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Autor: Manuela Woywode
Ort: Deutschland / Türkei
Format: Text
Thema: Gesellschaft
Datum: 24.11.2024
Portal: ZOCD.DE
Textdauer: 5 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Ein Interview mit Mitri Sirin über das Hilfsprojekt für die Erdbebenopfer in der Türkei

 
 

  

   

 Mitri Sirin Foto: Markus C. Hurek 

  

Ein Interview mit Mitri Sirin über das Hilfsprojekt für die Erdbebenopfer in der Türkei 

  

Vor etwa einem Monat berichtete der ZOCD im Rahmen eines Interviews mit Ferit Tekbas, Vorsitzender des ZOCD und Gemeindemitglied der rum-orthodoxen Kirchengemeinde St. Johannes der Täufer in Stuttgart, über das gemeinsame Hilfsprojekt für die Erdbebenopfer in der Türkei. Gemeinsam mit der rum-orthodoxen Kirchengemeinde Stuttgart und dem ZOCD organisierte Ferit unmittelbar nach dem tragischen Ereignis eine Spendenaktion. Auch ZDF-Moderator Mitri Sirin unterstützte von Anfang an diese Aktion und startete gemeinsam mit der Fernsehmoderatorin Dunja Hayali eine Spenden-Kampagne. 

 

In einem Interview erzählt Mitri Sirin seine Beweggründe zu helfen, berichtet über die aktuelle Situation in der Türkei und zeigt den aktuellen Stand der geplanten Fertighäuser in Samandag. 

 

 

Lieber Mitri, Du bist einige Zeit nach dem Erdbeben für eine ZDF-Dokumentation nach Antakya gereist und hast den Menschen in Deutschland von der Situation vor Ort berichtet. Wir waren zum Teil schockiert über die Bilder, die wir gesehen haben. Wie hat sich die Situation in Hatay seitdem verändert?

Es ist jetzt über ein Jahr her, dass ich mit dem ZDF-Team vor Ort war. Das war damals sehr erschütternd und intensiv für mich, weil ich viele persönliche Verbindungen und Erinnerungen an diesen Ort habe. Plötzlich war alles zerstört. Das hat mich sehr getroffen. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass es dort jemals wieder vorwärts geht. Inzwischen habe ich Bilder gesehen, unter anderem interessante Drohnenaufnahmen von Antakya, die zeigen, wie es Schritt für Schritt vorangeht. Aber es werden nach wie vor Häuser abgerissen und Schutt weggeräumt. Und das mehr als ein Jahr nach der Katastrophe. Wenn wir heute nach Samandag schauen, ist die Situation immer noch schlecht. Was ich von meinen Verwandten, von meiner Mutter und meinem Onkel höre ist, dass viele Häuser noch nicht abgerissen sind. Viele Betroffene leben immer noch in Notunterkünften. Die Situation ist sehr angespannt. Der nächste Winter steht vor der Tür und das ist natürlich alles andere als eine gute Nachricht für die Betroffenen.

 

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem ZOCD und der rum-orthodoxen Kirche St. Johannes der Täufer in Stuttgart?

Die Zusammenarbeit kam durch Ferit Tekbas zustande. Meine Familie ist mit Ferit befreundet und verwandt. So kam eins zum anderen. Da war es logisch, dass man versucht zu helfen, wo man nur kann. Ich möchte noch einmal daran erinnern, wie dramatisch die Situation zu Beginn dieser Katastrophe war. Niemand wusste auch nur im Geringsten, ob und wie die Regierung bzw. das Hilfswerk der Regierung in irgendeiner Weise unterstützen würde. Es hat etwas länger gedauert, bis Hilfe mit Zelten und anderen Hilfsgüter kam. Die Regierung hat das auch für sich beansprucht und reklamiert. Ich glaube, dass es am Anfang auch organisatorische Defizite gab. Insofern hatten viele, viele Privatmenschen und Privatinitiativen das Ziel, erst mal die notwendigste Hilfe zu leisten, damit die Menschen etwas Warmes zu essen und ein Dach über dem Kopf haben. Mit diesem gemeinsamen Ziel haben wir uns zusammengeschlossen und überlegt, was man machen könnte. So ist die Zusammenarbeit entstanden. 

 

Welche persönliche Verbindung hast Du zu Samandag und warum liegt Dir die Region am Herzen?

Wir sind selbst orthodoxe Christen, und dort auch in der Gemeinde aktiv.

Meine Großmutter und mein Großvater - Gott habe sie selig - waren immer gern gesehene Gemeindemitglieder. Man trägt das von Generation zu Generation weiter. Insofern war es für mich ein großes Anliegen, dass man schnell Hilfe vor Ort leistet. Ich habe meine Kindheit dort verbracht und die schönsten Kindheitserinnerungen an meine Zeiten in Hatay, in Samandag und natürlich auch in Antakya. Deswegen war ich auch extrem erschüttert. Der 6. Februar 2023 ist ein Tag, den man nicht vergessen kann. Und es tut einem in der Seele weh, wenn man die Bilder sieht und noch immer alles zerstört ist. Es wird einige Jahre dauern, bis der Wiederaufbau vorwärts geht. Ich bin froh, dass wir mit unserer Unterstützung zumindest einigen Familien etwas helfen konnten.

  

Mitri, Du hast gemeinsam mit Dunja Hayali auf Instagram mit verschiedenen Menschen unter anderem mit Ferit Tekbas Interviews auf Instagram geführt und über das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe informiert:

Wie hast Du die mediale Unterstützung durch deine Interviews wahrgenommen? Konnte dadurch viel Hilfe mobilisiert werden?

