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Autor: Ninve Ermagan
Ort: Deutschland
Format: Artikel
Thema: Gesellschaft, Frauenrechte, Religion
Portal: www.zocd.de
Datum: 17.11.2020
Textdauer: ca. 10 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Demokratie & Bildung - Ohne Frauen - Kein Staat (und Kirche) zu machen
 

Demokratie & Bildung - Ohne Frauen - Kein Staat (und Kirche) zu machen

 
Uta Fechler ist hauptberuflich Pädagogin, Mutter, engagiert sich als stellevertretende Vorsitzende des Frauenrates NRW und vertritt dort für ihren Verband, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), über 300.000 Mitglieder. Ziel des Verbandes ist es, gerade im religiösen Raum, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu fördern. Darüber hinaus ist Frau Fechler Mitglied im ZOCD.
 
Unser Grundgesetz und Dr. Elisabeth Selbert – Artikel 3, Absatz 2 des GG – Ihre Meinung?
Durch diesen Zusatz soll die Gleichberechtigung aktiv gefördert werden, denn die Gleichberechtigung gehört zu den Grundrechten und die haben Konsequenzen. Sie sind also auf einer Ebene mit der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit. Ohne Gleichberechtigung gibt es keine Demokratie. Gerade in der Corona-Krise können wir feststellen, dass es noch enorme Rückschritte gibt in Bezug auf die Gleichberechtigung und die Rollenstereotype. Der Zusatz im Artikel drei ist das Wesentliche, denn beide Geschlechter, Frauen und Männer, sind dazu aufgefordert aktiv zu werden. Paragraf drei ist ein Arbeitsauftrag, der immer wieder konkretisiert werden muss.
 
Wie haben Frauen seit dem Zweiten Weltkrieg Demokratien beeinflusst?
Zu Anfang gab es die Mütter des Grundgesetztes, dazu zählen Elisabeth Seibert, aber auch katholische Frauen, die diesen Passus der Gleichberechtigung schafften. Auch die Frauenrealitäten änderten sich. Die erste Abgeordnete, die eine Hose trug, sorgte für einen Eklat. Frauen fingen an, politisch aktiv zu werden. Sie stehen im Fokus und haben die Aufgabe „role models“ zu sein. Auch die Gesetzte änderten sich zugunsten der Frau, zum Beispiel wurde Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand aufgenommen, was parteiübergreifend Frauen auf den Weg gebracht haben. Hierzu wurde in den letzten Jahren der Paragraf zur sexuellen Belästigung „nein heißt nein“ entwickelt, um diesem „Victim blaming“ entgegenzutreten.
 
Waren viele dieser Frauen religiös?
Nein, aber das spielt keine Rolle, da alle Frauenverbände das gleiche Ziel haben: die Gleichberechtigung. Christlich, religiös, katholisch und politisch sein gehören zusammen. Zudem gibt es im Bundestag verschiedene Strömungen. Ob ihr Bild humanistisch, religiös oder atheistisch gefärbt sei, ist gleichgültig.
 
Welche Rolle spielten Frauen bei der Entstehung des Christentums?
Zunächst einmal waren es Frauen, die von der Auferstehung berichtet haben. Das markiert ihre besondere Rolle. Durch ihr entscheidendes Wirken feiern wir heute das Osterfest. Frauen wie Martha und Maria haben Jesus nicht nur zugehört, sondern sind auch aktiv geworden bei der Verbreitung des Evangeliums. Darüber hinaus gab es viele bedeutende Kirchenlehrerinnen, die Erste war Katharina von Siena und Hildegard von Bingen stellt z.B. eine weitere wichtige Figur dar.
 
Welche Rechte hatten Frauen bei der Entstehung des christlichen Glaubens?
Dass Thomas den Frauen zunächst nicht geglaubt hat und mehr Beweise sehen wollte, demonstriert auch das zu dieser Zeit vorherrschende Frauenbild. Viele stellten sich sofort die Frage: Kann man diesen Frauen trauen?
 
Inwiefern hat sich das heute geändert?
Zu den Änderungen trug die Aufklärung und die Säkularisierung bei, die dem Christentum auch gut getan haben. Wenn ich die Entwicklungen im laizistischen Frankreich sehe, dann bin ich froh, in Deutschland zu leben. Die christlichen Verbände bilden die Brücke der in die Gesellschaft. Hierzu übernehmen die Bischöfe seelsorgerische Aufgaben. Vereine wie der ZOCD, der demokratisch gefördert wird, sind wichtig, da diese sich klar zu den Grundwerten der Gleichberechtigung und der Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit bekennt.
 
