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Autor: Tobias Brenner
Ort: Idar-Oberstein, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion
Datum: 30.07.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca.10 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee: Fragen und Antworten im Interview mit CDU-Bundestagsabgeordneten Volkmar Klein
 

Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee: Fragen und Antworten im Interview mit CDU-Bundestagsabgeordneten Volkmar Klein

 
Nun ist es also offiziell: Die Hagia Sophia ist wieder eine Moschee. Doch mit dieser Entscheidung um die bisher als Museum genutzte byzantinische Kathedrale, löste die türkische Regierung eine internationale Welle der Empörung gegen sich aus. Doch darf die Türkei das überhaupt? Welches Ziel verfolgt die türkische Regierung damit? Was bedeutet das für die internationalen Beziehungen und die Region? Diese und weitere Fragen stellen wir dem Bundestagsabgeordneten der CDU, Volkmar Klein.
Lesen Sie dazu das aufschlussreiche Interview mit Ihm!
 
Zur Person:
Volkmar Klein (*1960) ist Diplom-Volkswirt und seit 2009 Bundestagsabgeordneter der CDU (Mitglied seit 1978). Er studierte von 1979 bis 1986 in Bonn Volkswirtschaft. Nach dem Abschluss des Studiums war Klein zunächst in der Wirtschaft tätig, war Bürgermeister in seinem Heimatort Burbach und ist seit 2003 Kreisvorsitzender der CDU in Siegen-Wittgenstein. Vor der Bundestagswahl 2009 war Volkmar Klein zwischen 1995 und 2009 Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Im Bundestag ist Volkmar Klein u.a. Obmann des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und Sprecher für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und seit 2013 Vorsitzender der Deutsch-Pazifischen Parlamentariergruppe. Darüber hinaus ist in den Vorständen der Deutschen Afrika Stiftung e.V., des Förderverein Siegerland Flughafen Dreiländereck e.V. sowie der Stiftung und Vereinigung für Grundwerte und Völkerverständigung aktiv. Zudem ist Volkmar Klein stellvertretender Beiratsvorsitzender des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland.
 
Herr Klein, Sie schrieben auf Facebook:
„Hagia Sophia: Die Entscheidung der Türkei, die uralte Kathedrale des Byzantinischen Reichs wieder zur Moschee zu machen, ist falsch. […]“
Woran machen Sie diese Beurteilung fest?
Zunächst muss ich mich diesbezüglich korrigieren: Die Verantwortung für diese Entscheidung trägt natürlich nicht das ganze Land bzw. die türkische Gesellschaft, sondern die türkische Regierung. In diesem Kontext halte ich die Entscheidung Erdogans bzw. der türkischen Regierung für falsch, da Erdogan diese Entscheidung nutzt, um eine Mehrheit hinter sich zu bringen bzw. aufzustacheln. Als Präsident wäre es aber viel wichtiger die Menschen zusammenzuführen. Dies gilt gerade für die Türkei mit ihren vielfältigen Volksgruppen. Dazu kommt es in einem demokratischen Staat vor allen Dingen drauf an, wie mit anderen Gruppierungen bzw. Minderheiten umgegangen wird. Allerdings möchte Erdogan offensichtlich nur der Präsident einer Mehrheit sein.
 
Generell halten Sie also die Entscheidung, die Hagia Sophia zur Moschee zu machen von vornherein für politisch motiviert?
Ja, und zwar mit genau dem Ziel der Konfrontation. Es ist ja zu beobachten, dass sich die wirtschaftliche Lage der Türkei verschlechtert, nicht zuletzt durch Entscheidungen der Regierung, aber natürlich auch durch das allgemeine Umfeld der Türkei. In der Vergangenheit war die wirtschaftliche Lage der Türkei sicherlich ein sehr großer Treibsatz für die Zustimmung zu Erdogan. Wenn dieser aber nun geringer wird, sucht er sich eben eher Konfrontationen, die er nutzt, um die Reihen hinter sich zu schließen, sprich: Die Reihen einer Mehrheit hinter sich zu schließen. Das alles geht aber auf Kosten der Einheit und Gemeinsamkeit des Landes – etwas was im Moment an verschiedenen Stellen, bis hin nach Amerika, zu beobachten ist.
 
