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Autor: Jan Gehm

Ort: Türkei

Format: Text

Thema: Religion, Minderheiten

Datum: 27.11.2023

Portal: ZOCD.DE

Textdauer: 2 Minuten

Sprache: Deutsch

Titel: Eine neue Kirche in Istanbul

 

Eine neue Kirche in Istanbul

 

Erstmals seit der Gründung der Republik Türkei wurde der Bau einer neuen syrisch-orthodoxen Kirche in Istanbul genehmigt und durchgeführt. Der ZOCD hat zu diesem außergewöhnlichen Ereignis ein Interview mit dem Subdiakon Abgar Ay geführt.

 

 Abgar Ay ist 23 Jahre alt, Mitglied der Syrisch-Orthodoxen Kirche und im Vorstand des ZOCD. Seine Familie stammt ursprünglich aus dem Südosten der Türkei (Tur Abdin). In den 80ern kam seine Familie nach Deutschland und siedelte sich in der Nähe der hessischen Stadt Bebra an. Als aktives Mitglied der Syrisch-Orthodoxen Kirche ist Abgar Ay seit 2010 Messdiener gewesen und 2016 zum Subdiakon geweiht worden. Neben seinen kirchlichen Tätigkeiten studiert er Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Kassel.

  

Was bedeutet der Kirchenneubau in Istanbul für syrisch-orthodoxe Christ/-innen in der Türkei?

 

Zunächst einmal ist der Kirchenneubau in Istanbul ein historisches und bisher einmaliges Ereignis. Erstmals wurde in der Geschichte der türkischen Republik, welche seit 1923 besteht, wurde eine Baugenehmigung für eine neue Kirche erteilt und dann gebaut. Diese Kirche ist für syrisch-orthodoxe Christen in Istanbul von großer Bedeutung, da die Gemeinde bisher keine adäquaten Alternativen für Gottesdienste und Zusammenkünfte hatte. Die bisher einzige Kirche im Istanbuler Bezirk Beyoğlu war zu klein für die Gemeinde, die heute ca. 17.000 Mitglieder zählt. Die syrisch-orthodoxe Gemeinde konnte vor dem Kirchenneubau in den anderen Kirchen in der Umgebung, beispielsweise in der katholischen Kirche im Bezirk Yeşilköy, nur zu bestimmten Zeiten Gottesdienste feiern. So hat der syrisch-orthodoxe Bischof von Istanbul und Izmir, Bischof Yusuf Cetin, geschildert, dass bei großen Zeremonien mehr als die Hälfte der Gläubigen draußen stehen musste. Dies bereitete vorwiegend witterungsbedingt Schwierigkeiten. Um diese zu überwinden, ist die neu geweihte Mor Ephrem Kirche, benannt nach dem Heiligen Ephräm der Syrer, in Istanbul für die syrisch-orthodoxe Gemeinde als zweite Kirche in der Millionenmetropole wirklich essenziell. Für syrisch-orthodoxe Christen in der Türkei ist es auch ein Zeichen, dass ihre Stimme durchaus gehört wird, wenn sie als Einheit in den Dialog mit der Türkei treten.

 

Wie lange wurde dieser Bau geplant und wie ist die Umsetzung vonstattengegangen?

 

Grundsätzlich ist es so, dass unter diversen Auflagen und Genehmigungen ein Neubau von Kirchen in der Türkei seit den 2000erJahren möglich ist. Die syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul sind vor etwa 13 Jahren in den eben von mir erwähnten Dialog getreten. Sie besuchten den Präsidenten sowie den damaligen Premierminister Erdogan und baten um ein Gotteshaus für die Gemeinde in Istanbul. Unter der Regierung Erdogans wurde dann ein Grundstück für die syrisch-orthodoxe Kirche im Istanbuler Bezirk Yeşilköy zugewiesen. Durch den intensiven Dialog mit dem türkischen Staat konnten schließlich auch bürokratische Probleme behoben werden. Mit der einstigen Eigentümerin dieser Fläche in Yeşilköy, der katholischen Kirche, gab es einen Gerichtsprozess, da die katholische Kirche wieder als Eigentümerin des Grundstücks anerkannt werden wollte. Dadurch kam es zu einem zwischenzeitlichen Baustopp mit entsprechenden Verzögerungen. Für die Katholiken ist der Neubau nun dennoch ein Zeichen für Vielfalt und Bereicherung und kein Hindernis für die Ökumene. Im Jahr 2015 erhielt das Vorhaben die Genehmigung des Denkmalschutzes. Die Grundsteinlegung erfolgte im Jahr 2019, in Anwesenheit hoher christlicher Würdenträger und durch Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die feierliche Eröffnung der Kirche war am 8. Oktober dieses Jahres. Sie wurde vom türkischen Präsidenten persönlich eröffnet. Eine Woche später wurde sie vom syrisch-orthodoxen Patriarchen Afrem Karim feierlich eingeweiht.

