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Autor: Simon Jacob
Ort: Türkei
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion, Extremismus, Minderheiten
Datum: 17.04.2021
Portal: www.zocd.de 
Textdauer: ca. 20 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Christen in der Türkei zwischen den Fronten
  
2015 Türkei, Tur Abdin, Mar Jakob. Vater Aho segnet einen Besucher aus Deutschland.
 

Christen in der Türkei zwischen den Fronten

 
Klerus des Klosters St. Jakob im Tur Abdin / Südosttürkei zu zwei Jahren und einem Monat Haft verurteilt  
 
Zum aktuellen Stand der Sachlage
 
Die Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK, die ihr Hauptrückzugsgebiet im anatolischen Raum und im irakischen Kandil - Gebirge hat, wird sowohl in der Türkei, Deutschland, den USA als auch weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft. Sie steht dem türkischen Militär in einem offenen Konflikt gegenüber, nachdem die türkische Regierungspartei AKP den Friedensprozess vor Jahren aufgekündigt hat.
 
Der Konflikt schwelgt bereits seit der Gründung der PKK am 26.11.1978, und forderte im Laufe der Zeit zahlreiche Opfer auf beiden Seiten. 1984 entwickelte sich die Lage zu einem innertürkischen Partisanenkrieg zwischen dem türkischen Militär, kurdischen Untergrundorganisationen der PKK und paramilitärischen Einheiten, welcher sich territorial auf den südostanatolischen Raum begrenzte. Primär ging es um die Souveränität des türkischen Staates, der, ausgehend vom Einheitsgedanken seit der Gründung der laizistischen Türkei, Sprache, Kultur und Religion verschiedener Minderheiten entweder nur eingeschränkt toleriert oder diese sogar als eine Gefahr für die Einheit des Staates betrachtet; so z.B. die kurdischen Bestrebungen nach mehr Autonomie. Infolge des Konfliktes wurde seit 1984 das Kriegsrecht verhängt. Am 19. Juli 1987 wurden 8, mehrheitlich von Kurden bewohnte anatolischen Provinzen (Bingöl, Diyarbakır, Elâzığ, Hakkari, Mardin, Siirt, Tunceli und Van), in denen auch indigene Christen  (In der Türkei ethnisch übergreifend als Suryoye oder Suryani  bezeichnet.  Einbezogen damit ist auch die Bezeichnung als ethnische Assyrer/Aramäer/Chaldäer, die im Wesentlichen  einer christlichen Denomination angehören und Aramäisch als Muttersprache pflegen) ihre ursprüngliche Heimat haben, in den Ausnahmezustand versetzt. Das Kriegsrecht, welches seinen Beginn 1978 im Pogrom von Kahramanmaraş, bei dem mehr als 100 türkische Aleviten ums Leben kamen, hatte, endete vorerst damit. Ein „Ausnahmezustand“, wie er in der Türkei immer wieder verlängert wurde, ist eine Abstufung des Kriegsrechts. In dieser Situation gelten Ausnahmeregelungen, besonders wenn es um die Anwendung polizeilicher wie auch militärischer Handlungen seitens des Staates geht, sofern Gefahr für die staatliche Ordnung und demokratischen Strukturen droht. Aufstände wie auch Bürgerkriege sind Faktoren, die einen Ausnahmezustand rechtfertigen können und im südöstlichen Teil der Türkei immer wieder ausgerufen wurde und auch weiterhin Anwendung findet, so auch nach dem letzten „Putschversuch“ 2016. Eine ruhigere Phase bzw. das, was man als instabilen Frieden bezeichnen kann, entwickelte sich in den Jahren 2000 bis 2010. In dieser Zeit kehrten auch viele nach Europa geflüchtete Christen, so z.B. auch ein nicht geringer Teil meiner Familie, in ihre ehemalige Heimat zurück, in der ein trügerischer Frieden zwischen dem türkischen Militär und kurdischen Separatisten herrschte. Der türkische Staat versprach den Rückkehrern staatliche Rechtsordnung, Sicherheit, Frieden und die Aussicht, ihre Ländereien rechtlich wieder in Besitz nehmen zu dürfen. Meine eigene Familie floh, als Angehörige der christlichen Minderheit, die nicht nur unter einer feudalen Stammesgesellschaft zu leiden hatten, sondern auch zunehmend zwischen den Mühlen der Konfliktparteien gerieten, mit mir als zweijähriges Kind nach Deutschland. Mein inzwischen verstorbener Vater, der den türkischen Armeedienst in der Konfliktregion leistete, freute sich damals über die positiven Entwicklungen, betrachtete den Frieden allerdings mit Skepsis. Zu nahe waren die Erinnerungen, dass man, einerseits durch den Druck der kurdischen Guerillakämpfer und dem Sicherheit- und Kontrollbedürfnis des türkischen Staates auf der anderen Seite, immer wieder zwischen die Fronten geraten war und darauf hoffen musste, dass einer der lokalen Feudalherrn, kurdischen Stämmen/Clans zugehörig, einem Schutz bot - was einer teilweisen Leibeigenschaft gleichkam. Den wenigsten Europäern ist bewusst, dass in einem nicht geringen Umfang in der Türkei Clanstrukturen mit einem eigenen Verhaltenskodex, den Rechtskorpus eines souveränen Staates missachtend, das Leben bestimmen. Übrigens ist dies in großen Teilen des Nahen Ostens sowie in vielen Regionen des asiatischen wie auch afrikanischen Raumes nicht anders. Die Macht der Clans in der Südosttürkei, die übrigens diametral zu den Autonomiebestrebungen der PKK stehen, hat sich zwar abgemildert, wird aber dennoch in Form von „Dorfschützer – Milizen“ von regionalen Politikern dazu genutzt, um eine Front gegen die kurdische Autonomiebewegung aufzubauen. Dadurch kam es auch zu einem innerkurdischen Konflikt, welcher weitere Bruchlinienkonflikte hervorrief und viel Leid verursachte.
 
