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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
  
Autor: Tobias Brenner
Ort: Idar-Oberstein, Deutschland
Format: Text
Thema: Extremismus, Politik, Gesellschaft, Religion
Datum: 24.02.2021
Portal: www.zocd.de 
Textdauer: ca. 25 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Medienstrategien gegen den modernen Antisemitismus: Fragen und Antworten im Interview mit Maximilian Feldmann
  
 
(Vortragreihe: "Die Digitalen Goebbels", September 2020, Bildquelle: Simon Jacob, Oannes Consulting)
  

Medienstrategien gegen den modernen Antisemitismus: Fragen und Antworten im Interview mit Maximilian Feldmann

  
Den Kampf gegen Antisemitismus könnte man wohl mit einem Kampf gegen eine Hydra vergleichen: Gelingt es einen Kopf abzuschlagen, wachsen sofort zwei oder drei neue Köpfe nach. Nichtsdestotrotz ist dessen Bekämpfung wichtiger denn je. Aber wie sieht der moderne Antisemitismus eigentlich aus? Woran erkennt man diesen? Welches Verhältnis, welchen Zugang hat unsere Gesellschaft überhaupt zu dieser Thematik? Diese und weitere Fragen stellen wir dem Referenten für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der europäischen Janusz Korczak Akademie, Maximilian Feldmann.
  
Lernen Sie in diesem Kontext die Arbeit der EJKA kennen und lesen Sie das detailreiche Interview mit Herrn Feldmann, welches in einer komplexer werdenden Welt viele Zusammenhänge mit Blick auf die Problematik des Antisemitismus offenlegt.
  
Zur Person:
Maximilian Feldmann (*) ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für die Europäische Janusz Korczak Akademie e.V. (EJKA). An der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg als auch an der Ben-Gurion Universität in Beer Sheva (Israel) studierte Feldmann Orientalistik/Nahoststudien sowie Religions- und Kulturwissenschaft an der Ludwig- Maximilians Universität München. Zu seinen Forschungs- und Interessengebieten gehören u.a. die internationale Nahostpolitik mit Schwerpunkt auf Russland, Terrorismus- und Extremismusprävention, sowie jüdisches Leben in Geschichte und Gegenwart. Feldmann arbeitete schon im jüdischen Museum in München und ist als freier Journalist tätig. Darüber hinaus leitet er das Projekt der EJKA „Empowering Jewish Voices - media strategies against anti-Semitism".
  
Herr Feldmann, Sie arbeiten für die Europäische Janusz Korczak Akademie. Können Sie uns zum Einstieg noch einmal kurz erklären um welche Einrichtung es sich dabei handelt?
Die Janusz Korczak Akademie existiert seit zehn Jahren und ist eine jüdische Bildungseinrichtung. Vereinfacht lässt sich unsere Arbeit in drei Teile aufgliedern. Zum einen konzentrieren wir uns auf mehrere Themenschwerpunkte rund um den Namensgeber der Akademie wie etwa die Erinnerung an Janusz Korczak, die Vermittlung seiner Pädagogik, die Vermittlung der Pädagogik der Achtung und ihre Auswirkungen. Ein zweiter Fokus liegt auf der Aufklärung rund um jüdisches Leben, Kultur und Geschichte des Judentums. Damit einher geht natürlich auch der dritte Punkt: Die Bekämpfung des Antisemitismus in all seinen Formen, sowie die Erklärung, um was für ein Theorem es sich dabei überhaupt handelt und welche Ausdrücke diese Ideologieform kennt.
  
