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Autor: Hans-Martin Gloël 

Ort: Irak

Format: Text

Thema: Religion, Gesellschaft

Datum: 22.04.2024

Portal: ZOCD.DE

Textdauer: 5 Minuten

Sprache: Deutsch

Titel: Ausgespien zu neuem Leben - Christen in Mosul und Baghdad zwischen Resignation und Hoffnung

 


(Mossul, Christus als Jona; Bildquelle: Hans-Martin Gloël)

 

Ausgespien zu neuem Leben - Christen in Mosul und Baghdad zwischen Resignation und Hoffnung

  

Die halbe Stadt liegt noch in Trümmern, aber Najeeb Mikhael, der chaldäische Bischof von Mosul ist optimistisch: 
„Mosul ist die Stadt des Jona, die Stadt der Reue und Umkehr!“ ruft er aus. Kürzlich erst ist er hierher zurückgekehrt aus seinem Exil in Erbil, hier in die Nähe der Mauern des alten Ninive. Die zahlreichen, zum Teil über 1000 Jahre alten christlichen Schriften, die er im Sommer 2014 gerade noch rechtzeitig auf abenteuerliche Weise vor dem anrückenden „Islamischen Staat“ in Sicherheit hat bringen können, lagern noch in seinem Archiv in Erbil (s. Sonntagsblatt vom 13.11.2022).  Noch haben wenige Christen das Vertrauen gefasst, in die Stadt zurückzukehren, aus der während der IS-Herrschaft zwischen 2014 und 2017 nahezu alle Christen vertrieben wurden. Zu frisch sind noch die Erinnerungen daran, wie ihr Haus mit dem arabischen Nun für „Nazarener“ rot gekennzeichnet wurde, an Demütigungen durch Nachbarn, Plünderungen und schließlich Flucht und Vertreibung. Aber Bischof Najeeb Mikhael berichtet von Hoffnungsgeschichten, von der Rettung zahlreicher Christen durch ihre muslimischen Nachbarn, die sie oft mit List – islamisch verkleidet – unter hohem Risiko mit dem Auto aus der Stadt und in Sicherheit brachten. Zwischen 20.000 und 45.000 Christen etwa sollen bis zum Sommer 2014 in Mosul gelebt haben – offizielle Zahlen gibt es nicht. Nur etwa 70 christliche Familien, also wenige hundert Menschen sind mittlerweile in die Millionenmetropole im Norden des Irak zurück gekehrt. Neben dem Bischof arbeitet derzeit nur ein Priester als Geistlicher in Mosul. Doch es bewegt sich etwas. Morgen werde seine Kirche eine Grundschule eröffnen, die für Schüler jeder Herkunft offen sei. „Das Klima ändert sich“ strahlt der Bischof: gestern Abend sei ein großer muslimischer Scheich mit seinem Gefolge spontan in sieben Autos hier vorgefahren um einen Gratulationsbesuch zu Ostern zu machen. Bis früh um eins seien sie in fröhlicher Runde zusammen gesessen. Und ein Geheimdienstmann der Stadt sei neulich gefragt worden, wieviele Geschäfte es in Mosul inzwischen wieder gebe, die Alkohol verkaufen. „Immer mehr“ habe der geantwortet „und hoffentlich bald mehr als Moscheen!“ 
Die Sicherheit in Mosul sei inzwischen perfekt und so ermutigt er christliche Familien zur Rückkehr in die Stadt. Doch viele haben ihr Hab und Gut verloren und haben nicht das Geld und die Unterstützung, ihr Haus zu renovieren oder neu zu bauen. Hier will der Bischof auch mit seinem persönlichen Vermögen Abhilfe schaffen. Auf einem Grundstück, das er von seinen Eltern geerbt hat, wird er ein Mietshaus errichten, in dem für rückkehrende Familien zunächst kostenlos Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. 
Er hat Hoffnung für die Christen von Mosul und er zeigt das an einem Symbol, das in dieser Stadt nicht besser passen könnte: auf dem Tabernakel seiner Kirche spuckt der große Fisch Christus den Auferstandenen aus. Jesus selbst sprach vom „Zeichen des Propheten Jona“; so wie der drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, werde der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein (Matth. 12,40). Die Leute von Ninive sind die, die nach der Predigt des Jona umkehrten und neu anfingen. 
Andererseits heißt es, die Ideologie des IS sei noch in vielen Köpfen auch in dieser Stadt. Es waren nicht nur ausländische Kämpfer, die diese Schreckensherrschaft hier errichtet hatten. Und oft hört man auch in Gesprächen von der Sorge, dass diese ihre Köpfe wieder erheben könnten, wenn ein entsprechendes politisches Vakuum es wieder zulasse. 
Dennoch: man muss in Mosul nur wenige Straßen weiter gehen um zu sehen, dass die Hoffnungen des Bischofs kein Hirngespinst sind. Auf einem großen, von Mauern umfriedeten Gelände stehen vier Kirchen: eine armenische, eine syrisch-orthodoxe und zwei syrisch-katholische. Es braucht einige Zeit und mehrere Anrufe, bis den Gästen aus Bayern der Zugang hier gewährt wird. Es ist eine große Baustelle: Arbeiter, Ingenieure, Maschinen: hier wird intensiv gearbeitet. Das Gelände war das Hauptquartier des sog. Islamischen Staates während seiner Schreckensherrschaft. Das Nebengebäude einer der Kirchen hatten sie zum Gefängnis gemacht. Die Metallplatten, mit denen die Herrscher des IS die Gefängniszellen zugenagelt hatten sind noch an den Fenstern, jetzt leicht aufgebogen. Als der Papst bei seinem Irakbesuch vor drei Jahren hier auf dem Platz vor den Kirchen eine Messe gefeiert hat, saß er noch zwischen Ruinen.  Jetzt aber werden zunächst zwei der vier Kirchen renoviert. „Revive the spirit of Mosul“ liest man auf Englisch und Arabisch unter dem Logo der unesco auf den gelben Jacken der hier Arbeitenden. Das ist das Zeichen, das wir geben wollen, sagt Anas, ein junger Ingenieur aus Mosul, der betont, dass er Muslim ist. „Die Vereinigten Arabischen Emirate fördern das Projekt und Muslime aus Mosul bauen diese Kirchen wieder auf. Das ist der Geist von Mosul, den wir wieder beleben wollen!“ In drei Monaten soll die Kirche fertig sein, an der er gerade mit seinem Team arbeitet. Es sieht so aus, als werde sie viel schöner, als sie zuvor gewesen ist. Auch die historische Al-Nuri-Moschee aus dem 12. Jahrhundert wird im Rahmen dieses Projekts wieder aufgebaut, in der Abu Bakr al Baghdadi im Sommer 2014 das Kalifat der Dschihadisten ausgerufen hat. Es wird sich erst noch erweisen müssen, wie die Menschen in Mosul diesen Neuanfang nutzen, ob die heutigen Bewohner des alten Ninive wirklich umkehren und neu beginnen. 

