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Autor: David Fuhrmann
Ort: Stuttgart, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion
Datum: 18.5.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 10 min.
Sprache: Deutsch
Titel: Frieden mit Dir – Das Salam Center in Stuttgart

 

 
 

Frieden mit Dir – Das Salam Center in Stuttgart

 

Dr. Hanna Nouri Josua wuchs im Libanon auf und studierte dort an der amerikanischen Universität von Beirut Politikwissenschaft und Islamgeschichte sowie an der Evangelisch Theologischen Fakultät Löwen in Belgien Evangelische Theologie. Nach einer Ausbildung zum Diakon und Prediger wurde er Pfarrer der Arabischen Evangelischen Gemeinde in Stuttgart. Dort gründete er die Evangelische Ausländerseelsorge e.V., aus der sich später das Salam-Center entwickelte.

Seine Frau Heidi Josua ist Mitglied im ZOCD.

 

Das Salam Center hat es sich zum Ziel gesetzt, in Form von Publikationen, Seminaren und kulturellen Veranstaltungen an verschiedenen Orten in Deutschland zwischen den abrahamitischen Religionen zu vermitteln. Die Webseite offenbart zahlreiche Möglichkeiten, um sich über die Aktivitäten der Initiatoren zu informieren.

 

Mit Heidi und Hanna Josua sprachen wir über die Beweggründe, die zur Entstehung des Salam – Centers geführt haben.

 

Salam bedeutet auf Arabisch Frieden – Brauchen wir mehr Frieden in Deutschland?

Definitiv! Gerade in Zeiten wie diesen brauchen wir mehr Frieden. Schon seit längerem wachsen der Nationalismus und radikale Bewegungen, die versuchen den Frieden zu zerstören, der die letzten Jahrzehnte erarbeitet wurde. Die Gräben zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen sind inzwischen größer, als wir es uns jemals vorstellen konnten. Deswegen haben wir uns auch in Salam-Center umbenannt. Wir wollten einen positiven Begriff in Deutschland einführen und damit Frieden stiften: Frieden mit Gott, dem Nächsten aber auch zwischen den Religionen.

 

Mit Blick auf die Scharia im Nahen Osten – Ist gleichberechtigter Frieden zwischen Islam und anderen Religionen überhaupt möglich?

In der modernen arabischen Welt haben die Menschen verstanden, dass die Scharia nicht in allen Lebensbereichen durchführbar ist. In manchen Teilen, wie z.B. der Wirtschaft, wird sie teilweise sogar bewusst ignoriert, aus rein pragmatischen Gründen, damit ein Land überhaupt regierbar wird. So pflegen die Saudis und Golfstaaten einen engen Kontakt mit dem Westen. Dort liegt ihr Geld, investiert in den Aktienmärkten. Mein früherer Professor für Politik- und Islamwissenschaften an der University of Beirut sagte einst: Wer zuerst aufwacht, der regiert. Wer also zuerst die Scharia nach seinen Gunsten auslegt, bekommt die Macht. Das hat man dort begriffen. Die Christen haben lange Zeit nicht kapiert, dass man mit Säkularismus viel besser fährt, anstatt sich auf religiöse Engstirnigkeit zu beschränken. Von Anfang an konnte sich die Scharia nur durchsetzen, weil sie gegen die Christen und alle anderen Religionen gerichtet war, da sie die Menschen in Gläubige und Ungläubige einteilt. Damit geht meist ein Konflikt einher. Das Problem liegt hier also in der Frage, nicht der Antwort. Ich habe dann ein Problem mit ihr, wenn sie meine Rechte als Mensch und Staatsbürger einschränkt. Es gab eine Zeit in der Christen und Muslime Seite an Seite gelebt haben. Die orientalischen Christen haben die Muslime sogar den Byzantinern vorgezogen.

 

Wie gestaltet sich dieser im Salam Center?

Ich denke wir müssen unterscheiden zwischen einer menschlichen und einer politischen Ebene. Da ist zum einen der sozialdiakonische Aspekt: wir sind offen für alle und helfen jedem in Not. Auf der anderen Seite suchen wir aber auch das Gespräch mit liberalen Theologen, die den politischen Islam genauso ablehnen wie wir. Deswegen kamen wir aus dem Orient nach Deutschland, wir wollten dem politischen Islam entkommen, egal ob sunnitisch oder schiitisch.

 

Gibt es Differenzen, die angegangen werden und wenn ja, wie werden sie gelöst?

Die gibt es immer. Wir stehen für Säkularismus und Demokratie. Deswegen glauben wir, dass Gewissen und Religionsfreiheit nicht durch die Glaubensweise beeinträchtigt werden dürfen. Wenn jemand sich gerne taufen lassen möchte, dann wird er getauft. Gleichzeitig soll er aber vorher einen Taufkurs besuchen und sich mit dem Katechismus vertraut machen. In diesem Prozess arbeitet der Täufling seine Vergangenheit auf und kann dann für sich entscheiden, ob ein christliches Leben für ihn auch wirklich Sinn ergibt. Der christliche Glaube entsteht nicht aus den Scherben anderer Religionen, sondern aus dem Menschen selbst. Er soll keine anderen Religionen abwerten. Dieser Aspekt ist für uns sehr wichtig!

