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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
 
Autor: Daniela Hofmann
Ort: Berlin, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Religion
Datum: 15.02.2021
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca. 12 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Im Interview: Professor Hirte über die Religionsfreiheit und den Stephanuskreis
 

Im Interview: Professor Hirte über die Religionsfreiheit und den Stephanuskreis

 
Prof. Dr. Heribert Hirte ist Bundestagsabgeordneter, Professor der Rechtswissenschaften und Vorsitzender des Stephanuskreises in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, welcher als überkonfessionelles Gesprächsforum für Religionsfreiheit im Allgemeinen eintritt und daher die Situation verfolgter Christen nicht aus den Augen verliert. Gegenseitige Akzeptanz der unterschiedlichen Religionen steht im Mittelpunkt der Arbeit. Denn nur dort, wo Religionsfreiheit als eines der universellen Menschenrechte auch uneingeschränkt gilt, können auch die Christen, eine der größten verfolgten religiösen Gruppen weltweit, ihre Religion frei ausüben.
 
Der 2010 gegründete Stephanuskreis, für den der Hl. Stephanus als erster christlicher Märtyrer bei der Gründung Namenspate war, gibt sowohl Hilfswerken, NGOs und Experten wie auch Betroffenen die Möglichkeit, von ihrer Arbeit und ihren eigenen, oftmals traumatischen Erfahrungen zu berichten. Diese fließen in die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten mit ein.
 
Herr Hirte, ist die Corona-Krise, unter der die gesamte Welt leidet, eine Strafe Gottes?
Nein, wahrlich nicht, und ich würde für das eigene Seelenheil auch anraten, den „zornigen Gott“ höchstens als lyrische Figur zu verstehen. Die Corona-Pandemie basiert auf einem neuen Virus, das auch entstehen konnte, weil der Mensch verantwortungslos mit seiner Umwelt umgegangen ist. Er ist Folge unserer Taten, wie wir uns aber auch selbst wiederum gegen ihn wappnen können, beispielsweise durch die Wissenschaft, Stichwort Impfstoffe. Was lehrt uns das? Mehr Demut im Umgang mit der Natur und auch im Umgang miteinander sollten unser politisches und alltägliches Handeln leiten, die Widerstandskraft der Natur, wir sprechen auch oft von Resilienz, darf nicht (weiter) überstrapaziert werden. Und damit sind wir dann doch sehr nah an christlichen Leitlinien.
 
Ist es eine Strafe Gottes, wenn Christen, Muslime, Bahai, Jesiden, Atheisten… weltweit verfolgt werden?
Auch wiederum nein. Ich wehre mich auch vehement gegen die Behauptungen, in den Religionen liege das eigentliche Gewaltpotenzial, ein anachronistisches Gegeneinander, welches schlussendlich ausgefochten werden müsste. Die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer Religion ist immer die Entscheidung von Menschen, gesellschaftlichen oder politischen Gruppierungen oder eben – sehr oft – von Regierungen. Religiöse Botschaften oder Identitäten werden hierfür missbraucht und solange argumentativ pervertiert, bis Gewalt und Hass gegen andere Menschen als gerechtfertigt erscheint. Für breite Bewegungen bedarf es eines Gefühls der Legitimität, um beispielsweise die Bahai im Iran so vehement zu verfolgen, die atheistische Abkehr von Allah in Saudi Arabien als Kapitalverbrechen anzusehen, christliche Gemeinden in Nigeria als Feinde und Opfer der Allmachtfantasien von Boko Haram darzustellen und so weiter.
 
