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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
  
Autor: Simon Jacob
Ort: Chicago, USA
Format: Text
Thema: Religion
Datum: 03.02.2020
Portal: www.oannesjournalism.com
Textdauer: ca. 7 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Religionsfreiheit - Bahai, House of Worship und der Spaghetti-Gott
 

(Bahai-Tempel in Wilmette) 
 

Religionsfreiheit - Bahai, House of Worship und der Spaghetti-Gott

 
Der erste Zusatzartikel, Teil des im Englischen „Bill of Rights“ genannten Grundrechtekatalogs der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, wurde 1791 vom Kongress verabschiedet und beinhaltet primär folgende Grundrechte:
 
1.                Redefreiheit
2.                Religionsfreiheit
3.                Versammlungsfreiheit
4.                Pressefreiheit
 
Dieser Zusatzartikel verbietet es dem Kongress (Legislative der Vereinigten Staaten mit Sitz im Kapitol, Washington D. C.) per Gesetz, eines dieser Rechte bzw. das Petitionsrecht einzuschränken. Erst im Zuge meiner weiteren Reise und vielen Gespräche begriff ich, welche freiheitlichen Ideale, die für manch einen Europäer wahrscheinlich nicht in der Form nachvollziehbar sind, die vier genannten und primären Bürgerrechte eines US Bürgers als Basis hatten. 
 
Bezogen auf die Religionsfreiheit löste der erste Zusatzartikel in mir gemischte Gefühle aus. Einerseits ist der Kongress per Gesetz verpflichtet sich absolut religionsneutral zu verhalten, was, meinen Beobachtungen nach, nur theoretisch möglich ist. Denn andererseits, es genügt sich die Wahlkämpfe auf kommunaler und lokaler Ebene anzusehen, stellt man fest, dass es zwischen der Huldigung einer prophetischen Gestalt und eines Politikers, manchmal abhängig von der Frisur und Hautfarbe, nur ein schmaler Grat ist. Mein Versuch dies zu begreifen endete mit zwei Schlussfolgerungen.
 
1. In den USA gibt es keine Staatsreligion und diese darf auch nicht eingeführt werden
2. Sehr wohl wird Politik auch im religiösen Kontext ausgelegt, mit einer immensen Diversität, weil jeder frei im Glauben ist.
 
Zusammengefasst kann jeder glauben was er möchte. Die Freiheit zu glauben ist absolut. Doch schreitet der Staat dann ein, wenn der Glaube eine Grenze überschreitet. Gerade die Auslegung dieser Grenze verwirrte mich anfangs zutiefst. So kann  ich z.B., wenn mir danach ist, an den Spagetti-Gott glauben. Und wenn dieser dazu aufruft, alle Konsumenten konkurrierender Spaghetti-Marken umzubringen, so ist das erlaubt. Denn erst der Akt, also der Vollzug alle Konsumenten einer anderen „Pasta-Marke“ umzubringen, wäre ein Straftatbestand und der Staat würde, dann allerdings mit voller Härte, eingreifen. In Europa undenkbar, meiner Meinung nach, und nicht durch die Religionsfreiheit abgedeckt.
 
(Bahai-Tempel Innenraum)
 