Zu Ihrem dritten Punkt: Könnte man sagen, dass das Thema Antisemitismus und dessen Bekämpfung das Kernanliegen der Akademie ist?
Es ist eines von mehreren Kernanliegen. Beispielsweise veranstalten wir auch interkulturelle und interreligiöse Events mit dem Ziel der interkulturellen und interreligiösen Verständigung. In diesem Kontext arbeiten wir mit verschieden Partnern zusammen, etwa mit den verschiedenen Städten, in denen es Korczak-Häuser gibt, also München, Berlin und Duisburg. An diesen Standorten bieten wir Workshops, Seminare und Events zu den verschiedenen Themen an. Ein weiteres Beispiel wäre auch die Vermittlung der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und in anderen Ländern. Es gibt aber auch recht spezifische, kulturelle und musikalische Workshops. Wir sind also insgesamt sehr breit aufgestellt.
Nichtsdestotrotz investieren wir viel Zeit in das Projekt „Empowering Jewish Voices - media strategies against anti-Semitism“, welches ich leite. Hier beschäftigen wir uns sehr intensiv mit Antisemitismus in all seinen Ausprägungen und Erscheinungsformen.
  
Ihr Projekt setzt sich unter anderem auch mit Medienstrategie gegen Antisemitismus auseinander. Wie habe ich mir das vorzustellen oder anders gefragt: Wie sieht Antisemitismus heutzutage überhaupt aus?
Ich fange mal so an: Wir haben das Projekt gestartet mit Unterstützung eines bürgerrechtlichen Projekts der Europäischen Kommission, welches schon vor einigen Jahren bereits begann. In erster Linie richtet sich unser Projekt an junge, jüdische Erwachsene, Schüler, Studenten etc., also explizit an all jene, die ein Interesse haben gegen Antisemitismus vorzugehen. Dies betrifft natürlich zunächst die jüdische Gemeinschaft, da diese primär von Antisemitismus betroffen ist. Aus diesem Grund ist das Projekt international angelegt. Dazu haben wir einen Aufruf gestartet, wodurch wir nicht nur Teilnehmer aus Deutschland, sondern auch aus Österreich und anderen Ländern wie etwa den Balkanstaaten, Griechenland als auch aus Israel bisher begrüßen durften. Die internationale Ebene war uns dabei sehr wichtig, da das Problem global zu verstehen ist. In diesem Kontext erklärt sich der Fokus unseres Projekts auf die neuen Medien, da der Antisemitismus gerade bzw. vor allem im Internet und auf Social Media Plattformen aktuell die dringlichste Herausforderung darstellt.
Im Rahmen dieses Projektes organisieren wir aber auch Projekte an Schulen, weil wir die breite Masse natürlich ebenfalls erreichen und für das Thema sensibilisieren wollen. Hierbei ist die größte Herausforderung, überhaupt erst einmal ein Verständnis zu schulen, was Antisemitismus überhaupt ist. Wenn ich hier von Deutschland spreche, so muss ich leider insgesamt feststellen: Ein wirkliches Verständnis des Antisemitismus ist hierzulande kaum vorhanden. 
  
Wie habe ich das zu verstehen?
Nun, in Deutschland denkt man bei dem Begriff des Antisemitismus sehr schnell an die Geschehnisse der NS-Zeit. Was davor war, wie Antisemitismus entstanden ist, woher er eigentlich kam und wie sich diese Ideologie und Denkweise entwickelt hat, darüber herrscht wenig Verständnis.
Aber warum fehlt es hier an Wissen? Ganz einfach: Weil es bisher nicht gelehrt wurde. In diese Lücke treten nun aber wir bzw. nicht nur wir, sondern auch die Leute, die wir ausbilden: Wir schulen die Leute dabei insbesondere darin, wie sie Betroffenen in der Öffentlichkeit in verschiedenen Situationen zur Hilfe komme können.
  