Ab 2011 nahm die Auseinandersetzung zwischen der PKK und der türkischen Regierung wieder zu. Besonders der syrische Bürgerkrieg versetzte die Türkei in Alarmbereitschaft, da hier das Pendant zur türkischen PKK, die kurdische YPG, in der von der Nato, und besonders den USA, unterstützten Formation SDF (Syrian Democratic Forces), an der sowohl sunnitisch arabische Stämme als auch christliche Suryoye und Assyrer beteiligt sind, mitwirkt. Ein weiterer Grund wird auch darin vermutet, so zumindest die Sichtweise 2011, dass die kurdischen Autonomiebestrebungen, als Gegenpart zur von der Türkei unterstützen Freien Syrischen Armee (FSA), sowohl seitens des Iran als auch des syrischen Regimes Unterstützung erfuhren. Festzuhalten ist jedenfalls, dass der Islamische Staat ohne die Beteiligung der kurdischen YPG (Volksverteidigungseinheit) und deren weiblicher Miliz, der YPJ (Frauenverteidigungseinheit), als Teil der SDF Einheiten und im Einklang mit einigen Natomitgliedern, niemals hätte in der Form zurückgedrängt werden können. Diese und noch weitere Entwicklungen führten dazu, dass sich die Türkei, ebenfalls Natomitglied, wieder verstärkt in einen Konflikt mit einem Teil der kurdischen Ethnie begeben hat, der inzwischen auf Syrien aber auch den Irak ausgedehnt wurde. Leidtragende sind jene, die sich weitestgehend aus diesem Konflikt heraushalten wollen, aber nicht können, weil ihre Heimat oder ihr Zuhause sich in einer strategisch und taktisch besonders zum Tragen kommenden Region befindet. In diesem Zusammenhang muss und sollte der wegen Terrorunterstützung zu zwei Jahren und einem Monate verurteilte Klerus des Klosters St. Jakob im Tur Abdin betrachtet werden.
 