Ganz allgemein: Warum beschäftigt Sie das Thema bzw. in welchem Zusammenhang beschäftigt Sie dieses Thema?
Also nach wie vor würde ich mich immer noch nicht als Fachmann für die Türkei sehen. Aber irgendwann habe ich durch Bekannte, Freunde und Familie immer mehr Kontakt zur Türkei aufgebaut. Mittlerweile war ich auch schon einige Male in Tur Abdin (Siedlungsgenbiet verschiedener christlicher Denominationen im Südostanatolischen Raum) und Istanbul gewesen. Durch diese Eindrücke wurde mir klar, dass die Türkei bei weitem nicht so ein monolithisches Land bzw. die türkische Gesellschaft nicht eine so monolithische Gesellschaft ist, wie Erdogan dies gerne hätte. Im Gegenteil fühlen sich viele in der Türkei nicht mitgenommen durch diese konfrontative Politik. Das gilt sowohl für die verschiedenen Ethnien, aber auch für die Religion. Insofern wäre es mir um den Willen der Einheit der Türkei sehr viel lieber, wenn der türkische Präsident verantwortungsvoller mit solchen Angelegenheiten umgehen würde. Darüber hinaus ist die Türkei nicht nur als einer unserer NATO-Partner für uns ein politisch wichtiges Land. Deshalb müssen wir uns mit den dortigen Geschehnissen auseinandersetzen. Neben der Gefährdung der inneren Einheit der Türkei, müssen wir uns aber auch mit der schwierigen Lage zwischen der Türkei und Griechenland beschäftigen.
 
Zurück zur Hagia Sophia: Warum darf die Türkei nicht mit Ihren Museen, Gebäuden und Gotteshäusern machen, was sie für richtig hält?
Naja, als Eigentümer eines Gebäudes mag die Türkei das vielleicht juristisch dürfen – auf der anderen Seite wäre es meiner Meinung nach viel besser, das große Ganze im Blick zu behalten. Hier habe ich jedoch den Eindruck, dass man die Hagia Sophia dazu benutzt, eine erneute bzw. späte Siegesfeier der Eroberung Konstantinopels zu inszenieren. Ich glaube, dass das eben für die heutige Lage innerhalb der Türkei, aber auch rund um die Ägäis nicht besonders förderlich ist. Insofern kann und möchte ich das juristisch nicht beurteilen, politisch sehe ich dies aber als nicht förderlich an.
 
Vor dem Hintergrund, dass auch in unseren Breitengraden viele Gebäude durch die Jahrhunderte eine unterschiedliche Nutzung erfahren haben: Warum ist es Ihrer Meinung nach nicht richtig, dass nun in einem ursprünglich als Gotteshaus gebauten Gebäude wieder gebetet werden darf? Wie es heißt, sollen Touristen – außerhalb der Gebetszeiten – in Zukunft wieder Zugang zur Hagia Sophia erhalten.
Letzteres wissen wir noch nicht so genau. Allerdings vertrete ich auch keineswegs die Meinung, dass man in der Hagia Sophia nicht beten soll. Das kann man sowieso individuell tun und habe ich selbst auch schon getan. Allerdings geht es hier um Macht, sprich: Hier steht nicht das Beten im Vordergrund, sondern die Machtdemonstration.

In Ihrem eingangs zitierten Facebook-Statement zur Entscheidung um die Hagia Sophia schreiben Sie weiter:
„Das dient ganz sicher nicht dem Frieden und Ausgleich, auch nicht in der Türkei. Seit Kemal Atatürk wurden die unschätzbar wertvollen Mosaike und Ikonen restauriert und gezeigt und haben auch mich bei dem zurückliegenden Besuchen begeistert. Es sind christliche Zeugnisse, aber auch einmalige Kulturgüter, die jetzt in Gefahr sind.“
In Bezug auf die Gefährdung der Kulturgüter: Woran manchen Sie diese Einschätzung fest?
Ich habe geschrieben, dass sie jetzt in Gefahr sind – dagegen sehe ich noch nicht, dass sie zerstört sind oder werden. Allerdings muss man darauf hinweisen, denn: In der Vergangenheit, nach der Eroberung Konstantinopels, wurden diese Kulturgüter mit Verweis auf den Koran zerstört. Dann wurden sie wieder durch Mustafa Kemal Atatürk zum Teil restauriert; jedenfalls sind alle jetzt eindrucksvoll sichtbar. Das alles ist aber mit dem Betrieb einer Moschee aber offensichtlich nicht vereinbar. Insofern wäre es gut, wenn diese großartigen Ikonen weiterhin beispielsweise nur zugehängt und nicht abgebaut werden. Letzteres kann aber gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden. Daher einfach nur mein warnender Hinweis, dass die Kulturgüter offensichtlich in Gefahr sind. Es ist nun an uns, dies weiter zu beobachten.
 