In diesem Kontext beschäftigt mich gerade Ihre Aussage, dass Deutschland ein kaum vorhandenes Begriffsverständnis von Antisemitismus habe. Um hier noch einmal nachzuhaken und etwas tiefer in die Thematik einzutauchen: Warum ist es für die Bekämpfung von Antisemitismus derart wichtig, dessen Entstehungsgeschichte zu kennen?
Weil wir Antisemitismus in der Komplexität bis heute nicht verstehen. Wir haben zum Beispiel in den vergangenen Jahren im Internet einen massiven Anstieg von Hass, antisemitischen Parolen, Cartoons, Memes und Verschwörungsmythen erlebt. Diese verbreiten sich mittlerweile sehr schnell, wenngleich es dabei ein weitaus größeres, generelles Problem gibt: Die Leute verstehen nicht, dass dahinter antisemitische Ideen stecken. Ich glaube zudem auch nicht, dass die Leute, die so etwas verbreiten, sich überhaupt im Klaren sind, was sie da eigentlich verbreiten. Es fehlt schlichtweg die Aufklärung und hier schließt sich wiederum der Kreis: Wenn zum Beispiel Schüler fragen „Wie kam es überhaupt zur NS-Periode?“, werden sie zunächst nichts wissen. Manche werden vielleicht schon etwas von Martin Luther und dessen antisemitischen Schriften gehört haben, aber das ist eine Minderheit.
  
Was nicht zuletzt auch mit dem heute vorherrschenden Verständnis von Nationalsozialismus und Judentum zutun hat.
Absolut. Leider muss man an dieser Stelle sagen, dass hier heute die Vorstellung herrscht, die Nazis seien eine Art Aliens gewesen, die auf die Erde kamen und die anderen Aliens, also die Juden, umgebracht haben. Das klingt absurd, aber so ist es. Man wirft mit Daten und Zahlen umher, vergisst dabei aber vollkommen die Entstehungsgeschichte.
In Wirklichkeit gab es aber seit der Antike, über das gesamte Mittelalter bis zu den Nazis, eine kontinuierliche Auseinandersetzung zwischen den Kulturen Europas und der jüdischen Kultur. Jedoch waren diese Auseinandersetzungen ziemlich oft eine einseitige Abwehr der jüdischen Kultur und Unterdrückung der jüdischen Gemeinschaft, welche dann über die Jahrhunderte ein immer größeres Feindbild entstehen ließ. Das Ganze gipfelte im kompletten Ausschluss der jüdischen Gemeinschaft aus den europäischen Völkern. Letzten Endes konnte dies irgendwann nur zur der Konsequenz führen, dass man sich die Frage stellte, was denn mit der jüdischen Gemeinschaft gemacht werden sollte.
  
Sie als Experte gefragt: Was hat man sich unter dem Begriff „Antisemitismus“ konkret vorzustellen?
Antisemitismus ist ein Weltbild, wenn auch kein rationales Weltbild, das nicht auf historischen Fakten und tatsächlichen Handlungen der jüdischen Gemeinschaft beruht. Die Ideologie dahinter beschreibt eine fiktive jüdische Gestalt: Eine düstere Figur mit Knubbelnase, die immer etwas Hinterhältiges plant - man denke da nur an Karikaturen des nationalsozialistischen Hetzblattes „der Stürmer“. Dabei soll diese, von der Realität vollkommend entkoppelte Figur, stellvertretend für eine jüdische Gemeinschaft stehen. Dieses über Jahrhunderte gezeichnete Bild ist zwar nicht real, hat aber über die Zeit immer gewisse Emotionen ausgelöst, woraufhin man sich entschlossen hat, diese Figur zu bekämpfen.
Allgemein beruht diese Ideologie zu einem sehr großen Teil auf Emotionen, aus denen die Menschen nur sehr schwer wieder hinausfinden. Hier greifen wir als EJKA aber ein und erklären, woher der Hass kommt, wie sich der Hass ausdrückt, warum dieser so gefährlich ist und dass Leute sehr aufpassen müssen, was sie wo lesen, um sich vor der Anfälligkeit für diese Ideologie zu schützen.
  