Das Kloster St. Jakob, im Aramäischen Mor Jakob genannt, liegt eingebettet in der Gebirgslandschaft des anatolischen Kalksteingebirges und zählt zu einem der ältesten Orte christlich – sakralen Lebens weltweit. Im Zuge früherer Konflikte verließen die Mönche und Bewohner der umliegenden Dörfer die Region und flohen mehrheitlich nach Europa, Australien oder in die USA. Einer der Nachfahren jener, die vor Krieg und einer von Feudalismus geprägten Herrschaft geflohen sind, ist Vater Aho, der vier Jahre lang in London studierte, viel Zeit in der Metropole Istanbul verbrachte, sich zur Mitte seines Lebens dazu entschied, das Kloster seiner Vorfahren wieder aufzubauen und ihm neues spirituelles Leben einzuhauchen. 2015 besuchte ich den umtriebigen Mönch und berichtete über seine Intention, Jugendgruppen aus der ganzen Welt ins Kloster einzuladen, welches er in akribischer Arbeit, ergänzt um einen Fußball- und Basketballplatz, ausgebaut hat. Vater Aho, oder Abuna (Vater) Aho, wie man im Aramäischen sagt, ist eine Frohnatur, der gleichzeitig begeisterter Sportfan ist. „Durch Beten und Sport wieder zur Ruhe finden und einen Weg aus der Konsumgesellschaft definieren.“ Das waren die Worte, die er mit auf den Weg gab. Und so wie es christliche Tradition ist, was ich auch selber vor Ort erleben durfte, gab er jedem, der an seine Türe klopfte, „Wasser und Brot“. Dazu muss man wissen, dass Menschen in früheren christlichen Zeiten, auch im Osmanischen Reich, darauf bauen konnten, auf einer längeren Reise in einem Kloster Unterkunft beanspruchen zu können. Dies galt und gilt bis heute noch – und zwar unabhängig vom Glauben. Tatsächlich sind die meisten Gäste, meiner Erfahrung nach, Muslime, Atheisten, Touristen oder Menschen, die wenig mit dem Glauben zu tun haben, aber für die Möglichkeit dankbar sind, für eine Nacht oder einen längeren Zeitraum ein schützendes Dach über dem Kopf und Nahrung zu haben. Das ist das Gebot der christlichen Nächstenliebe, welches bis heute im Tur Abdin, dem Rückzugsgebiet der letzten verbliebenen Christen in der Südosttürkei, immer noch seine Gültigkeit hat. Und leider führte eben jenes Gebot zu einem tragischen Umstand, welcher, meines Erachtens nach, einen Menschen, der nun wirklich nichts mit Terror und Gewalt zu tun hat, zum Gefangenen und Spielball einer Politik gemacht hat, die es nicht schafft, die eigene Bevölkerung zu schützen.
 
Vater Aho wird Terrorunterstützung vorgeworfen
 
Im Januar 2020 wurde der Klerus des Klosters St. Jakob verhaftet. Der Vorwurf lautete  „Terrorunterstützung“. Die angebliche Straftat, welche dem Mönch in mehreren Gerichtsprozessen vor dem Zivilgericht in der Provinz Mardin vorgeworfen wurde, bezog sich auf die Bewirtung angeblicher PKK Milizionäre, die an der Türe des Klosters geklopft hatten. Drohnen des türkischen Militärs hätten das Eintreffen einer oder mehrerer Mitglieder der verbotenen PKK dokumentiert, so die Anklageschrift des Gerichts. Erschwerend kommt hinzu, dass ein ehemaliges oder noch dazugehöriges Mitglied der PKK 2019 in Gefangenschaft aussagte, dass man zwischen 2016 und 2019 mehrfach im genannten Koster bewirtet worden sei. Das Kloster scheine, so die Sichtweise des Gerichtes bei der nunmehr fünften und letzten Verhandlung am 07. April 2021, als Rückzugsgebiet für Guerillakämpfer der PKK bekannt gewesen zu sein. Betrachtet man in der Region das zerklüftete Kalksteingebirge mit seinen Höhlen und Tälern, so steht es außer Frage, dass das Kloster ein hervorragender Unterschlupf strategischer Natur ist. Nur ist es eben ein Kloster, welches sich mitten in einer Konfliktzone befindet, das samt dem einzigen Einwohner in einen viel zu lange währenden Partisanenkrieg geraten ist, welcher in jenen vergangenes Leid wieder hervorruft, die einst aus der Region geflohen sind. Es scheint fast so, als ob sich die Vergangenheit wiederholt. Unter Nutzung aktueller Terrorgesetzte werden Menschen, wie z.B. auch immer wieder Journalisten, Medienschaffende, Menschenrechtler oder Anwälte, willkürlich mit dem Vorwurf konfrontiert, mit Terroristen zu kooperieren. Meines Erachtens nach wird jeglicher kleine Verdacht als abschreckendes Beispiel zum Anlass genommen, um die letzten Christen in den Region, bewusst einzuschüchtern. Es herrscht eine subtile Angst und Sorge, dass man, sofern man auch nur irgendwie in Verbindung mit einer Bewegung steht, einer Organisation angehört, medial aktiv ist oder eine Nähe zur kurdischen Partei HDP hat, sofort in „Terrorverdacht“ gerät und unter Umständen um seine Freiheit fürchten muss. Dieser Zustand konterkariert verbriefte Rechte des Bürgertums. Angefangen von der Meinungsfreiheit bis hin zum Recht seine Religion frei ausleben zu dürfen.
 
