Autor: Hans-Martin Gloël
Ort: Irak
Format: Text
Thema: Religion, Minderheiten
Datum: 13.11.2022
Portal: www.zocd.de  
Textdauer: ca. 3 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Den Christen im Irak eine Zukunft und ihre Heimat ermöglichen

 
Der Runde Tisch der Partnerorganisationen von CAPNI (Christian Aid Program for Northern Iraq), hat sich im November 2022  erstmal seit seinem 5-jährigen Bestehen im Irak getroffen. Er umfasst 15 Kirchen und Werke aus Deutschland, Schweiz, Schweden, Norwegen, England und Ungarn.
(Bildquelle: Hans-Martin Gloël)

 

Den Christen im Irak eine Zukunft und ihre Heimat ermöglichen: Ein wesentliches Ziel von Kirchen und Ländern in Europa, die sich im November 2022 zu einem „Runden Tisch“ in Dohuk getroffen haben

 

Kirchenrat Hans-Martin Gloël ist Referent für Ökumene und Weltverantwortung im Landeskirchenamt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und ist Mitglied im Beirat des ZOCD.
Er hat zwei Jahre in Jerusalem studiert und als Pfarrvikar in Beirut gearbeitet.
Ein Schwerpunkt seiner derzeitigen Arbeit ist die Förderung der Zukunftsperspektiven der Menschen im Nordirak, besonders Hoffnungsprojekte für Christen in der Region

Über seine Arbeit vor Ort hat er einen Artikel geschrieben, der am 13. November 2022 im Sonntagsblatt erschienen ist.
Das Originalinterview kann hier als PDF heruntergeladen werden.

 


Blick ins Tal von Nahla im Norden der kurdischen Autonomieregion
(Bildquelle: Hans-Martin Gloël)

 

Ohne Wurzeln überleben wir nicht - Christen im Norden des Irak zwischen Tradition und Aufbruch
Von Hans-Martin Gloël

 

Geschätzt 200 000 Christen leben derzeit im Irak, vor allem im Norden des Landes. Die bayerische Kirche unterstützt dort Projekte, die die Menschen zum Bleiben bewegen.

 

Sie sollen ihren Kindern wenigstens die Liebe zu unserem Land vermitteln, dass sie nicht vergessen, wer sie sind.« Susan Yousip, die Vorstandsvorsitzende der christlichen Hilfsorganisation CAPNI im Nordirak spricht von irakischen Christen in der Diaspora. Die anhaltende Emigration bewegt viele der im Irak gebliebenen Christen.Bei vielen jungen Christen im Irak scheint die Liebe zu ihrem Land außer Frage zu stehen: Bei einem Treffen kirchlicher Jugendgruppen in Dohuk gefragt, was ihnen wichtig ist, so nennt Isho die Wahrung der Identität der Apostolischen Kirche des Ostens und Pflege der eigenen Sprache Aramäisch; Hormiz nennt die Hochschätzung des Familienzusammenhalts. Keiner von den fast 20 Studierenden bzw. gut ausgebildeten jungen Frauen und Männern spricht davon, das Land verlassen zu wollen, obwohl die prekäre wirtschaftliche Situation und die hohe Arbeitslosigkeit beklagt werden. Einen anderen wesentlichen Aspekt betont Archimandrit Emanuel Youkhana, Direktor von CAPNI: »Wir leben unter dem Islam, nicht mit dem Islam«, sagt er, obwohl gerade die Regierung der kurdischen Autonomieregion Zeichen der Wertschätzung für religiöse Vielfalt setzt und im Parlament in Bagdad der Artikel 26 der Verfassung geändert wurde: Kürzlich wurde die erst vor sieben Jahren verfügte Ergänzung des Artikels rückgängig gemacht, die besagte, dass minderjährige Kinder Muslime werden müssen, wenn auch nur ein Elternteil zum Islam konvertiert. Die überkonfessionelle Hilfsorganisation CAPNI unterstützt im Nordirak Projekte für bessere Lebensbedingungen, damit die Menschen dortbleiben können. Die Förderer von CAPNI haben sich seit fünf Jahren zu einem »Runden Tisch« zusammengeschlossen. 15 Kirchen und Werke aus Deutschland, der Schweiz, Ungarn, Schweden, Norwegen und England stimmen dort ihre Arbeit ab. Ihre Vertreter haben sich nun im November erstmals gemeinsam im Irak getroffen. Der Vertreter der bayerischen Landeskirche beim Runden Tisch, Oberkirchenrat Michael Martin (München), sieht »eine realistische Möglichkeit für die weitere Existenz der christlichen Gemeinden vor allem im kurdischen Einflussbereich des Nordiraks«. Ermöglicht werde diese Chance vor allem durch die Aktivitäten von CAPNI zur Stärkung der östlichen christlichen Identität. Die junge Dina gehört zu denen, die sich mithilfe der bayerischen Kirche eine Zukunft aufbaut. 2006 vor den mörderischen Anschlägen in Bagdad ins sichere Dohuk in der kurdischen Autonomieregion geflohen, kann sie sich inzwischen nicht nur selbst finanzieren, sondern bald durch die Anstellung von vier Mitarbeiterinnen den Unterhalt von deren Familien sichern. Noch führt sie nur ihr kleines Nagelstudio, dessen Kundinnen erstaunt aufschauen, als eine Delegation des Runden Tischs den Laden betritt.


