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Autor: Simon Jacob
Ort: Augsburg, Deutschland
Format: Text
Thema: Religion, Gesellschaft
Datum: 01.11.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca. 5 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Kirchenglocken – Klang religiöser Freiheit
 
(Bild von links nach rechts: Ercan Akgül, Matthias Dozla, Norbert Gabriel, Riyad George, Daniyel Akgüc, Adip Gabriel)
 

Kirchenglocken – Klang religiöser Freiheit

 
In den 60ern und 70ern kam eine Handvoll nahöstlicher Christen aus dem südostanatolischen Raum (Türkei) nach Augsburg,  die der Syrisch – Orthodoxen Kirche (Altorientalen, Westritus) zuzuordnen sind. Sie suchten nicht nur nach Arbeit - die ersten Ankömmlinge waren Gastarbeiter – sie suchten auch nach Zuflucht, Schutz, Geborgenheit und der Freiheit, ihre Religion frei ausleben zu dürfen. Die Flucht wurde in einer ersten Welle anno 1976 ausgelöst, als auf lokaler Ebene das türkische Militär und die kurdische Autonomiebewegung die letzten verbliebenen Christen zwischen den Mühlen der Konflikte zerrieben. Dies führte dazu, dass ihnen in ihrer ursprünglichen Heimat, einer als „Tur Abdin“ (aramäisch: Berg der Knechte Gottes) bezeichneten Region in der südöstlichen Türkei, nahe der Grenze zu Syrien und dem Irak, essentielle Menschenrechte nicht in der Gänze gewährt wurden. Besonders nicht, als viele der verbliebenen Christen, Angehörige verschiedenster Riten, in die Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Militär und der kurdischen Autonomiebewegung gerieten, welche in jüngster Zeit, angetrieben durch eine antikurdische Rhetorik in der heutigen Türkei, wieder aufflammt. Damals, in den 70ern“, so der Vorsitzende der Gemeinde der syrisch.-orthodoxen Marienkirche in Augsburg, „waren es nur 30 Familien. Inzwischen sind es, Stand 2013, aufgrund der Flüchtlingswellen aus dem Irak und Syrien, allein bei der Syr.-Orth. Kirche 800 Familien. Unsere Schwesterkirchen wie die Syrisch-Katholische, Assyrisch – Apostolische oder Chaldäische Kirche sind dabei noch gar nicht mitgezählt, und die letzte Erfassung fand 2013 statt,“ so Daniyel Akgüc. Akgüc ist so etwas wie das Urgestein migrantisch – christlicher Entwicklung in Europa. 1946 in Enhil in der Türkei geboren, immigrierte er mit 23 Jahren nach Deutschland und hat alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Seit 50 Jahren lebt Daniyel Akgüc in Augsburg und leitet die dortige Gemeinde mittlerweile 45 Jahre. Den Aufbau der Gemeinden hat er nicht nur in Augsburg über Jahrzehnte hinweg ehrenamtlich mitgestaltet. Als Brückenbauer zwischen der Gesellschaft, den Kirchen, den Institutionen, der Politik und den Medien erbrachte er eine immens wertvolle Arbeit, die hoffentlich eines Tages, im Bewusstsein dessen was Ehrenamtliche mit Leidenschaft als Opfer erbringen, auch gesellschaftsübergreifend gewürdigt wird.
 
Mit ihm, der Erinnerungen über Generationen hinweg in sich trägt, führen wir ein Interview über die historische Bedeutung eines Glockenturms für die syrisch-orthodoxe Gemeinde in Augsburg, welcher nun mit 30 Jahren Verzögerung endlich errichtet wird.
 
Das Interview für den ZOCD führte Simon Jacob.
 
Welche symbolische Bedeutung hat die Glocke im syr.-orth. Glauben?
Seitdem es die Syrisch-Orthodoxe Kirche gibt, ertönt der Glockenschlag als Symbol der Freiheit im Glauben, der Hoffnung und des Friedens. Doch gerade der Aspekt der Freiheit des Glaubens nimmt hier, im besonderen Umfang und verstärkt im Laufe der Geschichte, einen hohen Stellenwert ein.
 
Welche Gefühle verbinden die Christen und Christinnen mit dem Klang der Glocke?
Blickt man in die Heimatländer so erkennt man, dass Menschen beim Klang der Glocke in die Kirchen strömen. Symbolisch betrachtet kann man auch davon sprechen, dass alle, als Familie, im Glauben vereint sind. Hören wir den Glockenklang, so sind wir aufgefordert, unsere Differenzen ruhen zu lassen. Denn im Glauben sind wir alle gleich. Im Glauben sollten wir eins sein. Besonders in den Ursprüngen des Christentums wird damit, gerade unter schwierigen Bedingungen, ein gemeinschaftliches Gefühl symbolisiert, welches materielle Unterschiede, ob also  jemand z.B. arm oder reich ist, außer Acht lassen sollte.
 