Was war der Grund?
Das wird die Geschichte zeigen. Ein Beispiel sei Deutschland im Hinblick auf den Holocaust, und dass man daraus lernen muss und möchte.  Rückblickend haben die Menschen wahrgenommen, schreckliche Fehler begangen zu haben. Die Entscheidungsträger waren Männer und auch Frauen haben diese Entscheidungen mit umgesetzt. Es gab in der NSDAP keine bekannten Politikerinnen.
 
Im Nahen Osten gibt es intensive Frauenbewegungen, die sich gegen patriarchale Strukturen stemmen, um endlich als „Mensch“ und nicht als „Gegenstand“ betrachtet zu werden. Können Sie das nachvollziehen?
Natürlich, Feministinnen geht es um Geschlechtergerechtigkeit und in diesen patriarchalen Kulturkreisen werden teils andere Schwerpunkte gesetzt, die sich nicht mit unseren demokratischen Werten vereinbaren lassen. Wenn wir diesen Frauen beistehen wollen, dann ist es wichtig, dass die UNO ihnen beisteht. Die Kairoer Menschenrechtserklärung, die von 56 islamischen Staaten ratifiziert wurde, ist in dieser Hinsicht nicht hilfreich. Das Thema Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem und auch das Thema Genitalverstümmelung sollte artikuliert werden, auch wenn es hier nicht so präsent ist wie in afrikanischen oder arabischen Ländern. Dennoch müssen sogenannte Frauenthemen, die meiner Ansicht nach überwiegend Menschenrechtsthemen sind, stärker zur Sprache kommen. Die Aufgabe der Feministinnen ist es, zu überspitzen, um Gehör zu finden. Es bringt uns nicht weiter Frauen wie Birgit Kelle mit Rassismusvorwürfen zu konfrontieren, weil sie Probleme aus patriarchalen Kulturen ansprechen. Damit wird den Opfern nicht geholfen.
 
Können Sie erklären, weshalb sich viele Frauenrechtlerinnen von Feministinnen im Westen alleine gelassen fühlen?
Oft wird ihnen vorgeworfen, dass sie die vermeintlich falschen Schwerpunkte setzen. Was viele deutsche Frauen betrifft, ist beispielsweise die Altersarmut und die Wertschätzung von Carearbeit. Das ist für orientalische Feministinnen nicht so wichtig. Für mich als Lehrerin sind Gewalt, Genitalverstümmelung, Ehrenmorde, Kinderheirat auch wichtige Themen im Alltag. Wir müssen streng religiösen Eltern, egal welcher Religionszugehörigkeit, erklären, dass Klassenfahrten und Schwimmunterricht ohne Geschlechtertrennung selbstverständlich sind und ihnen zu verstehen geben, dass Mädchen und Jungen dieselben Bildungschancen haben. Durch Corona werden manche dieser Probleme deutlicher ersichtlich.
 
Was raten Sie diesen mutigen Frauen im Irak, in Syrien, im Iran, in Ägypten, die auch immer der Gefahr ausgesetzt sind, verhaftet, gefoltert oder umgebracht zu werden?
Das bekomme ich natürlich mit, obwohl in den Medien nur vereinzelt davon berichtet wird. Wir sehen die „White Wednesdays“ im Iran. Dann gibt es dort und in Saudi-Arabien genug Rechtsanwältinnen, die sich für Frauenrechte eingesetzt haben und verhaftet wurden. Ich kann ihnen nicht raten, ich kann sie nur bitten, dass sie nicht aufgeben, weil sie natürlich Recht haben, aber, soweit möglich, vorsichtige Wege finden sollen, um ihr Leben letztlich nicht zu gefährden. Sie brauchen die Unterstützung der demokratischen Länder. Dort sind weitere Strukturen gefordert, nicht nur die Unterstützung der westlichen Feministinnen. Alle müssen an einen Strang ziehen: Männer, Frauen, Religionen, die Gemäßigten, Hilfsorganisationen und Religionsobere innerhalb und außerhalb der Länder. Das geht nur gemeinsam, auch Presse und Medien können ihren Beitrag dazu leisten.
 
Frau Fechler, vielen Dank für Ihre Zeit und das interessante Interview.
 
Ninve Ermagan

 

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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal

 

Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de