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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
  
Autor: Maximilian Feldmann
Ort: Wien, Österreich
Format: Text
Thema: Gesellschaft, Religion, Politik
Datum: 04.01.2021
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca. 8 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Judentum: Der Jom Kippur – Der Höchste Tag
 
  

Judentum: Der Jom Kippur – Der Höchste Tag

  
Der Begriff „Jom Kippur“ dürfte den meisten Lesern aus deutschsprachigen Ländern mit zwei Ereignissen verbunden sein.
  
Der Begriff fällt oft im Zusammenhang mit dem „Jom Kippur – Krieg“, über welchen man aus dem Fernsehen, dem Internet oder in der Schule aus dem Geschichts- oder Sozialkundeunterricht erfährt. An diesem 6. Oktober 1973 griffen Israels arabische Nachbarn den jüdischen Mehrheitsstaat ein weiteres Mal (nach der gewaltigen Niederlage 1967) an, was zu einem blutigen und verlustreichen Krieg führte.
  
Zum anderen hat sich auch der 9. Oktober 2019 in die Köpfe vieler Menschen gebrannt, als der Tag, an dem ein fanatisch- antisemitischer Neonazi in die Synagoge in Halle (Saale) einzudringen, um die dort zum Gebet versammelten Menschen zu ermorden.
  
In Anbetracht dieser Ereignisse wurde der Jom Kippur stets als der höchste jüdische Feiertag betitelt. Es ist ein Tag an dem 25 Stunden nicht gegessen und nicht getrunken wird. Das Fasten in Verbindung mit den oben genannten Ereignissen klingt sehr nach einem Trauertag? Nun, nicht ganz…  Erstmal der Reihe nach.
  
Der Ursprung
  
Im jüdischen Jahreszyklus gibt es drei besondere Feste, an denen im antiken Israel der beiden Tempel es ein reges Pilgerwesen gab: Pessach (Auszug aus Ägypten), Shavuot (Übergabe der Thora am Berg Sinai; 50 Tage nach Pessach) und Sukkot (Laubhüttenfest; Erinnerung an das Leben in der Wüste). Diese Feste werden im Buch Exodus der Bibel als göttliche Gebote an die Israeliten überreicht. Von einem Jom Kippur ist da noch keine Rede.
  
Dies ändert sich schlagartig mit einem Ereignis, welches so nicht hätte eintreten dürfen!
  
In Ägypten offenbarte sich Gott den Israeliten durch die 10 Plagen und führte sie durch Moses aus der ägyptischen Sklaverei. Dabei machte er durch seine „Diener“ Moses und Aaron klar, dass die Israeliten, als biblische Vorfahren der heutigen Jüdinnen und Juden, den Bund ihrer Vorväter Abraham, Isaak und Jakob einhalten müssen. Dies bedeutet absolute Monotheisten zu sein! Als Moses aber auf dem Berg Sinai 40 Tage verweilte, um die Thora von Gott zu empfangen und mit den 10. Geboten als Basis (oder Zusammenfassung) der göttlichen Lehre zurückzukehren, begannen die Israeliten und weitere mit ihnen ausgezogene, ehemalige Sklaven der Ägypter ein goldenes Kalb zu bauen und dieses als ihren neuen Anführer zu preisen, da sie dachten, Moses wäre auf dem Berg womöglich verstorben.
  
Die Geschichte des „Tanzes um das Goldene Kalb“ dürfte wohl den meisten, selbst nicht so bibelfesten Lesern bekannt sein. Es ist eine Erzählung, welche immense Bedeutung für die jüdische Theologie hat. Kaum eine Sünde wird in den jüdischen Quellen so oft verdammt und vor keiner Sünde wird so oft gewarnt wie dem Götzendienst. Das Anfertigen und Anbeten von Figuren, Naturphänomenen und natürlich Menschen verdient laut der Quellen die Todesstrafe (welche im antiken Israel kaum ausgeführt wurde).
  
Die Reaktionen auf das goldene Kalb waren entsprechend! Moses zerbrach aus Wut die ersten Steintafeln mit den 10 Geboten und Gott sprach davon die Israeliten für diesen Übertritt zu vernichten.
  