Im Fall des Mönchs, der friedlich in seinem Kloster verweilte, war es der Aspekt der Gastfreundschaft, der Nächstenliebe, des christlichen Bewirtungsgebots, welcher ihn zum Verdächtigen machte. Das Urteil des Gerichts, das in wenigen Tagen rechtsgültig ist, scheint besonders drakonisch zu sein. Vater Aho wurde unter den Vorwurf der Terrorunterstützung genau zu zwei Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt. Im Regelfall, so wurde mir berichtet, wäre das Strafmaß nicht über zwei Jahre hinausgegangen. Als Folge hätte der Angeklagte, der seine Unschuld beteuert, „nur“ mit einer Bewährungsstrafe rechnen müssen. Es kommt der Verdacht auf, dass der zuständige Richter in diesem Fall eine Exempel statuieren wollte, um allen in der Umgebung demonstrativ eine Warnung zukommen zu lassen. Und genau solche Urteile, politisch genutzt,  erzeugen ein permanentes Gefühl der Sorge und subtilen Ängste, welches Menschen dazu treibt die Heimat zu verlassen; besonders die wenig verbliebenen Christen in der Region, die bereits Jahre und Jahrzehnte zuvor zwischen den verschiedenen Konfliktparteien aufgerieben wurden. Doch durch Verbreitung von Angst wird die türkische Republik jedoch keinen Frieden finden. Auch jene kurdischen Bewegungen nicht, die für sich und auch für andere ethnische Gruppen mehr Freiheit und Selbstbestimmung fordern. Frieden kann und wird es nur geben, wenn alle Seiten bereit sind die Waffen ruhen zu lassen und sich an den Verhandlungstisch begeben, um eine für alle, auch für die Christen, tragbare Lösung zu finden. Dies kann und sollte im Sinne einer EU Politik sein, die Menschenrechte vor wirtschaftliches Interesse stellt und dies auch nach außen so klar und deutlich kommunizieren sollte. Davon profitieren würde in der Mehrheit die türkische Bevölkerung, die EU, der gesamte Nahe Osten, weil dieser einen weiterhin stabilen Anker hätte wie auch alle Minderheiten in der Türkei, so z.B. Aleviten, Kurden, SuryoyeAssyrer/Aramäer/Chaldäer (in der Mehrheit Christen), die einfach ein Stück Selbstbestimmung, Sicherheit, ihre verbrieften Bürgerrechte und Frieden haben wollen.
 
Stimmen aus der Region und Europa zum Thema
 
Im weiteren Verlauf führte ich mit Politikern, Journalisten und Vertretern christlicher Organisationen Gespräche zu diesem Thema:
 
Yawsef Beth Turo
 
Bildquelle: Oannes Consulting GmbH
  
Yawsef Beth Turo kam im Tur Abdin / Südosttürkei in der Region auf die Welt, in der sich das Kloster St. Jakob befindet. 1993 immigrierte der inzwischen als Journalist aktive Programmdirektor eines aramäischsprachigen Fernsehsenders, der seinen Sitz in Schweden hat, in das niederländische Enschede. Näheres zu seiner Profilbeschreibung ist hier zu finden.
 