Weitergedacht hat dieser selbstformulierte Bildungsauftrag dann auch etwas mit der Aufklärung darüber zu tun, was Fake News überhaupt sind, was sind vertrauenswürdige Medien und was sind Medien, die Verschwörungstheorien verbreiten?
Definitiv. Gerade heute ist das eine Herausforderung für alle Gesellschaften. Fake News gab es zwar schon immer. Insofern ist das nichts Neues, da sich diese als roter Faden durch die Menschheitsgeschichte ziehen. Aber die Intensität wie heute Nachrichten und Falschmeldungen verbreitet werden hat enorm zugenommen. Das Problem liegt aber auch an den Medien an sich, vor allem mit Blick auf das Internet und die modernen Medien. Die Nachrichten kommen im Sekundentakt bei uns an, aktualisieren sich fortlaufend und geben dabei dem Leser kaum mehr Zeit selbst nachzuschauen, nachzulesen und das alles zu hinterfragen. Das ist ein großes Problem.
Hier setzen wir aber ebenfalls an und bilden Leute aus, damit diese gegen diese Fake News angehen können. Diese Fake News müssen nicht unbedingt von düsteren, geheimen Netzwerken kommen: Oftmals findet man sie auch in den herkömmlichen Medien, wie beispielsweise in Zeitungen, die solche Fake News unwissentlich verbreiten. Aus solchen Gründen schulen wir Leute, die etwa bloggen oder Leserbriefe bzw. Gastbeiträge schreiben können, in denen sie in der Lage sind zu erläutern, warum ein Artikel problematisch ist.
  
Bleiben wir gerade beim Thema Digitalisierung: Könnte man in diesem Kontext sagen, dass die Menschen heute generell empfänglicher für Verschwörungstheorien bzw. für Antisemitismus geworden sind, weil beide in einer komplexen Welt einfache Erklärungsmuster bieten?
Also zunächst muss ich sagen: Ich spreche nicht von Verschwörungstheorien, sondern von Verschwörungsmythen.
  
Sie haben recht: Da jedoch nach wie vor eher von „Verschwörungstheorien“ als von „Verschwörungsmythen“ gesprochen wird: Möchten Sie an dieser Stelle noch einmal den Unterschied erläutern?
Gerne. Eine Theorie beruht auf etwas, was man wissenschaftlich angehen und beweisen kann. Was wir aber gerade am Rande der Corona-Pandemie erleben und bei den Protesten gegen die COVID-19-Maßnahmen zu Tage tritt: Da ist nichts derart Greifbares dabei. Da werden eher semi-religiöse Vorstellungen formuliert, die womöglich teilweise auf einer psychologischen Langeweile beruhen und einem allgemeinen Interesse an Verschwörungen, die es einfach nicht gibt. Wenn Leute zum Beispiel sagen „das ist kein Virus, sondern eine Biowaffe“, dann ist das keine Theorie, sondern einfach nur Schmarrn. Aber das wird mit einer großen Leidenschaft verbreitet – und so funktioniert auch Antisemitismus.
  
Verschwörungsmythen und Antisemitismus sind auch in der Corona-Pandemie eng miteinander verwoben.
Ja. Im Zuge des bisherigen Verlaufs der Corona-Pandemie haben wir gesehen, wie neue antisemitische Feindbilder entstehen. Man möchte schon fast sagen „natürlich George Soros“, aber eben auch Bill Gates, der so protestantisch ist, wie man es sich nur vorstellen kann. Er hat nichts mit dem Judentum zutun, aber dennoch gilt er plötzlich als jüdisch – und das ist gar nicht überraschend, denn er vertritt Ideale bzw. verfügt über gewisse Merkmale, die man früher mit dem Judentum verbunden hat: Er plant etwas, er ist im Hintergrund, er steuert eine Kampagne, eine Bewegung, sogar ganze Regierungen um den guten, gesunden Völkern Schaden zuzufügen. Das sind die typischen Merkmale von Antisemitismus, die sich durch die Geschichte bis ins 20. Jahrhundert erstreckten, wo man gesagt hat: „Diese fiktiven Juden: Es muss sie irgendwo geben und sie steuern alles“.
  