Oberkirchenrat Michael Martin, der Leiterin der Projektarbeit Dorothea Droste und Hans-Martin Gloël unterstützen und besuchen die Projekte im Nahla Valley als Vertreter der Evang.-Luth. Kirche in Bayern.
(Bildquelle: Hans-Martin Gloël)

 

Auf dem Plüschsofa sitzt ihre Freundin Hala Yousef mit ihrem puscheligen Hündchen, die als Influencerin auf Tiktok und Instagram bereits Werbung für Dinas »Nagelakademie« macht, die sie Mitte November in der Nähe des Zentrums von Dohuk eröffnen wird. Mit einem Kredit der bayerischen Kirche in Höhe von 7000 Euro hat sie Räume angemietet und mit bonbonfarbenen Möbeln ausgestattet, in denen sie nun Frauen ausbilden wird, die die große Nachfrage nach Maniküre und Fußpflege nach abgeschlossenem Diplom dann von zu Hause aus befriedigen können. Begünstigte eines solchen Kredits dürfen 25 Prozent der Summe behalten, wenn sie die Rückzahlungen rechtzeitig leisten können. Ein Konzept, das in 95 Prozent der Fälle funktioniert, wie der bei CAPNI zuständige Projektmanager Ara Ardowas versichert. Wesentlich rustikaler nimmt sich das derzeit größte Projekt der bayerischen Kirche im Irak aus: die Förderung der Infrastruktur in neun Dörfern des Nahla-Tals im Norden der wild zerklüfteten Berglandschaft von Irakisch-Kurdistan. Bombendonner gleich zur Begrüßung: Die türkische Armee eilt den PKK-Kämpfern nach, die sich hier, jenseits der türkischen Grenze, verstecken. Weil einer ihrer Tunnel am Dorfrand von Nahla endet, kamen die Einschläge vor wenigen Wochen gefährlich nahe, wie der Direktor der nahe gelegenen Schule mit einem Video schaurig illustriert. Dennoch: Die etwa 250 Familien des Tals wollen hierbleiben. Nicht zuletzt, weil in den vergangenen Jahren mithilfe der bayerischen Kirche und anderer Partner die Infrastruktur hier wesentlich ertüchtigt wurde: Bewässerungskanäle für die Landwirtschaft, eine große Halle für Feste und Fitnessgeräte, eine neue Mühle zur Produktion von Sesamöl, die Erweiterung der Kirche, Lehmhütten als Übernachtungshäuser für Gäste und eine Rundhütte als Meditationsraum gehören zu den umgesetzten Projekten. Eine Gruppe junger assyrischer Christen hat bei ihrer Tagung im Frühjahr die Mauer um das Gelände der Hütten mit babylonischen Motiven knallig-kreativ gestaltet. Über 1000 Jahre alte christliche Handschriften gerettet Ein Projekt wie das des chaldäischen Erzbischofs Najeeb Mikhael von Mosul dient dem Erhalt der christlichen Identität im Nordirak. Damals noch einfacher Dominikanerpater, hatte er zehn Tage vor der Invasion des sogenannten Islamischen Staats im Sommer 2014 den richtigen Impuls: Tausende von Schriftstücken der kirchlichen Archive in Mosul ins sichere Dohuk in Irakisch-Kurdistan zu retten, darunter liturgische Handschriften, mehr als 1000 Jahre alt. Weil er mit seinem Auto den Checkpoint nicht passieren durfte, drückte er fliehenden Familien Hunderte der Bücher und Schrift[1]stücke in die Hand mit der Bitte, sie auf die andere Seite des Checkpoints zu tragen, wo er sie wieder in Empfang zu nehmen wollte. »Ohne Wurzeln können wir nicht überleben« sagt der vor vier Jahren zum chaldäischen Erzbischof von Mosul ernannte Priester, der nun in einem einfachen Haus in Erbil residiert, in dem er die geretteten Schätze in säurefreien Schachteln sachgemäß archiviert und mithilfe einiger Mitarbeitender die Bestände digitalisiert. Die Auswanderung hält an und doch macht es beim Treffen der kirchlichen Jugendgruppen den Eindruck, dass sich immer mehr Jugendliche bewusst für ein Bleiben im Land entscheiden. Auf was sie hier hoffen, wurden die jungen Menschen noch gefragt. »Hoffnung kommt nur von Jesus«, sagt ein junger Mann Anfang 20 – und es klingt nicht ironisch.

 

SPENDENKONTO der bayerischen Landeskirche: Evangelische Bank, DE57 5206 0410 0001 0101 07, GENODEF1EK1, Stichwort: Christen helfen im Irak. Die Spenden kommen direkt den Partnerorganisationen der bayerischen Landeskirche, die vor Ort Hilfe leisten, zugute.