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Autor: David Fuhrmann
Ort: Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion, Minderheiten
Datum: 11.09.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 10min  
Sprache: Deutsch
Titel: Pontos – Verlust der Heimat
 

Pontos – Verlust der Heimat

 
Anastasia Dick ist Gründungsmitglied des Vereins – „Erbe und Auftrag“. Ziel des Vereins ist es, über die Vertreibung der griechischen Bevölkerung aus dem ehemaligen Pontos – Gebiet im Osmanischen Reich, welches jetzt zur Türkei gehört, zu berichten. Großmutter und Mutter berichteten Anastasia über die Flucht der Vorfahren. Flucht und Vertreibung prägen als vererbtes Trauma ganze Generationen, so auch die meisten Deutsch–Griechen in der Bundesrepublik, die ihre Wurzeln in der als Pontos bezeichneten Schwarzmeerregion haben.
 
Anastasia Dick ist auch Mitglied im ZOCD.
 
Frau Dick – Haben Sie ein Trauma geerbt?
Selbstverständlich! In meiner Kindheit erzählte mir meine Oma immer ihre Geschichte. Ich kannte damals keine anderen Märchen, nur die Geschichte von Omas Vertreibung und ihrer verlorenen Heimat. Dadurch war eine Art vererbtes Trauma vorprogrammiert.
 
Weshalb lässt Sie die Vertreibung der Vorfahren aus der ehemaligen Heimat, dem Pontos, nicht los?
Es ist die Vertreibung meiner Großmutter, die ich von klein auf kenne. Es ist ihre Geschichte und die meiner Familie. Als Erwachsene habe ich dann gemerkt, dass nicht nur meine Oma darunter gelitten hatte. Es war ein Unrecht gegen so viele Menschen und das lässt mich bis heute nicht ruhen. Ich kann es nicht vergessen, weil ich dadurch auch meine Oma vergessen und auch verraten würde, zusammen mit allen anderen, die darunter gelitten haben. Omas Wunsch war, dass ich ihre Heimat und unsere Toten, die dort vergraben liegen, nicht vergesse.
 
Wie wirkt sich das auf Ihr Leben aus? Sie sind politisch sehr aktiv?
Eine der Auswirkungen meiner Geschichte ist, dass ich sehr sensibel für Unrecht und auch sehr offen für Gesellschaft und Politik bin. Es interessiert mich wie es den Menschen geht, und dass sie vor Allem in Frieden leben können, ohne Angst davor haben zu müssen, dass sie ihre Heimat oder Angehörige verlieren können. Deswegen war ich in meiner Jugend schon sehr aktiv auf Demonstrationen und bin es auch heute noch. Im Besonderen ist mir die Demo in Berlin von 2015 zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern und Christen im Osmanischen Reich in Erinnerung geblieben. Es ist so wichtig, sich daran zu erinnern, sonst droht die Geschichte sich zu wiederholen. Das sieht man auch am Rechtsruck in der Gesellschaft. Es kann immer wieder passieren, und deshalb müssen wir wachsam bleiben. Die Ideologie von damals ist sehr gefährlich und existiert bis heute in den Köpfen vieler Menschen. In der heutigen Gesellschaft darf kein Platz für Rassismus sein!
 
Wie handelt Ihr literarisches Werk das Thema ab?
Die Geschichte beginnt im Dorf meiner Geburt, Platania, in Griechenland. Das war mein Paradies, aber es war nicht die Heimat meiner Großmutter, und ich verstand damals nicht, warum sie mein Dorf nicht liebte und immer wieder Monologe voller Schmerz über ihre alte, ursprüngliche Heimat hielt. Ich berichte von der plötzlichen Feindschaft der türkischen Nachbarn gegenüber meinen Vorfahren und ihrer anschließenden Vertreibung und Ermordung. Nach meiner Jugend in Griechenland erzählt das Buch von meiner Ankunft als „Gastarbeiterin“ in Deutschland 1969 und meinen Erfahrungen dort. Ich erlebte die Demokratie erstmalig in Deutschland, da Griechenland damals noch unter der Militärdiktatur litt. Leider muss ich sagen, dass sich ab 1990 meine neue Heimat Deutschland wieder weiter nach rechts entwickelt hat und ich erkenne es heute fast nicht mehr wieder.
 
Wie können wir, auch im Sinne der folgenden Generationen, friedlich mit dem Thema abschließen?
Der Abschluss hängt nicht allein vom Willen der Opfer und ihrer Nachfahren ab, sondern in erster Linie vom Verhalten der Täter und ihrer Nachfahren. Bei Genozid wird den Betroffenen stets das Lebensrecht verweigert. Solange sich die offizielle Türkei nicht ausdrücklich zum Lebensrecht der indigenen osmanischen Christen bekennt und die damaligen Verbrechen verurteilt sowie selbst um Versöhnung bittet, kann es diese nicht geben.
 
Welche Rolle spielen die türkische wie auch deutsche Außenpolitik dabei?
Die Türken können viel von den Deutschen lernen. Keiner hat seine eigene Geschichte so gut aufgearbeitet wie sie. Gleichzeitig halten aber die Deutschen immer wieder eine schützende Hand über die Türken. Das finde ich nicht gut. Es wäre besser, wenn sie ihnen helfen würden, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Ein gutes Beispiel ist die ehemalige „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich. Inzwischen sind die Länder wie beste Freunde. Das würde ich mir auch für die Türkei und Griechenland wünschen. Einfach eine friedliche Grenze zwischen den beiden Ländern wäre schon ein Anfang.
 
Was wünschen Sie sich innerhalb der politischen Debatten, wenn es um die Aufarbeitung aktueller Genozide, so z.B. an der jesidischen Bevölkerung durch den IS, geht?
Ich wünsche mir, dass es keine Hierarchien bei den Genoziden gibt, wie bei der Armenier-Resolution von 2016. Prinzipiell war diese Resolution extrem wichtig und nach 100 Jahren mehr als überfällig, aber in meinen Augen ist es ein Unding neben den Armeniern, Aramäern, Assyrern und Chaldäern noch von den „Anderen“ zu sprechen, wie es damals im Bundestag geschah. Immerhin waren die griechisch-orthodoxen Christen chronologisch betrachtet die ersten Opfer. Ein Genozid wird nicht durch die Menge der Toten definiert, sondern allein durch den Willen eines Volkes, das andere auszulöschen. Dabei spielt es keine Rolle wie viele Menschen am Ende sterben, allein die Absicht ein Volk zu töten zählt!
 
Vielen Dank an Anastasia Dick für das interessante Interview. Jedem, der mehr über ihre Geschichte und die ihrer Vorfahren erfahren möchte, sei die Seite des Virtual Genocide Memorials empfohlen. Dort kann man Anastasias Geschichte Patrida – The Lasting Pain of the Lost Homeland selbst nachlesen:
 
 
David Fuhrmann

11.09.2020

 
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