 

Du hast vorhin geschildert, dass ein Kirchenneubau notwendig war, weil eine einzelne Kirche nicht mehr für die Menschen ausreichte. Gab es noch weitere Gründe, warum es wichtig war, eine neue Kirche zu bauen?

 

Die Kirche ist notwendig, um den eigenen Glauben ausüben zu können und um das Recht der Religionsfreiheit zu wahren. Automatisch ist es dann weniger Aufwand in der Organisation für die Gemeinde, da die syrisch-orthodoxe Gemeinde ihre Gottesdienste in bis zu sieben weiteren Kirchen in Istanbul organisieren musste und dort bestimmte Zeitfenster hatte. Durch die neue Kirche hat man mehr Raum und Platz. Dieser Platz ist auch notwendig. Man hat einen eigenen Gemeindesaal, der in einem der fünf Stockwerke des Gebäudes ist und der als ein Ort der christlichen und kulturellen Zusammenkunft dient. In der Kirche selbst finden insgesamt 700 Menschen Platz und können dem Gottesdienst und den Riten beiwohnen.

 

Wie wurde das Gebäude finanziert? Hat die Gemeinde die Kosten eigenständig bewältigt oder gab es Spenden aus der Diaspora oder Unterstützung vom türkischen Staat?

 

Das Gebäude wurde durch Spenden der Gemeindemitglieder finanziert. Dabei handelte es sich um enorme Ausgaben in Höhe von etwa 3,5 Millionen Euro. Das Grundstück an sich wurde von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt. Aber weitere Hilfen vom Staat in diese Richtung gab es nicht.

 

Welche Bedeutung hat dieser Kirchenneubau jetzt für die syrisch-orthodoxe Gemeinschaft in der Diaspora? Du kannst konkret von der Stimmung aus deiner Gemeinde in Bebra berichten.

 

Ein Großteil meiner Gemeinde und viele syrisch-orthodoxe Christen in Europa wurden im Tur Abdin, im Südosten der Türkei, geboren oder haben ihren familiären Ursprung dort. Trotz des sicheren und freien Lebens hier in Deutschland und Europa ist die Verbundenheit zur Wiege der eigenen Kirche, die dort ihren Ursprung hat, auch nach wie vor groß. In den vergangenen Jahren erlebt die Region Tur Abdin einen spürbaren Aufwind: mehr Besucher aus Europa zieht es dorthin, um die Dörfer und die Häuser zu pflegen und zu renovieren. Teils leerstehende Kirchen und Klöster wurden unter anderem mit Hilfe von Vereinen aus Europa renoviert und erstrahlen im frischen Glanz. Der Neubau der Kirche in Istanbul ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die syrisch-orthodoxe Community mit dem Wunsch, in der Türkei diesen Neubau zu vervollständigen, ein großes Ziel erreichen konnte. Dieses Zeichen kommt nicht nur in der Türkei, sondern auch in Europa und Deutschland an. Hier wurde der Neubau der Kirche begrüßt und als Zeichen der Religionsfreiheit in der Türkei gesehen. Wenn ein Dialog zur Entwicklung mit dem türkischen Staat möglich und zielführend ist, dann erst können die Menschen in Frieden, frei und sicher dort leben und die Gegend besuchen.