Und wer nun denkt, ich hätte den Vergleich mit den Spaghetti nur als humorvolle Metapher verwendet, der möge eines Besseren belehrt werden. 2005 gründete in den USA der selbsternannte Prophet und Physiker die „Kirche des fliegenden Spaghetti-Monsters“. Die Kirche mit dem für Europäer äußert skurrilen Namen geht auf einen Streit zwischen christlich – fundamentalistischen Strömungen zurück, die sich nicht darauf einigen konnten, welcher schöpferische Gott nun stellvertretend in der Lehre des „Kreationismus“, welche an den Schulen im Bundesstaat Kansas gelehrt werden sollte, namentlich zur Geltung kommen sollte. Bobby Henderson, Verfechter der Evolutionslehre, bestand im Zuge der Debatten darauf, dass auch er, gleichberechtig und gedeckt durch den ersten Zusatzartikel, ebenfalls, anfangs als Parodie gedacht, einen „Gott“ samt der dazugehörigen Religionslehre erschaffen darf. Daraus ist eine in manchen Ländern anerkannte Kirche geworden. In Neuseeland dürfen die Priester des „Spaghetti-Gottes“ seit Dezember 2015 sogar Trauungen durchführen. Trotz der humorvollen Entstehung der Kirche steckt ein zutiefst ernstes Thema hinter der Gründung. Nämlich, dass die Freiheit zu glauben was man möchte, und wenn es sein muss an einen Gott aus einem Weizenprodukt, essentieller Bestandteil US – amerikanischen Denkens ist. Denn die Gründerväter, die einst aus Europa nach Amerika kamen, wurden ebenfalls wegen ihres Glaubens verfolgt. Und ähnlich erging es und ergeht es vielen anderen Religionen, wie z.B. den Bahai, die in den USA ihren Glauben ohne Weiteres ausleben können. Und so führte mich mein erster Besuch einer religiösen Einrichtung, noch bevor die eigentliche Reise mit meiner Gruppe begann, zu einem architektonisch sehr beeindruckenden Bahai Tempel nördlich von Chicago, in Wilmette.
 
Die Bahai Religionsgemeinschaft, die in mehreren Ländern des Nahen Ostens und Asiens verfolgt wird, hat bereits seit 1800 in den USA Wurzeln geschlagen. Die Philosophie der Bahai zentralisiert den Gedanken einer einheitlichen Religion, die sich verschiedenster Elemente gängiger Glaubensströmungen bedient. Ausgehend davon, dass alle Propheten dem einen Schöpfer zugewandt sind und die Lehre des Friedens unter der gesamten Menschheit verkünden.
 
Gerade der Aspekt des gegenseitigen Friedens, als universelles Gebot, scheint für den Bahai - Glauben von besonderer Bedeutung zu sein. In Wilmette ist einer der schönsten Tempel der Glaubensgemeinschaft zu finden. Weitere befinden sich unter anderem in Deutschland, Uganda oder Israel.
 
(Bahai-Tempel Ausstellungsbereich)
 
Die USA sind das Land der Gegensätze und der Religionsfreiheit. Es ist kein Zufall, dass dieses Meisterwerk künstlerischer Architektur hier errichtet wurde. Als Symbol und Bollwerk für all jene Systeme, die das Recht auf freie Religionsausübung als Gefahr für die eigene Machtdominanz betrachten.
 
Als ehemaliger Vorsitzender des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland sowie Botschafter des Vereins, ist es mir mit Blick auf die Verfolgung christlicher Strömungen im Nahen Osten, in Afrika und Asien besonders wichtig, den Aspekt der Religionsfreiheit immer und überall politischen Akteuren gegenüber ins Gedächtnis zu rufen.
 
Dabei spielt es keine Rolle, um welche Religion es sich handelt und es spielt auch keine Rolle, an welchen Gott, welche Götter man glaubt. Auch an nichts zu glauben ist ein absolutes Recht. Selbst an einen Spaghetti-Gott, den Sonnengott, den Teufel, den Weihnachtsmann oder den Sandmann zu glauben ist absolut legitim und aus der Sichtweise eines US – Bürgers eine Selbstverständlichkeit. Leider ist dies nicht überall auf der Welt so. Blasphemie-Gesetze und die Einteilung der Welt in „Gläubige“ und „Ungläubige“ unterdrückt die natürlich Vielfalt des Glaubens. Die Bahai werden in manchen muslimisch geprägten Ländern z.B. verfolgt oder zumindest in ihrer Glaubensauslegung behindert.
 
Dabei sollte jeder Mensch auf der Welt das Recht haben, seinem persönlichen Glauben zu folgen.
 
Simon Jacob,
2. Februar 2020,
Wilmette, Illinois
 
Weiterführende Links zum Artikel:
Church of the Flying Spaghetti Monster
Bahai  - House of Worship/Wilmette
First church of Artificial Intelligence – Way of the future
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