Aus ihrer Perspektive als Bundestagsabgeordneter der CDU heraus: Wie beurteilen Sie die Positionierung der Bundesregierung aber auch der EU im Umgang mit der religiös motivierten Umgestaltung der Türkei, die die Säkularisierung scheinbar immer mehr zurückdrängt?
Auch hier muss man sicherlich beobachten, was wie und wo passiert. Ich persönlich war bei meinem ersten Besuchen in der Türkei eher überrascht, was alles geht  bzw. was anscheinend alles bisher auch noch geht und darüber, dass beispielsweise bei den Syrisch-Orthodoxen durchaus die Hoffnung bestand, dass genau wegen der höheren Wertschätzung von Religion in der Türkei sie dann auch noch mal wieder einen Platz erhalten könnten. Das liegt aber nicht zuletzt daran, dass es nicht vor, sondern mit Erdogan eine ganze Reihe Rückkehr-Projekte gab von christlichen Aramäern beispielwiese wie etwa nach Tur Abdin.
In Istanbul wird für mehrere Kirchen ganz offen in der Fußgängerzone zum Beispiel an der Franziskaner Kathedrale geworben, um rein zu kommen und dann an einem der Kurzgottesdiensten teilzunehmen. So viel zu meinem Eindruck. Aber das ist alles dem Umstand geschuldet, dass die jetzige Regierung die religiöse Dimension des Menschen überhaupt wertschätzt, was durchaus als etwas Positives gesehen werden kann. Auf der anderen Seite kann man sich dies natürlich erlauben, wenn man die ganz große Mehrheit sowohl religiös als auch ethnisch eher hinter sich weiß und auch immer wieder aufstachelt. Insofern bin ich da noch ein bisschen zurückhaltend was die Zurückdrängung der Säkularisierung betrifft. Es hat auch wertschätzende Argumente oder Inhalte für alle – wenn das allerdings am Ende dazu führt, dass die Ausgrenzung dann doch in den Mittelpunkt gestellt wird, weil die Wahlergebnisse erodieren, dann ist das glaube ich ein sehr großes Problem. Anscheinend muss man leider aber nun von Letzterem ausgehen. Dadurch gestaltet sich das Leben in der Türkei aber sicherlich komplizierter.
 
Aus Ihrer Perspektive: Wie beurteilen Sie den Umgang mit der Türkei?
Ich glaube, dass das eine schwierige Frage ist. Da geht es natürlich eher um demokratische Rechte und die großen Sorgen, die auch in der Türkei bestehen. Wie ich schon sagte, zählt die Türkei auch weiterhin zu unseren Freunden, sonst wäre sie ja auch nicht in der NATO. Damit steigt aber auch das Anspruchsniveau. Wir wollen ja mit unseren Freunden eine gleichgesinnte Gemeinschaft bilden, die sich auch dementsprechend verhält.
In diesem Kontext mache mich mir aber auch große Sorgen um Libyen, Syrien und Irak und die dortigen militärischen Konflikte. Hier ist leider von gleichgesinntem, gemeinsamen Auftreten leider gar nichts zu spüren. Das macht das alles natürlich sehr schwierig. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen: Wenn wir jetzt auch noch darauf verfallen, dem nur noch markige Sprüche entgegenzusetzten, wird sich die Situation in der Ägäis auch nicht verbessern. Daher glaube ich, dass wir auf der einen Seite unsere Positionen deutlich machen müssen und auf der anderen Seite aber auf gar keinen Fall das halbwegs gute Gesamtklima komplett zerstören dürfen.
Denn: trotz der markigen Sprüche funktioniert selbst zwischen der Türkei und Griechenland die Zusammenarbeit ganz gut – die wir im Übrigen auch brauchen, um die Flüchtlingskrise nicht wieder aufflammen zu lassen. Das geht natürlich nur, wenn auch auf der türkischen Seite ganz konsequent gegen Schleuser vorgegangen wird und nicht noch die Leute animiert werden, sich auf den Weg zu machen. Das alles ist natürlich auch in Gefahr und macht die komplexe Lage deutlich.
Mit Blick auf den Umgang glaube ich daher, dass wir oder das auch unsere Bundeskanzlerin bisher sehr angemessen mit der Türkei umgegangen ist. In der Vergangenheit hätte ich mir zwar manchmal eine etwas kritischere Einschätzung von Seiten der EU gewünscht – aber das hat ja wiederum was mit der EU-Beitrittsfrage zu tun. Insgesamt bin ich aber mit unserer Position schon sehr zufrieden.
 