Heutzutage ist es jedem möglich sich an Online-Diskussionen zu beteiligen. Simon Jacob vom Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland spricht vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die damit oft einhergehende Radikalisierung im Netz von „digitalen Goebbels“. Wie würden Sie diese Problematik einordnen?
Was Simon Jacob bei uns als Gast sehr schön dargestellt hat und deswegen habe ich ihn auch eingeladen: Damals gab es nur einen Goebbels – der benutzte einen Apparat, das Radio und verbreitete seine „Nachrichten“ an alle Leute. Die, die das hören wollten, haben es gehört. Diejenigen, die es nicht hören wollten, haben das Radio abgeschaltet und konnten sich so der Propaganda entziehen.
Sich aber den heutigen Fake News zu entziehen, ist viel schwieriger geworden, denn heute gibt es Algorithmen. Es ist teilweise absurd, aber wenn man beispielsweise heute etwas auf Facebook anklickt, was von einer rechten Partei oder einer rechten Organisation gepostet wurde, merkt sich das der Algorithmus und spielt den Leuten weitere solcher Inhalte zu.
Für diejenigen, die sich damit nicht befassen, ist das zunächst kein Problem. Es wird aber zu einem Problem, wenn zudem die Leute das Thema Antisemitismus nicht durchblicken. Wenn beispielsweise ein Verschwörungsmystiker etwas über die Rothschilds und im Anschluss etwas über Bill Gates postet, erreicht er damit gleich eine entsprechende Anzahl von Leuten, die sich mit der Materie beschäftigt haben, vielleicht skeptisch sind, sich aber dann irgendwann denken „da muss ja was dran sein“, da der Algorithmus eben genau diese Art von Nachrichten an die Leute verstärkt vermittelt. Das ist extrem gefährlich, da diese Medien, also Plattformen wie Facebook, zum Teil autark agieren und damit eine riesige Herausforderung darstellen.
  
Was tun denn Tech-Konzerne bzw. Plattformen wie Facebook, Twitter, YouTube etc. effektiv, um an diesen Algorithmen zu arbeiten – findet in diesen Unternehmen mittlerweile ein Lernprozess statt oder wird dieses Problem weiterhin ignoriert?
Eine sehr gute Frage. Also im Hinblick auf Facebook können wir langsam einen Prozess erkennen. Wir haben als Akademie den Aufruf der Jewish Claims Conference unterstützt und mehrere Videos, Aufrufe auf den sozialen Medien gepostet, in denen sich Holocaust-Überlebende an den Vorstand von Facebook gewandt haben: Darin wurde die Bitte formuliert, Antisemitismus in Form der Holocaustleugnung endlich zu entfernen. Das war bei Facebook lange Zeit ein großes Problem, weil das nach Richtlinien von Facebook lange Zeit als Meinungsfreiheit zugelassen wurde. Aber diese Kampagne kann als positives Beispiel genannt werden, weil sie Wirkung zeigte: Facebook hatte nämlich daraufhin offiziell erklärt, Holocaustleugnung in Zukunft nicht mehr zuzulassen.
Dazu sei aber gesagt, die Holocaustleugnung, also die Darstellung das dieses Verbrechen eine Erfindung der Juden sei, ist nur ein klassisches Merkmal des modernen Antisemitismus. Darüber hinaus muss noch viel mehr getan werden, weil das übergeordnete Problem des Antisemitismus alle Plattformen, beispielsweise auch Twitter betrifft. Im gerade zurückliegenden US-Wahlkampf haben wir hier gesehen, dass Tweets des US-Präsidenten Donald Trump im Hinblick auf Fake News mit einem Warnhinweis gekennzeichnet wurden. Allerdings sehen wir auch, dass die Hetze des iranischen Revolutionsführers, Ali Chamenei, bisher noch nicht mit diesen Warnhinweisen versehen wurde oder anders gesagt: Dessen Tweets werden weiterhin kritiklos zugelassen. Wir sehen also, dass hier nach wie vor eine ziemlich große Diskrepanz zwischen dem Wunsch wie agiert werden sollte und dem tatsächlichen Agieren herrscht.
  
