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Autor: Maximilian Feldmann
Ort: Wien, Österreich
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft
Datum: 06.03.2022
Textdauer: ca. 6 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: „Russlands imperiale Geister“
Quelle & Copyrights: Canva.com, Roter Platz Moskau
„Russlands imperiale Geister“
Als im Jahr 2014 die ukrainische Halbinsel Krim von Russland annektiert wurde, bezeichnete der russische Präsident Wladimir Putin diese als „heiliges Land“ für Russland. Die Kommentare, bevorzugt in europäischen und deutschsprachigen Medien, sprachen augenblicklich vom imperialen Kurs des russischen Präsidenten, ähnlich wie es auch heute, angesichts der Invasion der gesamten Ukraine, erneut der Fall ist.
Allerdings verbirgt sich in dieser Betrachtung ein Missverständnis. Die Russische Föderation ist im Jahr 2014 nicht zu einem Imperium geworden, sie war es bereits! Sie war schon ein Imperium, als sie aus der Sowjetunion hervorging. Neu war lediglich die deutliche Sprache des Präsidenten Putin, mit der er den alten imperialen Geist der Eroberung beschwor.
Ob russisches Zarenreich, Sowjetunion oder eben Russische Föderation, ob der Herrscher sich Zar (vom Wort Caeser), erster Generalsekretär des ZK der KPDSU oder lediglich Präsident nennt, das System und die Zentrierung der Macht auf eine Person und ihren unmittelbaren Kreis blieb stets dasselbe.
Die Russische Föderation, mit 17.130.000 km² das größte Land der Erde, ist sehr unterschiedlich besiedelt. Vom Kaukasus über den Ural und weiter zur Ostküste Sibiriens finden sich Regionen, deren Bevölkerungen zu einem deutlichen Prozentsatz homogen sind. Lediglich die russische Sprache offenbart den Bezug zur RF. Diese Regionen, ob Tschetschenien, Tatarstan, Dagestan, Inguschetien oder die entfernte Region Amur wurden im Laufe der Jahrhunderte vom einstigen Großfürstentum Moskau unter Iwan IV Grosny (Deutsch: der Schreckliche) und seinen Nachfolgern, nun Zaren genannt, Schritt für Schritt militärisch unterworfen, russifiziert und teilweise christianisiert.
Von Peter I. (dem Großen) bis Katharina II. (der Großen) erreichte das Imperium eine enorme Ausdehnung, indem u.a. die Krim vom Osmanischen Reich und Alaska von den indigenen Stämmen erobert wurden. Es stieg somit in den Kreis anderer europäischer und anderer Imperien auf, welche nach weiteren Territorien zum Erobern Ausschau hielten, womit sie irgendwann miteinander in Konflikt treten mussten.
Innerhalb des Reiches zeigten sich dagegen schnell die klassischen Probleme eines Imperiums. Es brauchte permanent den Kampf, den Militarismus und die Ausdehnung, um eine Identifikation der unterworfenen Bevölkerungen mit dem Imperium zu erzielen und diese vor dem Streben nach Abspaltung und Unabhängigkeit zu bewahren. Solange es auf den Schlachtfeldern die Siege über (schwächere) Gegner einfuhr, konnte es sich seiner Stabilität, seines Ruhms, sicher sein. Revolten und Versuche nach Autonomie mussten brutal niedergeschlagen werden, um Nachahmer zukünftig zu verhindern. Der Fokus auf Militär, Prunk und Zarenkult vernachlässigte allerdings die fundamentalen Sektoren wie die Entwicklung und Modernisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft. Unzufriedenheit, Aufstände und die offensichtlich gesellschaftlich wie auch technologische Unterlegenheit gegenüber den Europäern beschworen immer wieder den Geist der militärischen Abenteuer, um von diesen Missständen abzulenken. Versuche umfassender Reformen des Staates wurden immer wieder verzögert, bekämpft oder aufgegeben.
Wie bereits das Osmanische Reich, einst der Schrecken Europas im Zuge der Wien-Belagerungen 1529 und 1683, auf den Schlachtfeldern verlor und damit die Unabhängigkeitsbewegungen vom Balkan bis Arabien nicht mehr stoppen konnte, sah sich das russische Imperium immer wieder mit dem drohenden Verlust der eroberten Territorien und damit mit seinem eigenen Ende konfrontiert. Die unerwartete Niederlage gegen das aufstrebende Japan 1904 – 1905 leitete die Phasen der innerrussischen Revolutionen ein, welche erneut durch den Geist des Militärischen gebändigt werden sollten. Ein fataler Fehler, denn das russische Imperium traf mit dem deutschen und österreich-ungarischen Reich 1914 auf technisch weit modernisierte, noch mächtigere Gegner.
Mit der militärischen Niederlage des zweiten russischen Imperiums, der Sowjetunion, 1989 in Afghanistan war auch dessen Ende besiegelt. Das in sich geschrumpfte Imperium, nun die Russische Föderation ab 1990, sollte nun um jeden Preis gehalten und erhalten werden. Die heute formell autonome „Republik“ Tschetschenien wurde zweimal zum Beweis, dass die russische Führung eine weitere Abspaltung einst eroberter Gebiete nicht mehr tolerieren würde. Ironischerweise war es ausgerechnet Wladimir Putin, der mit enormer militärischer Gewalt Tschetschenien erneut unterworfen hatte und damit den Geist des Militärischen aufleben ließ. Unter seiner Herrschaft investierte das Land, gemessen an seinem BIP, ausgeprägt ins Militär. Die einzelnen entlegenen Regionen, besonders Sibirien, wurden wirtschaftlich, ökonomisch und auch gesellschaftlich nie wirklich entwickelt und modernisiert.
Die russische Politik fand auf die katastrophalen Folgen des Klimawandels genau in diesen Regionen Sibiriens, auf die zunehmende Digitalisierung und die demografische Frage des 21. Jahrhunderts unzureichend bis keine Antwort! Stattdessen huldigt der Präsident den Geistern der imperialen Vergangenheit. Die Siege über äußere Feinde wie Napoleon im ersten und Nazi-Deutschland im zweiten „Vaterländischen Krieg“ werden zelebriert und verdeutlichen den Kern dessen, womit sich die Menschen kontinuierlich identifizieren sollen.
Die Sprache des Präsidenten ist kein Zufall. Ob „heiliges Land“, „Großrussland“ oder „Eurasische Union“ das Stichwort ist, die imperialen Geister führten ideologisch an einer Expansion und Konfrontation nicht vorbei. Ruhm und Macht werden nun, im Jahr 2022, wieder auf dem Schlachtfeld gesucht, diesmal in der Ukraine. Allerdings sind die Folgen alles andere als absehbar! Wie in der Vergangenheit sind die Defizite offensichtlich. Sollte sich die Russische Föderation, nach enormer Zerstörung, Massenflucht der Ukrainer und einer offenbar stetig steigenden Zahl von Opfern auf beiden Seiten, den militärischen „Sieg“ holen, könnte es bei der Besetzung und Kontrolle der Ukraine langfristig scheitern. In diesem Fall würde auch das Imperium scheitern. Was danach auch kommen möge, die imperialen Geister der Geschichte sollten genau das sein – Geschichte!
Maximilian Feldmann
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