorsicht betrachten. Denn ich könnte beispielsweise auch die Gegenthese aufstellen; dass aufgrund ihrer Religiosität religiöse Menschen weniger empfänglich sind für Verschwörungstheorien: Durch einen starken Bezug zum Glauben erhalten sie Halt, haben sie Gottvertrauen und empfinden ein Gefühl von Sicherheit – Kontrolle, die sie beruhigt. Das Gottvertrauen trägt die Menschen, verleiht ihnen eine positive Lebenseinstellung, die durch noch so schlimme Erfahrungen und Ereignisse nicht erschüttert werden können.

Generell bin ich der Meinung, dass Anhänger von Verschwörungstheorien aus allen Ethnizitäten und Lebensbereichen stammen können. Ich würde dazu tendieren, zu sagen, dass Menschen mit hoher Bildung seltener an Verschwörungstheorien glauben als Menschen mit niedriger Bildung. Meiner Meinung nach gehen mit der Bildung insbesondere die Fähigkeit des analytischen Denkens, die Fähigkeit, Nuancen und subtile Unterschiede zwischen verschiedenen Beurteilungsbereichen zu erkennen, sowie die Tendenz, bewusst über diese Nuancen zu reflektieren, einher. Mit anderen Worten: Menschen mit analytischen Denkfähigkeiten verarbeiten Informationen auf Basis sorgfältiger Reflexion, sodass sie schnell die oft fehlerhafte Argumentation in Verschwörungstheorien entlarven und folglich weniger anfällig sind für solche Theorien. Das Weltbild der Menschen, die an eine Verschwörungstheorie glauben, ist hingegen eher einfach gestrickt und gehorcht der Einteilung in Gut und Böse. Solche Menschen glauben an einfache Lösungen für komplexe Probleme: Es ist einfach für solche Menschen zu glauben, dass Bill Gates das Corona-Virus erschaffen hat, um die Welt zu regieren und die Menschheit durch Zwangsimpfungen zu kontrollieren. Es gibt also einen Schuldigen für die Corona-Pandemie. Das zu glauben wirkt beruhigend und verschafft den Anhängern von Verschwörungstheorien ein Gefühl von Klarheit und Halt.

Um den Bogen zur Ausgangsfrage zu spannen, könnte man sich beispielsweise die Frage stellen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und dem kulturellen Hintergrund gibt. Wenn ich mich spezifisch auf meine Volksgruppe der Suryoye (= Assyrer, Aramäer und Chaldäer) in Deutschland konzentriere, habe ich schon den Eindruck, dass wir im Vergleich zu anderen Volksgruppen einen niedrigeren Bildungsstand haben. Insbesondere in der Generation unserer Eltern und Großeltern finden wir viele Analphabeten und wenige Menschen mit einer umfassenden Ausbildung. Erst die Generation von Suryoye, die in Deutschland aufgewachsen und/oder hier auf die Welt gekommen ist, hatte und hat die Möglichkeit, sich vollumfänglich auszubilden und somit sich u.a. Fähigkeiten wie analytisches Denken, Problem-/Konfliktlösungskompetenzen und Medienkompetenz anzueignen.

 

5. Wie kann man verängstigte Menschen davon überzeugen, sich keinen kruden Theorien hinzugeben, wie z.B. der Auffassung, dass das neue G5-Netz Corona verursacht?

Meines Erachtens nach ist es sehr wichtig, dass die Politik und Wissenschaft transparent und nachvollziehbar kommuniziert, was passiert. Es herrscht derzeit eine sehr große Unsicherheit und Ungewissheit in der Bevölkerung. Hier muss die Politik Sicherheit ausstrahlen, dass alles unter Kontrolle ist, dass alles getan wird, um die wirtschaftlichen Konsequenzen möglichst zu reduzieren. Aktuell machen die politischen Entscheidungsträger keine gute Figur und fördern durch die diversen Alleingänge alles andere als einen Eindruck von Geschlossenheit und Kontrolle. Ich persönlich habe weiterhin großes Vertrauen in unsere politischen Entscheidungsträger und, dass diese ihr Bestmöglichstes tun, sodass wir die gegenwärtige Zeit gut überstehen.

Meiner Meinung nach ist es ebenso wichtig, Hoffnung zu stiften, unter anderem auch, um die psychische Gesundheit von Menschen zu stärken, die gerade unter diesen enormen Ängsten leiden. Im Umgang mit Verschwörungstheoretikern und -anhängern besteht die Herausforderung darin, einen Dialog auf Augenhöhe mit den Personen zu führen, die an Verschwörungstheorien glauben und sie nicht herablassend zu behandeln. Durch solch einen “empathischen Ansatz” besteht die Möglichkeit, die Aufgeschlossenheit von Verschwörungstheoretikern zu erweitern.