Halten wir also fest: Explizit im Bereich der Sozialen Medien muss mehr getan werden. In Zeiten von Corona-Leugnern, Rechtsextremismus, Islamismus, skurrilen Verschwörungsmythen gehen die Gefahren jedoch auch über Antisemitismus hinaus. Benötigen wir daher nicht mehr Workshops, die diese Probleme gemeinsam aufgreifen, partei-, religions- und ideologieübergreifend für ein breites Publikum zugänglich werden und eine Lösung vorantreiben?
Ich glaube da tut sich schon was. Also wir hatten unsere Workshops zum Beispiel auch schon in physischer Form abgehalten, etwa in Berliner Schulen. Dort haben wir darüber gesprochen, wie gefährlich Antisemitismus für die Demokratie als auch für die gesamte Gesellschaft ist. Dies ist wichtig, weil eben nicht nur jüdische Menschen von Judenfeindlichkeit betroffen sind, sondern auch Menschen ausgegrenzt werden, die mit Juden in Verbindung gebracht werden können oder sich wie beispielsweise Bill Gates anhand von antisemitischen Feinbildern als „jüdisch“ kategorisiert und verteufelt werden. Es reicht daher nicht aus, geistig und physisch dieses Problem zu bekämpfen.
Ich denke und hoffe, dass es langfristig immer mehr von diesen Dialogen geben wird, weil die Problematik immer größer wird. Man muss da aber auch sagen: Die Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 und der damit einhergehende (Teil-)Lockdown erweist sich hier nicht gerade als hilfreich. Anders gesagt: Ich kann nicht behaupten mehr Leute zu erreichen, weil die Anzahl der Leute, die wir in dieser Situation überhaupt erreichen können, doch stark beschränkt ist. Wir bemühen uns weiterzumachen, aber die digitale Kommunikation ist natürlich etwas vollkommen anderes als die physische Interaktion miteinander. Wir hoffen demnach auf mehr Angebote und werden auch selbst weitermachen.
  
Zurück zum Antisemitismus. Dies ist auch ein Phänomen, welches sich gerade in muslimisch geprägten Kulturkreisen beobachten lässt. Gibt es hierzu Projekte in Ihrer Akademie, welche sich speziell mit diesem Thema auseinandersetzen? Oder allgemeiner gefragt: Mit welchen Formen des Antisemitismus setzen Sie sich insgesamt auseinander?
Wir setzen uns mit sämtlichen Formen des Antisemitismus aus unterschiedlichen politischen wie auch religiösen Spektren auseinander. Das betrifft natürlich die „klassischen“ Formen, wie etwa den Antisemitismus von rechts, links als auch von islamischer Seite, aber auch speziellere Formen wie etwa feministischen und esoterischen Antisemitismus. Hier führen wir im Rahmen unseres Projekts Seminare für unsere Teilnehmer durch in denen wir sie in Geschichte, Sprache und bildlichen Darstellungsformen von Antisemitismus schulen.
Wir hatten bereits in München ein Seminar zum Antisemitismus der Neuen Rechten. Zurzeit widmen wir uns gerade dem linken Antisemitismus, wobei es auch hier wiederum verschiedene Ausprägungen gibt. Aber wir werden auch noch über den sogenannten muslimischen Antisemitismus sprechen – wobei man hier aufpassen muss, da der Begriff nicht so ganz passt.
  