Laut dem Journalisten Beth Turo, der den beschuldigten Mönch Aho sehr gut kennt und im ständigen Austausch mit ihm steht, ging dieser seinen christlichen Pflichten nach. „Wer an die Türe eines Klosters klopft und um Nahrung und Ruhe bittet, dem wird, gemäß der christlichen Tradition, dies auch gewährt.“
 
Gegenüber dem Türkeiexperten erwähnt der Mönch auch immer wieder, dass er das Militär aufgefordert hatte einen Vorposten in der Region zu errichten, um nicht mehr der Situation ausgesetzt sein zu müssen, eventuell Anhängern der PKK Zugang gewähren zu müssen. Zumal Vater Aho niemanden eingelassen hat der eine Waffe trug und Kämpfer der PKK, die er als solche erkennen konnte, zurückwies. Ihm waren die damit verbundenen Gefahren selbstverständlich bewusst, so die Einschätzung Beth Turos. Oftmals konnte der Mönch, als einziger Dauerbewohner des Klosters, überhaupt nicht erkennen, ob jemand als „echter“ oder als „getarnter“ Zivilist an die Pforten des Klosters klopfte. Es sei auch die nicht die Aufgabe eines Mönches die Charakteristik eines Besuchers zu hinterfragen, so Beth Turo. Die ganze Gegebenheit erinnert an vergangene Zeiten in den 80er und 90er des letzten Jahrhunderts, als die indigene Bevölkerung in der Region, jedenfalls das was von ihr, aufgerieben zwischen den Fronten, übriggeblieben war, im Westen eine neue Heimat suchte. Das Urteil betrachtet Beth Turo als symbolische Mahnung, um die verbliebenen Suryoye einzuschüchtern, die sich zum Großteil nicht in den wieder anschwellenden Konflikt hineinziehen lassen wollen.
  
Fehmi Tony Vergili
 
Bildquelle: ESU
  
Fehmi Vergili ist Co-Vorsitzender der ESU - European Syriac Union, mit Sitz in Brüssel.
1992 immigrierte der Aktivist nach Europa, wo er beim Aufbau politischer Strukturen mitwirkte und im späteren Verlauf, 2004, als Mitbegründer der ESU fungierte. Die politisch und medial sehr aktive Organisation konzentriert sich auf die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber ethnischer Suryoye, hauptsächlich Angehörige verschiedener christlicher Denominationen, sowohl im Nahen Osten als auch der heutigen Türkei; oftmals in Kooperation mit anderen Organisationen, die ebenfalls in der Minderheit sind und, mit Blick auf die Konflikte im Nahen Osten, mehr Schutz und Sicherheit fordern.
 
Nähere zur ESU und Vergili ist hier zu finden.
 
Nach dem Genozid an den Osmanischen Christen zwischen 1915 - 1918 sind bis in die 1980er immer wieder führende Vertreter der syrisch – christlichen Gesellschaft, 64 insgesamt, ermordet worden, ohne dass die Täter Rechenschaft ablegen mussten. Sie wurden nie ermittelt oder der Straftat überführt. Die Vernutung lag nahe, dass regional – staatliche Strukturen ihre schützende Hand über die Täter hielten und das Ziel verfolgten politische Führungsebenen zu dezimieren. Im Jahr 2000 schöpften die Suryoye aus Europa wieder Hoffnung und kehrten aus Schweden, Deutschland oder der Schweiz in ihre frühere Heimat zurück und gründeten dort Unternehmen. Die nächsten Nachbarn, die muslimische Gesellschaft wie auch die Regionalregierung betrachteten die Forderung der Suryoye, ihr angestammtes Land wieder in Besitz nehmen zu können, zwiegespalten. Man arrangierte sich und besonders die Friedensverhandlungen zwischen den Kurden und der türkischen Regierung zwischen 2000 und 2010 entspannten die Situation wesentlich. Mit dem erneuten Ausbruchs des Konflikts 2011 veränderte sich die Situation wieder zum Schlechteren. Die Anwesenheit des Mönchs, der vor 2010, also vor dem erneuten Ausbruchs des Konfliktes, das Kloster wieder besiedelte, war den türkischen Behörden bereits damals ein Dorn im Auge. Laut dem Vorsitzenden der ESU liegt das Kloster an einem strategisch bedeutenden Punkt, mit einem weiten Blick in die Konfliktregion Syrien hinein, der zu einer militärischen Sperrzone erklärt werden soll. Dass das dicht und üppig bewaldete Gebiet der PKK als Tarnung diene und damit als Gefahr für das Militär betrachtet wird, untermauert die Bestrebungen des türkischen Militärs, die Region frei von Zivilisten zu halten. Das sei der wahre Grund für die Anschuldigungen gegen den Klerus des Klosters, so der Vorsitzende Vergil. Die Sorge, dass die Türkei sich wiederholt sowohl gegen die indigene als auch die verbliebene christliche Bevölkerung stelle, steht im Raum und schürt sich wiederholende Ängste. Die Intention der türkischen Behörden bestehe darin, den Beschuldigten entweder unter Kontrolle zu bringen und auf Staatsdoktrin zu trimmen oder, mit Androhung einer Gefängnisstrafe, einen Kompromiss Richtung Exil zu finden. Die Gründe für solch ein Handeln sind banal und, inoffiziell, militärisch zu verorten. Es geht letzten Endes um strategische und taktische Entscheidungen. Im gleichen Zusammenhang kritisiert der Vorsitzende der ESU die PKK. Er wirft dieser vor, bewusst die wenigen christlichen Dörfer und sakralen Einrichtungen aufzusuchen, um das Konfliktpotenzial für sich zu nutzen. Was wiederum die türkische Seite zu nutzen weiß, um Konflikte zwischen den verbliebenen Suryoye und der PKK zu schüren. Dabei wollen die Suryoye einzig und allein aus dem Konflikt herausgehalten werden.  
 