 

Menschen aus dem Nahen Osten debattieren sehr emotional. Wie gehen Sie damit um?

Das ist eine Frage der Toleranz! Diktaturen gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch der Gesellschaft, wenn z.B. ein Sippenoberhaupt über die ganze Familie uneingeschränkt herrscht. Damit die Menschen das verstehen und beginnen die Dinge vielleicht anders zu sehen, ist Toleranz entscheidend. Mir ist klar, dass es nicht auf alle Fragen klare und einfache Antworten gibt. Deswegen ist es wichtig den anderen zu verstehen und erstmal die eigene Meinung und manchmal auch Lebensweise zu überdenken. Das ist ähnlich wie in unserer Ehe. Ich kam als Prosperianer aus dem Libanon, jetzt bin ich Lutheraner. Es gibt viele unterschiedliche Auffassungen von Glück, Toleranz ist dafür der entscheidende Faktor.

 

Wie können pragmatische Politiker, Kleriker, Bürger, die die nahöstliche Gefühlswelt nicht kennen, von Ihrer Arbeit und Seminaren profitieren?

Sie sollten wie gesagt im Sinne der Toleranz handeln und sich vor allem genauer mit dem jeweiligen Volk und Religion auseinandersetzen. Wir haben Leute von Marokko bis zum Golf in unserer Gemeinde. Wie soll ich diese Leute zufriedenstellen, wenn nicht jeder ein gewisses Maß an Toleranz miteinbringt. Aber sowas geschieht nicht von heute auf morgen, es braucht Zeit! Wenn wir uns treffen und austauschen, erkennt man, welche Gedanken im Kopf halt haben und welche nicht.

 

Populismus, Ängste vor dem Islam, Fake News… wie beeinflussen diese Probleme die aktuellen Debatten, besonders im Zusammenhang mit Flüchtlingen?

Auf beiden Seiten werden Menschen instrumentalisiert. Rechte schüren Ängste bei Christen vor dem Islam. Muslime nutzen die Scharia, um Hass zwischen dem Islam und anderen Religionen zu säen. Es ist wichtig und richtig die Dinge beim Namen zu nennen, die in der islamischen Welt nicht funktionieren. Aber man sollte diese Debatte nicht auf dem Rücken der Flüchtlinge führen. Vor allem dann nicht, wenn man so viel Geld mit Geschäften in der dritten Welt macht. Die Nachwirkungen der Waffenexporte dorthin müssen den Europäern klar sein. Jeder dritte im Libanon ist ein syrischer Flüchtling und Deutschland behauptet, es könne keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen? Die Türkei ist so groß wie Deutschland und hat vier Millionen Syrer im Land! Deswegen habe ich kein Verständnis für die Polemik gegenüber Flüchtlingen. Nicht nachdem man jahrzehntelang inaktiv war, obwohl sich diese Krise bereits abzeichnete.

 

Was sind Ihre Lösungsansätze im Salam Center?

Das ist wieder die Toleranz. Wir suchen die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft der Muslime, die schweigende Mehrheit. Da versagte die Politik der letzten Jahre, weil sie nur mit Vereinen und Dachverbänden arbeitet, die meistens von außen gesteuert werden. Die heimischen Vereine wurden alle vernachlässigt. Gelegentlich schreiben wir auch Bücher (lacht). Mein Buch „Ibrahim der Gottesfreund“ ist auch nach vielen Jahren noch aktuell und bis heute habe ich noch keine einzige negative Rezension gelesen.

 

Was wünschen Sie sich in der durch die sozialen Medien aufgeheizten Debatte?

Man muss nicht alles gesetzlich regeln. Im Prinzip kann man ja nichts direkt gegen die sozialen Medien machen. Die Leute schnappen etwas auf und teilen es, ohne nachzudenken. Das wird vor allem jetzt während der Corona-Krise deutlich. Man muss sich mehr mit dem Inhalt auseinandersetzen. Wir Orientale sind leider schlecht in der Selbstkritik. Daran müssen wir arbeiten und beginnen, uns selbst zu hinterfragen. Wir müssen überlegen, ob das was wir sagen und machen, auch von uns selbst kritisch hinterfragt und nicht nur auswendig wiederholt wurde. Wir alle müssen selbstkritischer werden!

 

Ich danke dem Ehepaar Josua für das interessante Interview. Ich empfehle jedem, der sich neben dem Salam-Center für die weitere Arbeit von Dr. Hanna Josua interessiert, dessen umfangreiche Bücher.

 

David Fuhrmann

18.5.2020

 

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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal

 

Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de