Also doch alles schlecht?
  
Nein, denn die Geschichte nahm eine erfreuliche Wendung, welches ein wichtiges Element des jüdischen Denkens verkörpert - die Möglichkeit einer zweiten Chance durch aufrichtige Reue und Umkehr. Moses bat stellvertretend für alle Israeliten bei Gott um eben diese zweite Chance – und bekam sie auch!
  
Die Entscheidung Gottes, die Vernichtung der Israeliten aufzuheben und mit ihnen in Zuneigung dennoch verbunden zu bleiben ist ein großes Geschenk, welches mit Freude gefeiert wird. Dies ist der Jom Kippur – der Tag der Versöhnung und Vergebung.
  
Die Bräuche
  
Am Jom Kippur wird zwar gefastet, aber eben nicht aus Trauer, sondern aus Freude und Überzeugung. Die jüdischen Weisen sagen, dass an diesem Tag die Pforten des Himmels besonders weit offen sind und jeder Jude/Jüdin, die Sünden vergeben bekommt. Somit gestehen die Gläubigen ihre Sünden, mögen sie auch noch so klein sein und bitten um Vergebung dieser. Allein in Israel und damit der größten jüdischen Gemeinschaft weltweit, nehmen über 60% der Bevölkerung an diesem Tag teil, sogar viele säkulare Juden.
  
Aus diesem Grund konzentrieren sich Jüdinnen und Juden stark auf das Gebet und verzichten auf Speisen und Trank, um nicht von der Besonderheit des spirituellen Tages abgelenkt zu werden.
  
Am Abend vor Jom Kippur wird natürlich üppig gegessen!
  
Natürlich gibt es Ausnahmen und nur wer wirklich kann, sollte auch Fasten, denn das Leben geht immer vor.
  
Doch bei aller Freude darf nichts schief gehen! Der Talmud, nach der Thora/Bibel die zweite wichtigste Quelle des Judentums erzählt in vielen Abschnitten wie intensiv die Vorbereitungen im antiken Israel verliefen. Die Priester (Kohanim) mussten sich auf die Rituale, lange vor dem eigentlichen Tag, akribisch vorbereiten, um bloß nichts falsch zu machen. Die wichtigste Aufgabe kam dem Hohepriester zugute, denn er musste die ganze Nacht wach bleiben, um alle Regeln und Gesetzte zu kennen, denn sein Leben hing davon ab! Der Hohepriester hatte nämlich die ganz besondere Aufgabe in das Allerheiligste des Tempels zu gehen und dort, allein mit der Präsenz Gottes, dessen vollkommenen Namen, das Tetragramm (hebr. יהוה), auszusprechen. Niemand sonst durfte das Allerheiligste betreten und außerhalb des Jom Kippur war und ist das Aussprechen des Tetragramms verboten. So berichtet der Talmud, dass es einige nicht ganz so geeignete Priester dennoch versucht haben - mit wenig wünschenswertem Ausgang…
  
All dies spielt heute keine Rolle mehr, da es bekanntlich keinen Tempel mehr gibt. Dafür wird heutzutage in den Synagogen von morgens bis abends gebetet. Ein beliebter Brauch ist es sich in Weiß zu kleiden als Zeichen der Reinheit ist.
  
Der Jom Kippur ist somit der Tag der Vergebung, Versöhnung und Freude auf die Zukunft.
  
Und die schlimmen Ereignisse 1973 und 2019? Nun, Jom Kippur ist auch ein Tag der Wunder. 1973 überstand und gewann Israel den Krieg. Auch 2019 hielt eine einfache Holztür den Neonazi auf, was als großes Wunder gewertet wurde, denn niemand in der Synagoge wurde verletzt. (Leider wurden zwei Passanten vom Täter nach dem Angriff zufällig erschossen).
  
Beendet wird der Jom Kippur mit dem Ne’ila Gebet, welches noch einmal mit letzter Kraft und Motivation gesprochen wird, bevor sich die Tore des Himmels schließen. Nach dem Blasen des Shofar - Horns heißt es dann für viele endlich: Essen!
  
Maximilian Feldmann
 
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