„Der Begriff passt nicht so ganz“: Wie ist das zu verstehen?
Nun, der Begriff trifft es nämlich nicht ganz, weil wir es hier mit einer Ansammlung von verschiedenen ideologischen Herangehensweisen zu tun haben. Meist haben wir es hier mit einem Nationalismus zutun, der zum Beispiel aus der Türkei und arabischen Länder gespeist wird. Anders gesagt: Antisemitische Akteure, denen man vom Namen oder vom Aussehen her zunächst einen muslimischen Hintergrund zuschreiben würden, haben diesen nicht immer oder leben ihren Antisemitismus nicht im Bewusstsein ihres muslimischen Hintergrundes aus.
Natürlich sprechen wir auch über Unterschiede und Gemeinsamkeiten, etwa zwischen muslimischem und rechtem Antisemitismus. Der gleicht sich an verschiedenen Stellen und weist in gewissen Bereichen gemeinsame Schnittmengen auf, gerade in Hinblick auf das Dritte Reich und seine Aktivitäten im damaligen Orient. Hier kann man schon feststellen, dass dieser Einfluss aus Nazideutschland bis heute präsent ist. Auch die Nachwirkungen der NS-Zeit können u.a. als Erklärung für den Anstieg des Antisemitismus in der arabisch-muslimischen Welt verstanden werden.
Auch dies werden wir noch im Detail behandeln und zeigen, wie sich Antisemitismus über die Jahre bis heute entwickelt hat, gerade auch in Hinblick auf die Israelfeindschaft als wesentlicher Bestandteil der heutigen Formen von Antisemitismus. Hier werden wir dann auch zeigen, welche Faktoren neben religiösen Motiven für den heutigen Antisemitismus sonst noch relevant ist.
  
Diese notwendigen Differenzierungen sind einem oftmals gar nicht bewusst. Allerdings in einem erweiterten Kontext nochmals nachgehakt: Ob nach dem Terroranschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo oder den im Herbst ermordeten Lehrer Samuel Paty: Im Schatten dieser Taten wird immer wieder eine Gleichung zwischen Mohammed-Karikaturen und Antisemitismus aufgestellt. Hier liest man allzu oft die Kritik, dass die Ächtung von antisemitischen Karikaturen zwar gesellschaftlicher Konsens sei, Mohammed-Karikaturen aber zulässig wären, obwohl beides den gleichen „Tatbestand“ erfüllen würde. Können Sie an dieser Stelle nochmal den Unterschied erklären?
Das Thema Karikaturen muss aus zweierlei Perspektiven betrachtet werden: Die Intention von Karikaturen und das Belächeln von Karikaturen. Wenn man sich die Mohammed-Karikaturen anschaut, stellt man fest, dass einige davon tatsächlich problematisch sind, da sie sehr beleidigend und provozierend gezeichnet sind in meinen Augen. Also ich persönlich finde die Darstellung eines nackten Mohammed von Hinten ist schon eine tief provokative Karikatur. Da verstehe ich es, dass sich die Leute dadurch gestört fühlen. Aber natürlich ist Gewalt und Terrorismus in keinem Fall darauf eine vernünftige Antwort, sondern genau das Gegenteil. Hier hätte man ganz andere Schritte gehen können, beispielsweise hätte man dagegen protestieren können.
Es gibt auch Karikaturen zu jüdischen Themen, welche sich über religiöse Themen lustig machen und völlig in Ordnung sind. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Was ist eine antisemitische Karikatur bzw. wie unterscheiden sich diese von Mohammed-Karikaturen? Der Unterschied ist, dass bei antisemitischen Karikaturen die jüdische Person diffamiert bzw. entmenschlicht wird und als verachtenswert, dämonisch dargestellt wird. Als solche verfolgt sie nicht den Zweck der Meinungsäußerung, sondern dient lediglich der Aufhetzung. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu Mohammed-Karikaturen.
Karikaturen können sehr verletzend sein. Da sollte man auch aufpassen, dass man nicht unnötig provoziert, wobei ich Karikaturen an sich natürlich als richtig finde. Über religiöse Themen muss man sich satirisch äußern können. Aber bei antisemitischen Karikaturen ist eine Grenze überschritten, weil sie all das, was wir jetzt schon besprochen haben, anheizen. Hier muss man sich auch der Geschichte von Karikaturen bewusstwerden: Diese waren ursprünglich nun mal ein Mittel der Aufhetzung und Anstachelung der Bevölkerung zur Exklusion und Ächtung der jüdischen Bevölkerung, die bis hin zu physischer Gewalt und Mord führten. Bei muslimischen und Mohammed-Karikaturen ist dies nicht der Fall. Mohammed wird niemals als Krake dargestellt, der versucht die Welt zu erobern oder als eine ekelhafte, ältere Gestalt, die die Welt umklammert und die Menschheit ausbluten lässt. Dies Form von Karikaturen gibt es einfach nicht.
  