Was sind die Ursachen für Verfolgung und Unterdrückung?
Die Gründe für die Verfolgung und Unterdrückung sind in jedem Land unterschiedlich, individuell historisch entstanden und können doch Parallelen aufweisen. Erst einmal tolerieren autokratische und totalitäre Länder keine anderen „Machtansprüche“ oder auch nur Überzeugungen als die ihrer Machtinhaber; das sehen wir im kommunistischen Nordkorea, in China, und auch die Türkei verliert seit Jahren Stück für Stück die Toleranz gegenüber anderen Religionen. Blicken wir nach Südamerika, sehen wir exemplarisch, dass sozio-ökonomische Gründe, auf gut deutsch das Geld, und damit verbundene Not oder Gier ein Faktor sind. Und wir kennen zu gut die Funktion populistischer Bewegungen, die immer mit einem „Wir-gegen-die-anderen“-Ansatz arbeiten. Auch hier werden Religionen zur identitären Abgrenzung verschiedener Gesellschaftsgruppen gegeneinander benutzt. Selbst die USA, eigentlich ein entschlossener Vorkämpfer für die Religionsfreiheit weltweit, waren mit dem sogenannten „Muslim Ban“ unter der Trump-Administration einem solchen Weg verfallen. Und wenn wir uns fragen, warum wird dieses Thema in Europa so wenig beachtet – der aktuelle Bericht zur Lage der weltweiten Religionsfreiheit spricht davon, dass es in drei von vier Ländern Einschränkungen der Religionsfreiheit gibt – dann treffen wir auf „säkulare Intoleranz“. In westlichen Ländern gibt es eine Tendenz, religiöse Themen per se entweder latent oder, zumeist von der politischen Linken, proaktiv aus dem politischen Raum zu drängen. Und so können sich schleichend auch entsprechende Konfliktlagen bei uns entwickeln, weil wir Probleme in allen Teilen der Gesellschaft, also in der Mehrheitsgesellschaft oder den kleineren gesellschaftlichen Gruppen, zu wenig (selbst-)kritisch thematisieren.
 
Warum werden gerade Christen, Jesiden, aber auch Muslime in nahöstlichen Ländern verfolgt und unterdrückt?
Nun, auch hier gibt es verschiedene Versuche einer Erklärung. Länder wie der Irak oder Syrien kämpfen natürlich um den Erhalt einer staatlichen Ordnung. Dort konnten extreme Kräfte zeitweise fast ungehindert ihren fundamentalistischen Extremismus ausleben, mit all den Gräueln, die wir berichtet bekommen haben. In den Ländern des Nahen Ostens gibt es derzeit intensive Konflikte zwischen den verschiedenen Konfessionen, und hier vermengen sich eben religiöse Zugehörigkeiten mit den Machtansprüchen von Staaten oder Königshäusern. Das gilt zwischen den Religionen ebenso wie bezüglich der verschiedenen Ausrichtungen innerhalb von Religionen. Historisch trägt hier auch der Westen Verantwortung, der in der Staatenbildung der Länder im Nahen Osten Grenzen gezogen hat, die religiöse Zugehörigkeiten ignorierte; die Folgen sehen sie noch heute.
 
Eine fragile Staatlichkeit hat stets zur Folge, dass Minderheiten in gesellschaftlichen Verbünden weniger geschützt werden. Toleranz, Liberalität und ein friedvolles Miteinander sind zwar wunderbare menschliche Züge, brauchen aber schlussendlich auch staatlichen Schutz, um gelebte Selbstverständlichkeit zu werden. Für die Christen speziell kommt oftmals der Faktor dazu, dass sie als Sinnbild für „den Westen“ oder gar „die USA“ stehen, die eben auch in vielen Teilen dieser Welt als Feindbild stilisiert werden.
 
Ist das der Grund, weshalb der Stephanuskreis gegründet wurde und Sie sich dort als Vorsitzender engagieren?
Wir als CDU/CSU hatten – durchaus auch selbstkritisch – erkannt, dass das Thema Christenverfolgung Anfang der 2000er Jahren im politischen Raum eigentlich keine Rolle spielte. Der Stephanuskreis war dann die Antwort, um das Thema in der Fraktion auch institutionell zu verankern. Und wir haben dann schnell erkannt, dass unser Anspruch ein universeller sein muss, deswegen betonen wir natürlich die Lage vieler verfolgter Christen weltweit, widmen uns aber eigentlich allen religiösen Minderheiten, die bedrängt werden.
 
Volker Kauder sprach mich 2014 an, ob ich den Vorsitz des Stephanuskreises übernehmen möchte. Warum genau mich, müssen Sie ihn fragen. Aber ich vermute schon, dass ich durch meine Vita - ich habe als Rechtsprofessor natürlich einen wissenschaftlichen Blick auf das Völkerrecht und Menschenrechte, habe in vielen Ländern gelebt und gearbeitet, und als Kölner verbinde ich meinen katholischen Glauben mit der menschenzugewandten Liberalität, die das Rheinland auszeichnet - die nötigen Voraussetzungen für diese Position mitbrachte. Das Bild wird auch rund, wenn man weiß, dass ich mich im Gesellschaftsrecht auch insbesondere mit Minderheitsrechten auseinandersetze.
 