Wann entstand die Sehnsucht der Gemeinde, eine Kirchenglocke zu erreichten?
Bereits seit dem Erwerb des Grundstücks 1991 war eigentlich eine Kirchenglocke geplant, um das Antlitz des sakralen Ortes zu vervollständigen. Der gesamte Kirchenbau wurde über Spenden, Beiträge der wachsenden Mitgliederzahl und Kredite finanziert. Die zusätzliche Finanzierung für einen Glockenturm wurden von der Bank nicht bewilligt. Und so mussten wir bis 2019 warten. Seit letztem Jahr sind fast alle früheren Kredite getilgt. Nun ergab sich wieder die Möglichkeit zur Finanzierung einer Kirchenglocke. Abermals über Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Kredite. Als  Gemeinde sind wir sehr stolz darauf, all dies aus eigener Kraft geschafft zu haben. Im Gegensatz zu den großen Kirchen in Deutschland gibt es bei uns keine Kirchensteuer, die solche Projekte finanziert. Jeder Cent, welcher bei uns eingeht, basiert auf dem Glauben an das christliche Gedankengut.
 
Welche Herausforderungen ergaben sich daraus?
Eigentlich gab es von Anfang an kaum Hürden. Die Kredite wurden gewährt. Die Baugenehmigung der Stadt Augsburg erfolgte innerhalb von drei Monaten. Insofern kann man von einer harmonischen Zusammenarbeit auf allen Ebenen sprechen.
 
Wie wurde und wird das Projekt finanziert?
1991, als wir den Glockenturm als fehlendes Glied der architektonischen Kirchenstruktur erbauen wollten, hätte uns das 185.000 DM gekostet. Wie bereits erwähnt, wurde uns damals dafür kein Kredit gewährt. Die Kosten für den jetzigen Bau haben sich auf 250.000 € vervielfacht. Trotzdem sind wir bereit diesen Preis für den Turm zu bezahlen, welcher im Rahmen unseres Glaubens einen unbezahlbaren spirituellen Wert hat. Die Finanzierung ergibt sich erneut aus Krediten und Spendengeldern, die hauptsächlich von den inzwischen in Augsburg angesiedelten Christen und Christinnen kommen, deren historische und sehr erfolgreiche Migrationsgeschichte bis in die 60er Jahre zurückreicht und die Ursprungsregionen Türkei, Syrien wie auch Irak berührt.
 
Was empfinden Sie persönlich, wenn Sie nun bald den Glockenschlag Ihrer Kirche hören?
Als nahöstlicher Christ aus dem Tur Abdin, der aber auch gleichzeitig in Deutschland mit seinem Glauben verankert ist und der hier eine neue und freie Heimat gefunden hat, erfüllt es mich mit Heimatliebe im spirituellen Glauben, egal ob ich hier oder in der alten Heimat die Kirchenglocken höre. Hinzuzufügen ist, dass der Klang der Glocke auch ein Stück Kultur ist. Da, wo wir einst herkamen, wird die Kultur von Fanatikern, im Besonderen von Islamisten, verdrängt. Dabei ist strikt von Muslimen zu unterscheiden, die z.B. zahlreich, oft auch aus spirituellen Gründen, Kirchen besuchen. Das ist ein wichtiges Zeichen der Hoffnung. Ein wichtiges Zeichen wäre es auch, wenn Institutionen, gerade im Nahen Osten, Kirchen und auch Kirchenglocken als wertvolles Kulturgut begreifen; neben dem spirituellen Wert im Angesicht religiöser Vielfalt. In Deutschland sind Kirchenglocken z.B. integraler Bestandteil der hiesigen Kirchen. In der muslimischen Welt sind es Minarette. Auch diese werden als kulturelles Gut betrachtet. Bei aller Liebe zu diesem Thema, müssen wir spirituelle Bauwerke auch als kulturelle Eigenart der jeweiligen Ursprungskultur betrachten, die, aufgrund des historischen Ursprungs, auch akzeptiert werden muss. Im Orient ist dies nicht der Fall, obwohl es Kirchen und Glocken bereits vor der Verbreitung des Islams gab..
 
Wir danken Daniyel Akgüc für diesen Einblick und wünschen ihm und seiner Gemeinde für die Zukunft alles Gute.
 
Simon Jacob
Redaktion ZOCD
 
 
Spendenhinweis: Die syr.-orth. Gemeinde freut sich über jeden Cent, welcher die Schuldenlast der Gemeinde in Bezug auf den Bau der Kirchenglocke reduziert. Eine von der Steuer absetzbare Spendenquittung kann ausgestellt werden. Spenden können auf das Konto wie folgt überwiesen werden.
 
Kirchenrat der Syr.-Orth. Kirche von Antiochien in Augsburg e.V.
IBAN: 97 7205 0000 0000 664540
BIC: AUGSDE77XXX
Stadtsparkasse Augsburg
 
       
Weitere Fragen sind direkt an die Gemeindeleitung zu richten.
Kontakt wie folgt:
 
Gemeindevorsitzender Daniyel Akgüc
Festnetz: 0821 515 856
Mobil:      0172 8672878

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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
 
Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de