 

6. Welche Gefahr sehen Sie in der unreflektierten Ausbreitung wirrer Verschwörungen?

Ich denke schon, dass Verschwörungstheorien unmittelbar gefährlich sein können, da sie zu Gewalt inspirieren. Im Zusammenhang mit der “5G-Verschwörung” kam es beispielsweise in den Niederlanden und Großbritannien zu etlichen Brandanschlägen auf Funk- und Telefonmasten. Weiterhin nutzen Rechtsextreme Verschwörungstheorien, um vermeintlich Schuldige zu finden. Sie haben die rassistische Vorstellung, dass die westliche Welt angeblich von Menschen aus islamisch geprägten Ländern überrannt wird. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass solche Verschwörungen zu Hasskriminalität und Terroranschlägen führen können, wie etwa der Mord an CDU-Politiker Walter Lübke oder die Attentate von Halle, Hanau und Christchurch.

 

7. Welche Verhaltensweisen raten Sie Ihren Glaubensgeschwistern?

Verschwörungstheorien basieren auf Falschinformationen und vor allem Fehldeutungen. Diese werden maßgeblich über diverse Internetplattformen, Messengerdiensten und Social Media Kanälen verbreitet. Die Herausforderung besteht darin, die fragwürdigen Informationen und Nachrichten hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes zu prüfen.

“Fake News” zielen auf die unmittelbare emotionale Reaktion eines Menschen ab. Daher ist es wichtig, zunächst Informationen, Beiträge etc. zu verarbeiten und diese nicht sofort zu verbreiten, wenn man sehr emotional darauf reagiert.

Teil meiner Ausbildung zum Wissenschaftler ist der kritische Umgang mit jedweder Information, die an mich herangetragen wird.

Lese ich eine Aussage – ganz gleich ob diese in einem Zeitungsartikel, einem Facebook - Beitrag oder einer wissenschaftlichen Studie getroffen wird – hinterfrage ich, ob wirklich alle Informationen, die den Autor zu dieser Aussage leiteten, in Betracht gezogen worden sind, um diese Aussage auch verlässlich, wahrheitsgetreu und kontextbezogen von einer bloßen Vermutung oder Theorie abheben zu lassen. Z.B. soll Bill Gates die Weltgesundheitsorganisation (WHO) finanzieren. Diese Behauptung stimmt dahingehend, dass die Bill Gates Stiftung tatsächlich die WHO unterstützt – das lässt sich durch Zahlen und Fakten belegen. Hinzugedichtet wurde jedoch die Motivation, dass Bill Gates die Ausrichtung der WHO für seine „Zwecke“ manipuliert – eine Aussage, der es an jeglichen Beweisen mangelt. Eine einfachere Erklärung wäre, dass hier ein wohlhabender Mann und Philanthrop seine Stiftung nutzt, um Gutes zu tun und dazu beiträgt, Leid und Erkrankungen zu bekämpfen.

Ich appelliere daran, niemals etwas zu teilen, was man nicht noch einmal überprüft und kritisch hinterfragt hat. Man sollte sich nicht auf eine einzige Quelle verlassen. Berichten andere bekannte, und vor allem seriöse Medien über das Thema? Wenn nicht, kann das bereits ein Hinweis auf “Fake News” sein. Die Quellen gilt es zu prüfen. Woher stammen die Aussagen? Werden Quellen genannt und gibt es die genannten Studien, Personen oder Institutionen wirklich? Beiträge mit anonymer Autorenschaft oder Websites, für die keine eindeutige inhaltliche Verantwortlichkeit erkennbar ist (z. B. im Impressum), sind nicht glaubwürdig und sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Es existieren einige Initiativen, wie z.B. Mimikama und Faktencheck, die sehr intensiv daran arbeiten “Fake News” zu entlarven.

All diese Maßnahmen erfordern einen zusätzlichen Aufwand, eine Recherche hinter der Recherche.

Daher stellt sich berechtigterweise die Frage, ob meine Glaubensgeschwister diesen Aufwand betreiben können und ob sie über entsprechende Kompetenzen verfügen. Das betrifft insbesondere die Elterngeneration. Hier könnten und sollten wir als Kinder, die in Deutschland aufgewachsen und ausgebildet wurden, Hilfestellung bieten. Weiterhin kann ich mir sehr gut vorstellen, dass unsere Kirchengemeinden und die diversen Kultur- und Bildungsvereine, die wir haben, hier ebenfalls mitwirken können. Beispielsweise könnten die Predigten und/oder Bildungsveranstaltungen, -workshops, -seminare genutzt werden, um über Verschwörungen aufzuklären. Weiterhin haben sich mittlerweile einige Fernsehsender etabliert, die über ein solides Programm verfügen. Hier könnten die Fernsehsender Formate anbieten, um über Verschwörungstheorien aufzuklären

 

Für Sargon Gross - Thebing ist, als Wissenschaftler, vor allem die Bildung und der offene Dialog der Schlüssel um Menschen davon abzubringen sich Verschwörungstheorien hinzugeben.

Wenn Sie sich für die wissenschaftliche Arbeit von Herr Gross - Thebing interessieren, dann besuchen Sie doch mit diesem Link die Newspage der Uni Münster

 

 

Valentin Hoffmann

10.06.2020

 

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

 

Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal

 

Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de