Weshalb sollte sich überhaupt ein deutscher Bürger für das Schicksal verfolgter Menschen außerhalb Europas interessieren?
Wir leben in einer globalisierten und vernetzten Welt, insbesondere ein Land wie Deutschland hat sich gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch eng mit den Ländern rund um den Globus verbunden. Es gibt eigentlich kein Ereignis mehr, welches uns schlussendlich nicht betrifft. Und wie gesagt, jeder Mensch, ganz nach dem eigenen Selbstverständnis, stellt schnell fest, wie er dadurch selbst betroffen ist: Als christlich geprägter Mensch liegt es doch im Selbstverständnis, Menschen in Not bestmöglich zu helfen. Wirtschaftlich orientierte Menschen sehen, dass Märkte sich gegenseitig beeinflussen, eingeschränkte Freiheiten wirken sich hier immer negativ aus. Und auch als Werteverbund „Europäische Union“ oder auch in der NATO haben wir uns die Beförderung und den Schutz der Menschenrechte weltweit als Ziel gesetzt. Humanität, Privilegierung des Lebens im Westen, vielleicht sogar familiäre Wurzeln oder andauernde Verbindungen wären hier andere Motive. Man mag unterschiedliche Auffassungen zu den Themen Flucht, Verfolgung und Bedrängung haben, ich achte das Argument. Was mich aber tief traurig stimmt, ist die Gleichgültigkeit, die ich vielerorts gegenüber diesen Fragen entdecke, ganz speziell wenn ich mir hier die gesamteuropäische Diskussion ansehe.
 
Welchen Stellenwert hat dabei das Recht auf Religionsfreiheit in einer Demokratie aber auch weltweit?
Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht erster Klasse. Die Menschenrechte durchzusetzen, zu gewähren und zu fördern ist der Grundzweck der Vereinten Nationen und eigentlich aller supranationalen Institutionen, in denen Deutschland Mitglied ist. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht festzustellen. Was Religionsfreiheit dann im Detail bedeutet und ob wir unserer Verantwortung diesem Menschenrecht gegenüber gerecht werden, wären dann relevante Folgefragen. Und Demokratie funktioniert per se nur in einem System, das unterschiedlichen Lebensstilen Toleranz gegenüber zeigt, uns als Bürgerinnen und Bürger aber doch auch in Verbindung und in Diskussion bringt.
 
Und jetzt einmal für die aktuelle Bundesregierung gesprochen: Wir haben als Union mit Markus Grübel einen Beauftragten für die weltweite Religionsfreiheit einsetzen können. Der Kollege hat sich beeindruckend tief in die Materie eingearbeitet und ist auch international sehr aktiv, was auch mehr mediale Beachtung verdient hätte. Durch seine Berichte muss sich das Parlament regelmäßig mit diesem Thema beschäftigen; aber auch im Bereich Menschenrechte und Außenpolitik bearbeiten wir unseren Koalitionspartner ausdauernd, diesen Themen Aufmerksamkeit zu schenken. Auf europäischer Ebene ist es derzeit schwieriger. Wir konnten die Europäische Kommission zwar dazu bewegen, den „Special Envoy“ für das Thema Religionsfreiheit zu erhalten. Aber die Position ist nun seit über einen Jahr vakant. So recht verstehen mag ich das nicht, und hier werden wir sicherlich nach der Bundestagswahl in Deutschland noch einmal Anstrengungen unternehmen müssen.
 
Wie hilft Ihnen Ihr Glaube bei der Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen?
Er prägt meine Haltung, ist persönlicher Reflektions- und Rückzugsraum, hier finde ich sowohl Abstand, Rückhalt wie auch Motivation. Aber das alles begleitet mich mein Leben lang und nicht nur aktuell.
 
Ich danke Herrn Professor Hirte für die Zeit, die er sich für dieses Interview genommen hat und wünsche ihm viel Kraft für die weiteren Aufgaben.
 
Daniela Hofmann

 

Prof. Dr. Heribert Hirte kann unter folgenden Adressen kontaktiert werden:

Abgeordnetenbüro Deutscher Bundestag

Platz der Republik 1

11011 Berlin

heribert.hirte@bundestag.de

Telefon: 030 / 227-77832

Telefax: 030 / 227-76830

 

Büro Köln

Aachener Str. 227

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heribert.hirte@bundestag.de

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Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de