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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
  
Autor: David Fuhrmann
Ort: München, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion
Datum: 05.10.2021
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 8 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Menschenrecht – Quo vadis? Interview mit Erzpriester Apostolos Malamoussis
 

Menschenrecht – Quo vadis? - Interview mit Erzpriester Apostolos Malamoussis

 
So gut wie alle Staaten weltweit haben das UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert oder erwähnen Menschenrechte in ihren Verfassungen, zu denen auch das Recht gehört, frei seine Religion ausüben zu dürfen. Damit verbunden haben sich jene Staaten, die dem Abkommen rechtlich zugestimmt haben, verpflichtet, dies als einklagbares Recht in die nationale Judikative zu übertragen. Im juristischen Sinne bedeutet das, dass Bürger den eignen Staat anklagen können, sofern dieser gegen die allgemein gültigen Menschenrechte verstößt; unter der Voraussetzung, dass der angeklagte Staat die Menschenrechtskonvention anerkannt und ratifiziert hat, welche 1948 während der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, die zwar universell und global ausgelegt, jedoch formalrechtlich nicht bindend ist. In der Folge wurden 1966 der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR, „UN-Zivilpakt“), der wirtschaftliche Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR, „UN-Zivilpakt“) rechtsverbindlich verabschiedet. Weitere Abkommen auf zwischenstaatlicher Ebene folgten, die sich von der UN-Charta für Menschenrechte, teils erheblich, unterscheiden.  So wurde 1994 z.B. die Arabische Charta für Menschenrechte veröffentlicht, die 2004 überarbeitet wurde und 2008 Rechtswirksamkeit erlangte. Zumindest aus der Perspektive des Westlers betrachtet erscheint diese mit ihrer 2004 überarbeiteten Version Mann und Frau gleichzustellen, alle Bürger vor dem Gesetz gleich zu behandeln, das Recht von Minderheiten auf freie Kultur-, Sprach- und Religionsausübung zu gewährleisten. Doch ist zu bezweifeln, dass die verbrieften Rechte in den nächsten Jahren oder womöglich Jahrzehnten umgesetzt werden. Ein Blick in den Nahen Osten oder Teile Asiens reicht aus, um mehr Ernüchterung zu erlangen. Trotzdem oder gerade deswegen ist es von immenser Bedeutung sich für die Menschenrechte und die Gerichtsbarkeit dieser einzusetzen. Nur so kann man in Staaten, die die Menschenrechte missachten, den Betroffenen Unterstützung zukommen lassen. Unabhängig davon, ob es sich um muslimische Uiguren in China, Oppositionelle in der Belarus oder Christen in Pakistan handelt.
 
Menschenrechte sind und sollten nicht verhandelbar. In diesem Zusammenhang steht uns noch ein langer Weg bevor. Die Debatte darüber ist ein Anfang und für die aktuelle Artikelserie des ZOCD wurden darüber Gespräche mit Experten aus Kirchen, Politik und Gesellschaft darüber geführt.
 
Erzpriester Apostolos Malamoussis, geboren 1947 in Mouresi, Griechenland, ist seit 1972 Priester der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland. Bis 1982 war er Pfarrer in Ludwigshafen und weiteren Orten in Rheinland-Pfalz, sowie in Mannheim und Umgebung. Ab 1982 war er Pfarrer in München und bischöflicher Vikar in Bayern. Seit 2016 ist er bischöflicher Beauftragter für die staatlichen Belange im Freistaat Bayern. Er ist außerdem ehem. Mitglied des Integrationsgipfels (Berlin), des Bayerischen Integrationsrates, der Arbeitsgemeinschaften christlicher Kirchen in München (ACK) und Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern, Mitbegründer des Rates der Religionen sowie Mitglied des Kuratoriums Münchner Forum für Islam.
1975 bis 2012 arbeitete er außerdem als orthodoxer Religionslehrer an griechischen Schulen in Ludwigshafen/Rh. und München, sowie der Europäischen Schule in München.
Er ist verheiratet und hat vier Kinder.
 
Welche Bedeutung haben Menschenrechte in einer globalisierten und hochdigitalisierten Welt?
Die heutige Technik und ihre Vielzahl an Kommunikationsmöglichkeiten haben auch die Chance mit sich gebracht, sich weltumspannend auszutauschen und gegenseitig zu bereichern. So kann es gelingen Völker zusammenzubringen. Diese positive Entwicklung kann zu einer einheitlichen Harmonisierung der Menschenrechte beitragen, denn so werden Menschenrechte überall aufgegriffen und verbreitet. Rechtsextremistische Gesinnungen können mit solchen Praktiken eingedämmt oder zumindest erfolgreich in Frage gestellt werden.
 
Menschenrechtsverletzungen erfolgen beispielsweise auch immer öfters in Form erpresster Geständnisse, die dann als Beweis zur Schau gestellt werden. Brauchen wir Menschenrechte 2.0 – für das Internet?
Im Zuge Ihrer Fragen habe ich eine kleine Internetrecherche durchgeführt und bin dabei auf folgende Publikation gestoßen: „Netzpolitik in Österreich. Internet. Macht. Menschenrechte.“ (Hrsg. Clara Landler, Peter Parycek, Matthias C. Kettemann), deren Thesen ich sehr interessant und aufschlussreich fand.
In diesem Sinne, bin ich auch der Meinung, dass Menschenrechte per se bereits genügend durch die bereits gegebene Rechtsordnung geschützt werden, aber eine sinnvolle und durchsetzungsfähigere Netzpolitik benötigen. Menschenrechte gelten online ebenso wie offline und müssen auch in beiden Sphären geschützt werden.
 