 

Hierbei ist zu erwähnen, dass es Minderheiten in der Türkei historisch gesehen schwer haben. Zumal die syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei nicht offiziell als Minderheit anerkannt sind. So wurden Christen im Tur Abdin unterdrückt und eingeschränkt. Es wurden in der Vergangenheit ihre Schulen geschlossen sowie Klöster und Besitztümer enteignet. Einiges davon ist zwar inzwischen rückgängig gemacht und zurückgegeben worden, jedoch nicht alles. Hier sehe ich die Pflicht der syrisch-orthodoxen Community, ihre Rechte einzufordern und nicht nur eine wartende Rolle einzunehmen. Diesbezüglich wurden schon Anstrengungen unternommen, diese bedarf es jedoch weiterhin aufrechtzuerhalten und zu steigern. Die syrisch-orthodoxen Christen müssen dafür als Einheit auftreten und wie zuvor erwähnt den Dialog mit dem türkischen Staat suchen, wie es auch die Gemeinde in Istanbul für den Kirchenneubau getan hat. Und Präsident Erdogan hat bei der Grundsteinlegung 2019 selbst gesagt, dass die Türkei die Rechte und Freiheiten aller Bürger erweitern wolle. Demnach sollte der türkische Staat aus dem Aspekt der Religionsfreiheit heraus sowie für den Schutz der syrisch-orthodoxen Christen, als Ureinwohner dieser Region, offen sein für die Forderungen nach Rechten der Community.

 

Jetzt hast du einen interessanten Punkt angesprochen, bezüglich des ambivalenten Verhältnisses zwischen der syrisch-orthodoxen Gemeinschaft und dem Staat. Neben diesem Kirchenneubau hat es auch in der Vergangenheit negative Beispiele gegeben, wie die Enteignung von Klöstern oder Ländereien. Wie siehst du vor dem Hintergrund dieses Verhältnisses den Kirchenneubau?

 

Meiner Meinung nach ist der Neubau der Kirche in Istanbul ein gutes Zeichen in puncto Religionsfreiheit. Ob die Religionsfreiheit für die Minderheiten im Land immer gewährleistet, ist beziehungsweise eine positive Entwicklung genommen hat steht auf einem anderen Blatt.

 

Der Neubau der Kirche in Istanbul verbessert die Situation der Gemeinde dort, löst jedoch nicht alle anderen Probleme der Syrisch-Orthodoxen im Land. Ich bin der Meinung, dass das von dir angesprochene Verhältnis primär durch die Wahrung der Rechte für die Minderheiten verbessert wird. Damit möchte ich sagen, dass ein Leben in Gleichberechtigung den Neubau der Kirche untermauern würde, um nicht nur als Symbol eingeordnet zu werden. In diesem Zuge gilt es zu betonen, dass die muslimische Glaubensgemeinschaft sehr stark vom Staat über das Religionsministerium Diyanet finanziert wird. Das heißt wiederum, dass die Minderheiten in der Türkei in dieser Hinsicht nicht gleichberechtigt sind wie die muslimische Mehrheit. Und vorhin habe ich zudem von den Enteignungen von Klöstern und Besitztümern gesprochen. Hinzu kommt, dass die syrisch-orthodoxen Christen im Tur Abdin immer wieder durch Nachrichten und eigene Ereignisse erfahren, dass in einer Form versucht wird, ihre Rechte und ihre Sicherheit einzuschränken. So beispielsweise bei der Festnahme des syrisch-orthodoxen Mönches Aho Bileçen im Jahr 2020 oder die Ermordung von syrisch-orthodoxen Christen in der Region, die es immer wieder trifft. Auch wenn keine Systematik hinter diesen Fällen steckt, appelliere ich sowohl an die syrisch-orthodoxe Community als auch an den türkischen Staat, diese Vorfälle ernsthaft aufzuklären. Und um abschließend auf deine Frage zu antworten: Der Neubau ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber weitere Schritte zur Wahrung der Freiheit und Sicherheit der syrisch-orthodoxen Christen sind unabdingbar und nötig. Daran gilt es anzuknüpfen.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

 

Jan Gehm

27.11.2023