Gabriel Georgs
 
Bildquelle: privat
  
Gabriel Georgs ist der 1. Vorsitzende des ZOCD (Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland e.V.). Der 2013 gegründete Laienverband hat es sich zur Aufgabe gemacht, im deutsch – europäischen Verhältnis, aber auch in den Ursprungsregionen verfolgter Christen, als Brückenbauer zu vermitteln und medial wie auch politisch präsent zu sein. Georgs bekleidet seit 2019 das Amt des Vorsitzenden beim ZOCD.
Näheres zu Georgs und dem ZOCD ist hier zu finden.
 
„Es macht einen extrem besorgt, wenn man mitbekommt, dass ein Mönch, ein Mensch, der sich dem Christentum und der Nächstenliebe verschrieben hat, unter Terrorverdacht gestellt und in so einer Form behandelt wird. Im Zusammenhang mit dem Recht eines jeden Menschen seine Religion frei ausüben zu dürfen, ist dies für alle Christen in der Welt ein verheerendes und negatives Signal. Es werden Erinnerungen aus der Vergangenheit sowie Ängste und Sorgen wach, die einst auch meine Eltern und Großeltern, die ursprünglich aus der Region kommen, dazu zwangen, nach Europa zu flüchten, um den Kindern ein sicheres und menschenwürdiges Leben zu gewähren“, so der Vorsitzende des ZOCD.
Georgs hofft in Anbetracht der komplexen und komplizierten Lage, in der sich Christen seit dem Wiederaufflammen der kurdisch – türkischen Konflikte befinden, auf eine faire Verhandlung. Eine Rückkehr zum Frieden und faire Gerichtsverhandlungen wäre allen Bürgern der Türkei dienlich, ergänzt er im Gespräch.
  
Saliba Joseph
 
Bildquelle: Oannes Consulting GmbH
 
Joseph kommt ursprünglich aus dem Tur Abdin (Südosttürkei) und immigrierte mit seinen Eltern bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts nach Deutschland, wo er eine Familie gründete und als erfolgreicher Manager in einem Großkonzern beruflich aktiv ist. Der äußerst engagierte Familienvater rief gemeinsam mit weiteren deutsch – orientalischen Christen, die bereits in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben, die Föderation Suryoye Deutschland ins Leben, welche auch unter der Abkürzung HSA nach außen in Erscheinung tritt. Die HSA ist als eine Art Dachverband für Kultur- und Sportvereine zu verstehen, in der sich ehemalige Immigranten, Angehörige der Suryoye, zu einem Gesamtnetzwerk zusammengeschlossen haben, um Tradition, Kultur und auch Sport zu fördern; in Ergänzung zu politischen Aktivitäten, die hauptsächlich im Zusammenhang mit den allgemein gültigen Menschenrechten stehen.
Näheres zu Joseph und der HSA ist hier zu finden.
 