Wie verändert sich die Wahrnehmung der Menschenrechte, reduziert auf den einzelnen Bürger, wenn die Realität in den sozialen Medien, besonders durch Populisten und z.B. durch Fake News, verzerrt wird?
Eine verzerrte Wahrnehmung führt zur Desorientierung des einzelnen Menschen, da er durch die Flut an Informationen nicht immer erkennen kann, welche Informationen wahrheitsgetreu und welche Fake News sind. Die vielen aufgezeigten Sichtweisen und Ideen anderer führen zu Verwirrung und können subjektive Angst und Unsicherheit gegenüber der Welt hervorrufen. Die Wichtigkeit besteht daher darin die wichtigen Informationen herauszufiltern, zu prüfen und zu hinterfragen. Fake News bringen die Stabilität der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht und schaffen Voraussetzungen für Konflikte und böse Auseinandersetzungen. Sie verhindern eine objektive bzw. differenzierte Betrachtung einer Sachlage.
Ich vergleiche unseren Lebensweg gern mit einem Weg, der auf Säulen gebaut ist. Mit stabilen Säulen, die unsere Werte symbolisieren. Fake News lassen diese Säulen wanken und der Mensch fühlt sich unglücklich und verlassen, er verliert den Blick für das Wesentliche.
 
Welche Gefahren, im Besonderen für die Demokratien, resultieren hieraus?
Die Gefahr besteht in der Relativierung der Demokratie. Menschenrechte als der Grundpfeiler unserer demokratischen Werte werden eventuell durch die verzerrte Wahrnehmung anders priorisiert und Menschen öffnen sich dafür neonazistischen Ideen, die eine einfachere und heile Welt vorgaukeln.
 
Wie stark ist das Recht auf Religionsfreiheit betroffen, wenn in sozialen Medien z.B. gegen Juden, Muslime, Christen,
Jesiden, … gehetzt wird?
Die Religionsfreiheit ist hier sehr stark betroffen. Sie verliert ihren harmonischen Horizont des Zusammenlebens. Hetze führt dazu, den anderen Menschen als Feind zu betrachten, den man bekämpfen muss, um selbst zu überleben.
 
Was sind die Konsequenzen, teils von staatlicher Seite geförderter, Hetze? (eventuell ein konkretes Beispiel)
Wenn der Staat diese Hetze unterstützt, kommt es zur Spaltung in der Gesellschaft. Ich habe das persönlich während der Diktatur der Obristen in Griechenland (1967 – 1974) erlebt, bei der eine in sich gespaltene Gesellschaft sichtbar wurde und durch die staatlich geschürte Hetze befeuert wurde. Die Spaltung ging durch alle Bereiche, sodass enge Freunde und selbst Familienmitglieder auf einmal gegeneinander auf unterschiedlichen Seiten standen. Das hat mich sehr geprägt. Auch der Bürgerkrieg in Griechenland nach 1945 bis 1948 hat ebenfalls tiefe Spuren im griechischen Volk hinterlassen. In anderen Ländern und Beispielen kann das noch weiter, zu einer radikalen Einschränkung der Religionsfreiheit, führen.
 
Wie können gläubige Christen und Christinnen dem entgegentreten?
Wichtig wäre dem in gemeinsamen öffentlichen Veranstaltungen geschlossen entgegenzutreten. Durch gemeinsame Projekte muss man ein, für alle Menschen sichtbares, Zeichen der friedlichen Zusammenarbeit nach Außen senden. Ein Beispiel dafür wäre etwa der Rat der Religionen in München, deren Mitbegründer ich bin und in dem Christen, Juden, Muslime und Buddhisten sich aktiv treffen und Veranstaltungen organisieren.
 
Wie kann uns Christen, aber auch Juden, Muslimen… der Glaube dabei behilflich sein?
Der Kern aller Glaubensrichtungen ist der Frieden. Doch die Interpretation des jeweiligen Glaubens birgt die Gefahr und Schwierigkeit diesen Gott gewollten Frieden aus den Augen zu verlieren, seine eigene Auslegung auszunutzen und sich über andere und ihre Lebensweise zu stellen. Theologische Aufklärung, gemeinsame Begegnungen und Gespräche sind daher immens wichtig, um sich über alle Konfessionen hinweg kennen zu lernen, die gemeinsamen Wurzeln der Glaubensrichtungen zu erkennen und zu pflegen.
Das würde den Weg ebnen, dass sich alle Menschen zusammenschließen, friedlich in Gemeinschaft mit gegenseitigem Respekt und Achtung zusammenleben und die Menschenrechte verteidigen. Keiner müsste dann alleinstehen. So wie bereits unser allmächtiger Gott in seiner Weisheit nicht allein, sondern geeint als Dreifaltigkeit handelt und lebt.
Nur so können wir sinnlose Gewalt, Hass und Unmenschlichkeit überwinden und den Frieden auf die Welt bringen.
 
Ich danke Vater Malamoussis für das lange und ausführliche Interview. Wer mehr über dessen Arbeit erfahren möchte, empfehlen wir die Seite hellas-bayern.de.
 
David Fuhrmann
 
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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
 
Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de