Was bedeutet die Entscheidung um die Hagia Sophia für die Beziehungen zwischen Europa und der Türkei?
Ist die Türkei in Ihren Augen noch ein Kandidat für einen EU-Beitritt?
Für mich persönlich bewerte ich die jetzige Entscheidung um die Hagia Sophia in Bezug auf die EU nicht besonders hoch, weil dies meine Position diesbezüglich ohnehin nicht verändert hat. Dazu muss ich außerdem sagen, dass ich die enge Verbindung zwischen Deutschland und der Türkei für ganz wichtig erachte, auch die gute Freundschaft, die mittlerweile eine sehr lange Tradition hat. All das ist aber überhaupt kein Grund dafür, die Türkei in die EU aufzunehmen. Hier halte ich das Konzept der besonderen Partnerschaft, dass wir als CDU formuliert haben für eigentlich zielführend.
Dazu kommt, dass wir, verbunden mit der Fragestellung ‚Wofür steht Europa?‘, ohnehin schon genug Schwierigkeiten haben, Europa zu definieren. Wenn ich dann weiter überlege, wer noch alles zu Europa dazu gehören sollte, wäre für mich auch ein Land wie die Ukraine sehr viel früher dran: Dort handelt es sich bei Städten wie Odessa, Lemberg oder auch Kiew um Orte, die auch eine europäische Geschichte haben. Da müsste man dann eher über einen EU-Beitritt nachdenken, während die Türkei natürlich eine andere Identität hat als etwa die Ukraine – nicht zuletzt, weil die Türkei auch eine andere Geografie hat als in Europa.
Letzten Endes wäre es mir aber vor allem wichtig, alle Möglichkeiten auszuloten, um die Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Griechenland noch zu intensivieren. Das ist etwas, was beiden Ländern am Ende wirtschaftlich nutzen würde. Durch die Entscheidung, um die Hagia Sophia wird dies nun zwar definitiv erschwert. Gerade mit Blick auf Griechenland mache ich mir da große Sorgen. Allerdings bin ich der Meinung, dass es trotzdem Sinn macht sich über solche Fragen Gedanken zu machen. Es gibt ja auch ziemlich viele, die das können, weil sie in beide Länder persönliche Beziehungen und familiäre Verbindungen unterhalten. Letztendlich brauchen wir da einfach ein besseres Klima – und da haben wir noch gar nicht über Zypern gesprochen, wo der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei allen das Leben unnötig schwer macht. Neben einer Verbesserung des Klimas, darf sich die Gesamtlage rund um die Ägäis keinesfalls noch weiter verschlechtern.
 
Stichwort Zypern: Hier droht ja der Konflikt vor dem Hintergrund der kürzlich erfolgten illegalen Gasbohrungen seitens der Türkei nach weiter zu eskalieren.
Ja, aber dort hat offenbar Angela Merkel für den entscheidenden Verhandlungserfolg gegenüber der Türkei gesorgt, dass sie dieses Vorhaben erstmal unterlassen. Dieses Beispiel zeigt aber vor allem: Der Türkei ist sowas zumindest nicht völlig egal. Insofern haben wir vielleicht sogar größere Möglichkeiten und Hebel als wir das manchmal selbst denken.
 
Vielen Dank für Ihre Einschätzungen Herr Klein!
 
Tobias Brenner,
06.08.2020
 
 
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Die Internetseite und Kontaktdaten zu Volkmar Klein finden Sie mit diesem Link

 

 

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