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Autor: David Fuhrmann                
Ort: Türkei
Format: Text
Thema: Gesellschaft, Infrastruktur, Minderheiten
Datum: 18.11.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 5 min.
Sprache: Deutsch
Titel: Tur Abdin – Klimawandel und Waldbrände 
  

Tur Abdin – Klimawandel und Waldbrände   

  
In den letzten Jahren kam es in der Türkei im Tur Abdin vermehrt zu Waldbränden, welche die Felder und Plantagen der Menschen vor Ort zerstören und damit ihre Lebensgrundlage gefährden. Aus diesem Anlass haben wir Roze Özmen aus Paderborn interviewt, die sich mit der Situation vor Ort beschäftigt hat.
  
Roze ist Vorstandsmitglied der Föderation Suryoye Deutschland (HSA), welche Ihren Sitz in Heilbronn hat. Sie ist das Kind von Einwanderern aus dem südostanatolischen Raum, ist politisch bei der FDP engagiert und dreifache Mutter.
  
Roze ist auch Mitglied im ZOCD.
  
Frau Özmen, gab es bereits in der Vergangenheit Brände dieser Art?
Waldbrände gab es in der Türkei schon immer. Aber noch nie so häufig und heftig wie in den letzten 10 Jahren. Außerdem treten sie immer wieder verstärkt in Gebieten auf, die hauptsächlich von Minderheiten bewohnt werden.
  
Hat der Klimawandel etwas mit der Häufigkeit solcher verheerenden Brände zu tun?
Mit Sicherheit spielt auch der fortschreitende Klimawandel eine Rolle. Das dürfte aber nicht der einzige Grund sein, warum es vermehrt zu solchen Bränden kommt. Meistens entstehen diese Feuer durch Unachtsamkeit, mangelnde Prävention bzw. Information und fehlende Infrastruktur.
  
Wie wirken sich die Brände auf die Menschen in der Region aus?
Die Menschen dort sind natürlich verängstigt. Sie sind nicht nur physisch, sondern auch psychisch davon betroffen, weil diese Brände immer wieder in unmittelbarer Nähe passieren und sie mit ihrer eigenen Hilflosigkeit konfrontieren. Ich war 2017 selbst im Tur Abdin, wo meine Tante lebt. Sie war einmal fast allein in ihrem Dorf, weil die meisten Bewohner in die nahe Stadt gefahren waren als plötzlich ein Brand ausbrach, der sich auf ihr Haus und ihre Felder zubewegte. Sie war hilflos und konnte nichts anderes tun als beten. Diese Hilflosigkeit konnte ich auch Wochen später noch sehen. Aber zum Glück wurden ihre Gebete erhört. Plötzlich änderte sich die Windrichtung, wodurch keine nennenswerten materiellen Schäden entstanden. Aber die Angst vor weiteren Bränden bleibt - und Gebete helfen nicht immer.
  
Viele Bewohner der Region, im Besonderen die verbliebenen Christen, beklagen sich immer wieder darüber, dass die Brände dazu genutzt werden, um sie zu schikanieren. Kann man solchen Gerüchten Glauben schenken?
Darüber gibt es viele Vermutungen. Bei den meisten Bränden wird die Polizei mit eingeschaltet und Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Ermittlungen und Verfahren verlaufen aber zu 99% ins Leere. Eine Brandursache könnte die türkische Armee und ihre Luftschläge gegen die PKK sein. Ob die Feuer eine Folge der Militärmanöver sind oder mit Absicht gelegt werden, lässt sich aber kaum beweisen. Eine Theorie ist deswegen auch, dass viele den Klimawandel als ein Alibi sehen und bewusst unachtsamer werden.
Das sind aber alles nur Vermutungen. Man muss vor allem die Tatsachen betrachten: Der Tur Abdin ist nun mal eine trockene Region, in der es im Sommer bis zu 45° heiß werden kann. Trotzdem bleibt ein herber Beigeschmack, weil diese Brände immer wieder und häufiger passieren.
  
Im Tur Abdin, der urchristlichen Heimatregion, aus der sie ursprünglich kommen, fordern die verbliebenen christlichen Bewohner vom Staat mehr strukturelle Unterstützung bei der Bekämpfung von Bränden. Wie kann diese aussehen?
Es gibt dort bis jetzt keine richtige funktionierende Feuerwehr. Oft wird sie aus dem Umland angefordert und bis dahin versucht die Bevölkerung vor Ort selbst die Feuer zu bekämpfen. Viele Dörfer haben auch keine richtigen Straßen und sind so abgelegen, dass sie nur schwer zu erreichen sind. Deswegen wäre ein Ausbau der Straßen und die Gründung einer gut ausgestatteten Feuerwehr vor Ort wichtig. Gleichzeitig brauchen die Menschen mehr Aufklärung, wie sie sich im Sommer zur Dürrezeit verhalten müssen, um solche Brände nicht zu verursachen.
  
Ihre Dachorganisation, die HSA, hat in Zusammenarbeit Projekte gestartet, um den Menschen vor Ort zu helfen. Wie sehen diese konkret aus?
Wir stehen als Dachorganisation im engen Austausch mit den Funktionären im Tur Abdin. Die Menschen vor Ort baten uns zuerst um Feuerlöscher, damit sie sich im Falle eines Brandes zumindest selbst schützen und in Sicherheit bringen können. Für diese Feuerlöscher hat ein Zusammenschluss aus Suryoye-Organisationen unter der Federführung der HSA Spenden gesammelt. Außerdem hat Suroyo TV eine Sendung über die Situation im Tur Abdin ausgestrahlt, in der sie die Sachlage darstellten und um Spenden gebeten haben.
  
Reichen Feuerlöscher aus, um die Ursachen zu bekämpfen?
Nein, auf keinen Fall! Sie sind nur dazu da, um Menschenleben zu retten und die Ausweitung kleinerer Brände zu verhindern, damit sie nicht zu Waldbränden werden.
  
Wie kann man Ihren Dachverband dabei unterstützen, allen Menschen vor Ort ein sichereres Umfeld zu gewährleisten?
Gerne kann man uns ideell unterstützen und uns schreiben, falls man eine Idee hat, wie man den Menschen vor Ort helfen kann. Natürlich kann man uns auch gerne finanziell unterstützen. Das erleichtert uns sehr neue Hilfsprojekte vor Ort zu realisieren. Auch 2021 werden wir uns wieder der Verantwortung stellen, sobald die Pandemie hoffentlich bald überstanden ist.
 
Wer mehr über die gespendeten Feuerlöscher und weitere Projekte der HSA erfahren und vielleicht zur Weihnachtszeit auch selber Spenden möchte, besucht die Webseite der Föderation Suryoye Deutschland. (Spenden an: Empfänger: Föderation Suryoye Deutschland, Stichwort: Hilfsprojekt 2021, Volksbank Heilbronn, IBAN: DE516209010003277760 13, BIC: GENODES1VHN)
 
David Fuhrmann         
18.11.2020
 
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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
 
Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de