Kommen wir ganz zum Schluss noch zu folgender Frage: Was kann denn der Einzelne tun um Antisemitismus, Fake News, um Verschwörungsmythen usw. im Netz aber auch in der Realität zu bekämpfen?
Mein Appell an die Leute ist erstmal: Wenn sie ein Thema haben, welches sich nicht in Deutschland abspielt, sondern in einem anderen Land und sie Zugänge zu fremdsprachigen Medien haben, muss man sich diese unbedingt ebenfalls ansehen. Dazu gilt es viel zu lesen und zu vergleichen. Gerade hier gilt die Regel: Nicht nur einen einzigen Artikel für bare Münze nehmen, gerade wenn es um deutschsprachige Berichte zu Ereignissen geht, die gerade im Kaukasus oder in Afrika stattfinden. Hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen: Woher kommen die Informationen? Wer berichtet? Wie wird berichtet? Das alles gilt es unbedingt zu hinterfragen. Das ist schwierig, gerade weil das unter Umständen sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, wir aber in einer sehr schnelllebigen Gesellschaft leben. Hier kann ich auch aus Erfahrung sagen, dass auch Journalisten unter massivem Zeitdruck stehen.
Dazu kommt das Problem des Storytellings – wohin das führen kann, hat 2018 der Fall Relotius beim Spiegel gezeigt. Die Diskussion um Fake News ist nicht zuletzt deswegen explodiert, weil es wirklich Fake News gegeben hat, die auch von Journalisten verbreitet wurden. Sowas darf es nicht geben. Hier muss man dann auch an die Verlage und Medien appellieren. Das ist für eine einzelne Person schwierig, aber unser als Netzwerk erdachtes Projekt zeigt da Wirkung: Beispielsweise haben wir hierzu einen Brief an Redaktionen verfasst, in dem wir darum bitten nicht irgendetwas zu schreiben, sondern sich vorher zu überlegen, was geschrieben wird und vorher zu vergleichen.
Als Individuum können wir hier als Beispiel vorangehen, in dem wir Medien nutzen, die sowohl dem konservativen als auch dem linken Milieu zugeordnet werden. Hier gilt es dann auch wieder zu hinterfragen: „Wo sind die Schnittmengen, wo könnte es tatsächlich passen?“ Das ist etwas was dringend vermittelt werden sollte, gerne auch in Schulen durch verschiedene Seminare. Die Arbeit mit Medien bzw. das Schulen von Medienkompetenzen ist sehr wichtig, allerdings haben wir das bisher in unserer Gesellschaft weitestgehend versäumt. Gerade für Menschen, die Ideologien und Hetze verbreiten wollen, sind soziale Meiden eine große Hilfe. Wenn man aber lernt, wie man mit Medien in Zukunft vorsichtiger umgehen könnte, dann können all diese Effekte zumindest abgemildert werden.
  
Wir halten also zum Ende hin fest: Gerade im Bereich der Aufklärung rund um das Thema Antisemitismus, insbesondere was was den kritischen Umgang mit Medien angeht, liegt noch jede Menge Arbeit vor unserer Gesellschaft. Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch Herr Feldmann.
 
Tobias Brenner,
13.11.2020
 
Sehen Sie auch: Artikel von Maximilian Feldmann in der Wochenzeitung „Jüdischen Allgemeine“: https://www.juedische-allgemeine.de/autor/maximilian-feldmann
  
Informationen rund um das Projekt „Empowering Jewish Voices - media strategies against anti-Semitism“, zur Arbeit der Europäischen Janusz Korczak Akademie als auch die Kontaktdaten zu Maximilian Feldmann finden Sie unter: https://www.ejka.org/
 
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