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Autor: Simon Jacob
Ort: München, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion
Datum: 31.03.2022
Portal: www.zocd.de 
Textdauer: ca. 10 Min.
Sprache: Deutsch
Thema: Politik – Zwischen Religion und Krieg
 
Foto: Diana Stachowitz, kirchenpolitische Sprecherin der BayernSPD-Landtagsfraktion (Foto: privat; Bildrechte: Diana Stachowitz)
 

Politik – Zwischen Religion und Krieg

 
Diana Stachowitz ist religions- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag und Mitglied im Beirat des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland. Mit der SPD-Landtagsabgeordnete unterhielten wir uns über den Russisch-Ukrainischen Krieg und die Auswirkungen auf die Religion.
 
Konflikte wurden im Laufe der Geschichte durch ein religiöses Narrativ legitimiert bzw. teilweise begründet. Der Begriff des „Heiligen Krieges“, ob nun im metaphorischen oder auch physischen Sinne, sollte das eigene Gewissen beruhigen und das Leid des Krieges, in einem gewissen Umfang, legitimieren. Gleichzeitig mit der Digitalisierung und der Verbreitung von Smartphones wurde der religiöse Krieg auch virtuell geführt. Der Syrien – Kriegs ist ein Beispiel dafür. Steigerungen erfuhren digital – religiöse Konflikte durch den Berg – Karabach – Aserbaidschan Krieg 2020, welcher in den sozialen Medien auch als „christlich – muslimischer“ Konflikt wahrgenommen wurde. Die aktuelle Situation in der Ukraine erscheint, ebenfalls hoch digitalisiert, als ein innerchristlicher Bruderkrieg. Mit bisher noch ungeahnten Folgen. Geistliche Führer weltweit wurden aufgefordert, sich gegenüber Russland zu positionieren. Doch gerade östliche Kirchenvertreter, wie z. B. in Syrien oder im Irak, werden sich nicht immer klar äußern. Teils aus Überzeugung oder weil sie es einfach nicht können. Ausgehend von der Tatsache, dass zwischen byzantinischen und nahöstlichen Kirchen eine historische Verbindung besteht, die bis heute anhält.
 
Frau Stachowitz, was fühlen Sie als Christin, wenn Sie tagtäglich, nach dem Aufwachen, die schrecklichen Bilder aus der Ukraine sehen? 
Ich bin bestürzt. „Frieden sei mit euch“ ist eine der zentralen Versprechungen des Christentums. Es ist das höchste Ziel unseres Strebens, das immer in die Gebete eingeschlossen wird. Und auch wenn die christlichen Kirchen historisch betrachtet nicht als friedfertig bezeichnet werden können, so steht ein Krieg doch in entschiedenem Widerspruch zur Glaubenslehre, so wie ich sie für mich als Christin definiere. Ein Angriffskrieg, der Menschenleben opfert, Kinder traumatisiert und Lebensgrundlagen zerstört und in dem Soldaten Völkermord begehen, kann aus meiner Sicht niemals gerechtfertigt sein. 
 
Und wie empfindet die Politikerin den Krieg vor unserer Haustüre?
Auch als Politikerin bin ich bestürzt. Als Sozialdemokratin sehe ich immer den Menschen im Fokus, für den die Politik handeln sollte – damit er in Frieden ohne Nöte und Diskriminierung in unserer Gesellschaft leben kann. Konflikte werden in einer Demokratie mit Diplomatie ausgetragen und sollen zu einem Konsens führen. Nun haben wir schmerzlich gelernt, dass andere Staatsoberhäupter vor unserer Haustür dies anders sehen und mit einem Territorialkrieg ihre Interessen durchsetzen wollen. Dies zwingt uns nun wiederum dazu umzudenken und wir müssen selbst militärisch aufzurüsten. Und auch wenn diese Reaktion richtig ist, so ist es ebenfalls richtig, dass wir dabei Bauchschmerzen haben. Auch andere Handlungsfelder zwingen mich als Politikerin dazu sofort aktiv zu werden, so müssen zum Beispiel die Flüchtlinge, die hier in Deutschland ankommen, gut aufgenommen werden.
 
Zeugt dieser Konflikt von einer religiösen Ambivalenz zwischen Religion und Politik?
Nein, ich würde weniger von Ambivalenz sprechen als von gewissen Abhängigkeiten des Wertekodexes. Während die Religion und Kultur eine Ethik vermittelt, handelt die Politik im Auftrag der Gesellschaft. In diesem Sinne leiten mich meine christlichen Werte in meinen politischen Entscheidungen. Doch die Glaubenslehre kann von jedem anders ausgelegt werden. Dies wird historisch besonders deutlich oder auch in den verschiedenen Kulturkreisen. Was die Gesellschaft glaubt und nach welchen Maximen die Politikerinnen und Politiker handeln, kann sich durchaus bedingen. Jedoch nicht ausschließlich. Ich denke, der Wunsch nach Frieden ist ein Grundbedürfnis der Bevölkerung überall. 
 