Die Verurteilung des Gerichts ist unbegründet in dem Sinne, weil der Beschuldigte weder ein Komplize der PKK ist noch mit dieser kooperiert, so Joseph. Vater Aho ist ein Mann Gottes, der genau das getan hat, was seine Aufgabe ist. Ihn aufgrund seines christlichen Handelns, Menschen Wasser und Brot zu reichen, mit einer drakonischen Strafe zu belegen, ist unmenschlich. Seine sofortige Freilassung ist damit gerechtfertigt. Es sollte dahingehend auch sichergestellt werden, dass gerade selbstaufopfernde Geistliche wie er, denen man nun wirklich nichts Schlechtes, erst recht keine terroristische Handlungen, vorwerfen kann, im Sinne einer multiethnischen und multireligiösen Türkei geschützt werden, anstatt verurteilt. 
Hinzuzufügen ist, und hier beziehe ich mich explizit auf die christliche Glaubenslehre, dass ein Mönch ein Mann Gottes ist. Als solcher hat er sich an das Gebot der Nächstenliebe und Gastfreundschaft zu halten. Dieses kann er jenen nicht verwehren, die, unter der Voraussetzung friedlicher Absichten, an seine Pforte klopfen. Nachdem er nun die Chance zur Berufung erhalten hat, hege ich im Vertrauen auf das türkische Rechtssystem die Hoffnung, dass alles aufgeklärt wird und der zu Unrecht Beschuldigte wieder sich dem Gebet, dem Frieden und im Sinne einer offenen und liberalen Türkei dem christlichen Glauben widmen kann. Persönlich möchte ich anmerken, das gilt auch für den beschuldigten Geistlichen, den ich sehr gut kenne, dass jegliche terroristische Handlung, unabhängig der Initiatoren, auf das Schärfste zu verurteilen ist und verurteilt werden muss. Frieden kann es nur durch besonnene Handlungen und Verhandlungen, getragen von einem gegenseitigen respektvollen Dialog, geben. Dafür stehe ich persönlich, mit Hochachtung gegenüber dem Rechtssystem der türkisch – laizistischen Republik, ein.
  
Aziz Said
 
Bildquelle ZAVD
 
Aziz Said ist 1. Vorsitzender des Zentralverbandes der Assyrischen Vereinigung in Deutschland und der Europäischen Sektion e.V. – ZAVD. Der Theater- und Filmregisseur, der in Deutschland Theaterwissenschaften und Filmregie an der Hochschule in Berlin studiert hat, immigrierte als Student 1973 aus dem syrischen Qamishli, einem Hotspot christlichen Lebens in Syrien, nach Deutschland. Bevor er in den Ruhestand ging, leitete er in den letzten 21 Jahren, gemeinsamen mit anderen Kunstschaffenden, das Interkulturelle Haus in Berlin, Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Seit 1978, während und nach seinem Studium, inszenierte und produzierte Said viele Theaterstücke, sowie Dokumentar- und Spielfilme unter anderem mit und für die Assyrer – insbesondere in Deutschland und in Schweden. Darüber hinaus, unter Nutzung künstlerisch – medialer Elemente, organisierte und leitete er seit vielen Jahren Projekte zur Integration von Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren in die pluralistische Gesellschaft, mit dem Schwerpunkt Menschenrechte und Demokratie. Ergänzend dazu setzt sich der politisch und künstlerisch aktive Ruheständler im Besonderen für die Rechte und den Schutz der indigenen Minderheiten im Nahen Osten und der Türkei ein.
 
Näheres zu Said und der ZAVD ist hier zu finden.
 
„Der Fall des Mönchs macht mehr als deutlich, in welchem Dilemma sich die assyrischen Christen im Tur Abdin seit Mitte der 1980er Jahre befanden und immer noch befinden. Als Unschuldige wurden sie einerseits von der PKK unter Druck gesetzt, ihre bewaffneten Mitglieder mit Verpflegung zu versorgen, und andererseits vom Militär und ihren bewaffneten Dorfschützern bedrängt mit der Regierung zusammenzuarbeiten, was zu Racheakten des PKK führte. Genau aus diesem Grund entschlossen sich Zehntausende, zwischen zwei Fronten zerrieben, das Land ihrer Vorfahren zu verlassen. Heute leben nur noch ein paar tausend assyrische Christen in der Region. Die wenigen, wie der Mönch Sefer Aho Bilecen, werden eingeschüchtert, um jahrhundertealte Klöster zu verlassen. Ich bin sicher, dass das Hafturteil gegen den Mönch bei einer Revision aufgehoben wird - schon um Europa vortäuschen, dass Rechtstaatlichkeit in der Türkei existiert“, so der 1.Vorsitzende des ZAVD.
 
 
Simon Jacob,
Augsburg,17. April 2021
 
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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
 
Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de