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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
  
Autor: Sarah Fuhrmann
Ort: Augsburg, Deutschland
Format: Text
Thema: Gesellschaft, Religion
Datum: 11.11.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca. 5 Minuten  
Sprache: Deutsch
Titel: Gottesdienste in der Krise
 
 

Gottesdienste in der Krise

 
Christian Gerges ist Mediziner und Oberarzt an einem evangelischen Krankenhaus. Gerges ist auch gläubiger Christ und gehört der koptischen Gemeinde in Düsseldorf an, die eine der ältesten christlichen Denominationen weltweit ist und ihren Ursprung in Ägypten hat. So wie in vielen anderen Kirchen in Europa aber auch im Nahen Osten, sind auch die Kopten gezwungen, Messen den neuen Bedingungen anzupassen oder virtuell abzuhalten. Das ist für viele Gläubige schwierig, da gerade das gesellschaftlich – soziale Umfeld für viele Christen einen hohen Stellenwert hat. Mit Gerges unterhalten wir uns über mögliche Lösungsansätze, die konzeptionell auch auf andere Glaubensgemeinschaften übertragbar wären.
 
Christian Gerges ist Mitglied und kooptierter Vorstand im ZOCD.
 
Herr Gerges, als Mediziner können Sie uns sicherlich beantworten, welche Gefahren aktuell für Gläubige beim Besuch eines Gottesdienstes in einer Kirche, Moschee, Synagoge bestehen.
Es gibt mehrere Aspekte, durch die eine Ansteckung mit Covid19 möglich ist. Natürlich zum einen durch die Nähe zu anderen Menschen, die in einer Kirche entsteht. Es kommt vor allem auch durch den Gesang in der Kirche zur Bildung von Aerosolen, wodurch eine Ansteckung noch begünstigt wird. Eine weitere Ansteckungsgefahr besteht natürlich auch bei der Mundkommunion, bei der jeder die Hand des Priesters in den Mund bekommt.
 
Als führendes Mitglied einer der größten koptischen Gemeinden haben Sie sicherlich an Lösungskonzepten gearbeitet. Wie sehen diese aus?
Wir haben bereits die Anzahl der Gottesdienstteilnehmer begrenzt und jeder Teilnehmer muss sich im Voraus anmelden. Außerdem sind Eingang und Ausgang separat, sodass sich die Leute nicht begegnen, wenn sie die Kirche betreten oder verlassen. Innerhalb der Kirche wird jede zweite Bank freigelassen und die Sitzplätze werden den Teilnehmern zugewiesen. Allgemein gelten in der gesamten Kirche eine Maskenpflicht und das Einhalten des Mindestabstandes.
 
Wie lange hält das eine Gemeinde durch, ohne dass die Gemeinschaft in Depression verfällt, was psychologisch äußerst schädlich sein kann?
Eine große Gefahr für die Gemeinde ist natürlich, dass das Gemeinschaftsgefühl verloren geht, da die Leute leider nicht mehr zusammenkommen können. Noch dazu kommt, dass die Kollekte, welche unsere Haupteinnahmequelle ist, im Prinzip durch diese eingeschränkte Teilnehmerzahl immer weniger wird. Dies hat leider zur Folge, dass einige Gemeinden auch in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
 
Wie offen ist der Klerus gegenüber neuen Ansätzen?
Unsere Gottesdienste werden bereits auf YouTube oder Facebook übertragen. Jedoch gab es große Diskussionen bezüglich der Kommunion. Viele Gläubige glauben daran, dass während der Kommunion keine Ansteckungsgefahr besteht, da dies ja der heilige Leib und das heilige Blut Christi ist. Ich als Mediziner habe jedoch immer argumentiert, das stimmt, aber der Priester ist nun mal ein Mensch und eben nicht göttlich, sodass ich mich bei ihm dennoch anstecken kann. Deshalb war es uns so wichtig, ein so intensives Hygienekonzept durchzuführen und somit zu verhindern, dass es auch während der Kommunion zu Infektionen kommt. Damit wir unsere Kirche auch in der Krise finanzieren können, haben wir außerdem versucht unsere Gemeindemitglieder anzuschreiben, um auf Überweisungsverfahren umzustellen. Dadurch hoffen wir die momentane eher geringe Kollekte etwas auszugleichen zu können
 
Werden die neuen Wege nach der Krise fester Bestandteil sein oder kehren wir zu unserem Alltag zurück?
Ich denke, dass vor allem die Onlineangebote auf jeden Fall bleiben werden und hoffentlich auch die Daueraufträge in Form von Überweisungen, da diese einen besseren Finanzplan gewährleisten. Demnach bin ich auch der Meinung, dass uns diese Pandemie auch neue Möglichkeiten und Vorteile für die Zukunft gegeben hat.
 
Gemäß Ihrer Einschätzung als Mediziner, ab wann könnte wieder so etwas wie Normalität einkehren?
Ich glaube, dass es leider keine Normalität vor Ende des nächsten Jahres, wenn nicht sogar Ende des übernächsten Jahres geben wird. Denn selbst wenn im Frühjahr mit einer Massenimpfung begonnen werden kann, gibt es immer noch offene Fragen. Wir wissen noch nicht genau, wie lang dieser Impfstoff überhaupt halten und ob er die Krankheit ganz oder nur einen schlimmen Verlauf verhindern wird. Zudem kann es sein, dass zwar jemand nicht ins Krankenhaus muss, aber trotz Impfstoff infektiös ist. Wenn das der Fall sein sollte, dann müssen wir bis alle geimpft sind, dennoch die Abstandsregeln und Maskenpflicht einhalten. Da in Deutschland knapp achtzig Millionen Menschen leben, wird das vor allem dauern, bis alle geimpft wurden. Dennoch denke ich, dass wir es nächstes Jahr einfacher haben werden als jetzt und nicht mit großen Lockdowns rechnen müssen. Die Maskenpflicht wird uns jedoch auch im nächsten Jahr noch begleiten.
 
In welcher Art und Weise hilft Ihnen Ihr Glaube bei der Bewältigung der aktuellen Situation?
Unsere Hoffnung liegt immer in Christus. Es gibt da den Satz „Die schlimmste Sünde ist es die Hoffnung zu verlieren“ und solange man glaubt, gibt es Hoffnung. Ich glaube, dass dies das Wichtigste ist, um durch so eine schlimme Zeit zu kommen.
 
Sarah Fuhrmann
13.11.2020
 
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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
 
Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de