Haben wir, blickend auf die Äußerung des russisch - orthodoxen Kirchenlenkers, der den Krieg, zumindest metaphorisch und im Narrativ der russischen Sichtweise betrachtet, einen unterschiedlichen Blickwinkel auf die Friedensbotschaft des Christentums?
Ich denke, dass wir die Stellung der russisch-orthodoxen Kirche nicht mit den Kirchen in Deutschland vergleichen können. Die Abhängigkeit des Patriachats in Moskau vom Kreml ist eng, zu der Zeit der Sowjetunion war die Ausübung der Religion offiziell untersagt. Gleichzeitig hat das Patriachat einen großen Einfluss in der Bevölkerung heute, und wir sehen, dass die Predigten die Propaganda Putins unterstützt. Die Friedensbotschaft des Christentums wird hier nicht auf die ganze Welt übertragen, sondern nur auf die russischen Gläubigen, die zum Patriachat gehört. Dass die Ukraine westlicher und liberaler geworden ist und sich viele Gemeinden vom Moskauer Patriachat unabhängig gemacht haben, bedeutet für dieses eine Gefahr. Und so gilt nach Sicht der russisch-orthodoxen Kirche die Friedensbotschaft anscheinend nicht mehr für diejenigen, die nicht mehr der strengen Lehre des Patriachats folgen. So scheint die russisch-orthodoxe Kirche den Krieg zu rechtfertigen.
 
Nahöstliche Kirchen haben einen historischen Bezug zur Russisch-Orthodoxen Kirche und Russland, dem ehemaligen Zarenreich, im Allgemeinen. Putins Krieg wird im arabischen Raum euphorisch befürwortet. Können Sie das nachvollziehen? 
Nun, es kommen zwei Punkte zusammen. Zum einen haben die christlichen Kirchen einen religiösen Absolutheitsanspruch und ihre Struktur, abgesehen von der protestantischen Kirche seit der Reformation, ähnelt eher einem autokratischen System als einer Demokratie.
Zum anderen stellen die christlichen Kirchen oftmals eine Minderheit in der Region dar, oder müssen Aggressoren fürchten. Da sie sich nicht selbst verteidigen können, befürworten sie einen Autokraten als Schutzherren. Auch Russland agiert im Nahen Osten als Schutzmacht zum Beispiel für Armenien. Das ist eine Erklärung, warum die nahöstlichen Kirchen zumindest nicht öffentlich gegen Russland laut werden. Aber nachvollziehen und akzeptieren kann ich eine Befürwortung des Krieges als Christin nicht. 
 
Wie sollen wir in Deutschland, Europa mit der Tatsache umgehen, dass nicht ein unerheblicher Teil deutscher Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund aus dem Nahen Osten diesem Krieg, zumindest ansatzweise, Verständnis entgegenbringt?
Hier in Deutschland haben wir eine unabhängige Berichterstattung und deswegen hat jeder die Möglichkeit sich zu informieren. Wer hier in Deutschland lebt, lebt in einer Demokratie und im Frieden und weiß dies zu schätzen. Mittel der Demokratie ist immer die Diplomatie. Daher ist für mich völlig unverständlich, dass Menschen Diplomatie nicht wertschätzen, sondern als Schwäche sehen und sie ausnutzen um geopolitische Machtansprüche durchzusetzen. Als Christin und Politikerin kann es nur mein Ziel sein, dass wir Konflikte nicht mit Schlägen lösen, sondern im Gespräch zu einem Konsens finden.
Generell müssen wir in der Kommunikation immer gut begründen, warum wir den Krieg für völkerrechtswidrig halten und warum wir deshalb Sanktionen und andere Schritte einleiten. Dies ist umso wichtiger gegenüber Bevölkerungsgruppen, die einen anderen kulturellen Hintergrund als die Mehrheit haben. 
 
Wie können wir uns, in Europa, zukünftig vor Aggressoren schützen?
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Despoten an unseren Europäischen Grenzen nicht auf Diplomatie setzen. Wir müssen analysieren, mit was für Aggressoren wir es zu tun haben, ob sie auf diplomatische oder nur auf militärische Mittel reagieren. Im Bündnis müssen wir sehen, was umzusetzen ist und welche militärische Ausstattung nötig ist – wo müssen wir verstärken und auszubauen? Welche Ressourcen müssen wir bündeln? Dafür müssen wir auch in Deutschland definieren, welche Aufträge die deutsche Parlamentsarmee innehat und welche sie im europäischen Bündnis umsetzen darf. Darüber hinaus gilt es ein gemeinsames Vorgehen mit den europäischen und westlichen Partnern bzw. Verbündeten in einer Wertepartnerschaft zu koordinieren.
 
In welcher Art und Weise hilft Ihnen Ihr Glaube bei der Bewältigung der aktuellen Situation?
In meinem Glauben finde ich Ruhe und kann meine Gedanken strukturieren. Im Gebet finde ich einen Ansprechpartner, an den ich meine Sorgen und Wünsche richten kann. Gerade in Zeiten, in denen ich mich machtlos gegenüber dem Horror in der Welt fühle, finde ich im Glauben Trost, aber auch Hoffnung und Zuversicht, dass wir immer wieder zum Frieden finden.
 
Frau Stachowitz, im Namen des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland e.V. bedanke ich mich sehr herzlich für die Zeit, die Sie sich für dieses Interview genommen haben.
 
Simon Jacob
München, 31.03.2022
 
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