Wie bereits erwähnt, war aufgrund der tragischen Situation am Anfang klar, dass wir etwas tun mussten. Ich wusste nur nicht wie. Schließlich habe ich herumtelefoniert und meine Freundin Dunia Hayali war sofort bereit, mich zu unterstützen. Ihr Netzwerk konnte gut genutzt werden. Wir haben gemeinsam einen Spendenabend mit Gästen organisiert, bei dem wir mit Korrespondentinnen und Korrespondenten, unter anderem mit Ferit Tekbas, einen Instagram-Live gestartet haben. Es war eine sehr schöne und erfolgreiche Veranstaltung. An diesem Abend haben wir ein Spendenkonto aktiviert, wodurch über 50.000 Euro zusammengekommen sind. Das hat mich wahnsinnig gefreut. Auch die mediale Wirkung war so, dass viele Anteilnahme gezeigt haben und nachgefragt haben, was gerade vor Ort passiert, wie wir genau helfen und was wir mit dem Geld vorhaben.

Und ich freue mich sehr über das, was daraus an Schönem entstanden ist.

 

  

 

Fertighaus von Sükrü H. Bildquelle: Samandag, Rum-Orthodoxe Kirche   

  

 

Fertighaus von Habip S. Bildquelle: Samandag, Rum-Orthodoxe Kirche

   

 

Fertighaus von George Hurioglu. Bildquelle: Samandag, Rum-Orthodoxe Kirche

 

Nach einem langen Prozess, waren schließlich acht Fertighäuser in Samandag in Planung. Wie sieht die aktuelle Situation der geplanten Fertighäuser in Samandag aus?

Bei all dem muss man wissen, dass in der Türkei die Mühlen langsam mahlen. Auch die der Behörden. Da muss a mit b und c koordiniert werden. Vor allem, wenn die Infrastruktur dort bis heute noch völlig am Boden liegt. Aber mittlerweile ist die Hilfe angelaufen. Ich glaube, fünf Fertighäuser sind fertig. Das sechste steht kurz vor der Fertigstellung. Die Menschen dort sind sehr begeistert. Durch den Aufbau ist zum Teil noch mehr Unterstützung vor Ort entstanden. Ein Terrassenanbau ist hinzugekommen und eine andere Person hat sich entschieden, anstelle des Container-Baustils ein richtiges Haus zu bauen. Es ist uns gelungen, eine Dynamik in Gang zu setzen, über die ich mich sehr freue. Das Ganze ist ja noch nicht zu Ende. 

  

 

  

Fertighaus von Michael H. Bildquelle: Samandag, Rum-Orthodoxe Kirche

 

  

Wusstest Du zu Beginn der Hilfsaktion, dass es so kommen würde? Hattest Du bereits vor, Häuser für die Erdbebenopfer zu bauen?

Wie genau das Geld verwendet werden sollte, wusste ich von Anfang an nicht. Ich bin sehr froh, dass Ferit Tekbas, der ZOCD und die Rum-Orthodoxe Kirche an der Planung beteiligt waren. Da hatte ich blindes Vertrauen. Sie haben das gemeinsam mit der rum-orthodoxen Kirche vor Ort organisiert. Die Planung, dass die Fertighäuser gebaut werden sollen, ist relativ schnell entstanden. Ich muss zugeben, dass ich nicht komplett über die Planung im Klaren war, aber ich bin froh, dass die Leute das vor Ort übernommen haben und auch offensichtlich wissen, was sie tun. Die Menschen dort sind sehr froh, dass das realisiert wird. Wenn wir das mit anderen Situationen in der Türkei vergleichen, dann können wir darauf sehr stolz sein. Viele warten immer noch darauf, dass die Regierung etwas tut. Wenn es keine Privatinitiativen geben würde, wenn sich beispielsweise die orthodoxe Kirche nicht so engagieren würde, dann würden die Leute vermutlich immer noch auf Hilfe warten und in Zelten leben. Aus diesem Grund bin ich sehr froh, dass im kommenden Winter ein paar mehr Menschen ein Dach über den Kopf haben und wieder ein halbwegs anständiges Leben führen können.

  

Planst Du weitere Hilfsprojekte für die Erdbebenopfer in Hatay und Umgebung?

Ja. Ich wünsche mir, dass noch mehr passiert. Die Nachfrage und die Not nach Dächern über dem Kopf und mehr, ist enorm. Es ist zudem tragisch, dass diese Region inzwischen fast vergessen ist. International gibt es kaum Schlagzeilen mehr, obwohl es neulich erst ein erneutes, stärkeres Erdbeben in der Region gegeben hat. Ich finde es wirklich schade, dass erst etwas Schlimmes geschehen muss, damit die Öffentlichkeit sensibilisiert wird, bessere Hilfe geleistet werden kann und Spenden akquiriert werden können. Insofern hoffe ich sehr, dass man wieder ein Momentum nutzen kann, um gemeinsam, auch mit anderen Initiativen, zu helfen. Ich habe damals einen anderen Teil der Spenden einem Verein gespendet, der sich vor Ort mit Bildungsarbeit und Sachspenden engagiert. Ich freue mich jetzt schon auf eine nächste Gelegenheit, wo man Menschen in Samandag und in Hatay unterstützen kann, in welcher Form auch immer!

  

Vielen Dank Mitri für Dein Engagement und das Interview.

 

Das Interview mit Ferit Tekbas über die Hilfsaktion finden Sie hier.