Gedämpfter ist die Stimmung in Baghdad. Nah am Tigris liegt das Gelände der anglikanischen Kirche. Im schön angelegten Garten ein Kriegerdenkmal für die seit 2003 hier gefallenen dänischen Soldaten. Die Kirche war ursprünglich eine Kirche für Diplomaten und Botschaftsangehörige, hat sich aber nach der Invasion der USA und ihrer Alliierten vor 20 Jahren für die Gesellschaft hinein geöffnet. „Viele hier mögen es, wie wir beten und unseren Glauben leben!“ sagt Pfarrer Faiz Jerjes. Aber er wirkt müde und sagt auch, dass er am liebsten in den Ruhestand gehen würde. Wo denn die Herausforderungen liegen? „In allem! Überall. Alles ist anstrengend!“ Hoffnung scheint allein die gut funktionierende Arbeit des Kindergartens und der Grundschule auf dem Gelände der Kirche zu geben, die von 99 % muslimischen Kindern besucht werden. Ansonsten beklagt er die mühsame Kommunikation mit den staatlichen Stellen und Verantwortlichen, die große Versprechungen machten und kaum etwas hielten. Nein, es seien nicht nur die Christen, die hier Probleme haben. Niemand sei im Frieden mit anderen. Religiöser Fanatismus grassiere. Emigration wäre die einfachste Lösung meint er. Und offenbar haben das auch schon die meisten seiner Gemeindeglieder gemacht, die es sich leisten konnten, denn die Menschen die – abgesehen von den Diplomaten – noch zu seiner Gemeinde gehörten, seien vor allem damit beschäftigt, ihr tägliches Brot zu beschaffen. 
Die Politik von religiöser Einflussnahme zu entflechten und Religionsfreiheit in gleichem Maße für alle – das würde einen Unterschied machen betont er. Der englische König Karl engagiere sich ja in dieser Sache. Darin sieht er Hoffnung. 
Ein großes Kirchengebäude mit den entsprechenden Nebengebäuden steht auch der Gemeinde des griechisch-orthodoxen Pfarrer Younan mitten in Baghdad zur Verfügung. 30 Familien gehören zu seiner Gemeinde. Vor 20 Jahren waren es noch mehr als 1000.  Wie kann da die Zukunft aussehen? „Vielleicht ist es hier in 10 Jahren wie in der Türkei: viele Kirchen aber fast keine Christen mehr.“ Kritik übt er an evangelikalen Missionaren aus den USA, die im Schatten des Krieges vor 20 Jahren ins Land gekommen sind und nun nicht nur versuchen, Muslime zu konvertieren, sondern auch den lokalen Kirchen Gläubige abwerben. Viele pflegen Doppelmitgliedschaften und wenden sich für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen dann aber doch wieder an ihre Heimatgemeinde. 
Was seine ausgewanderten Gemeindeglieder betrifft, so meint Pfarrer Younan: „Sie tragen das Feuer des Glaubens in den Westen, wo das Christentum doch fast schon aufgehört hat zu existieren.“ Er aber wird hier bleiben, um seinen Auftrag als Christ zu erfüllen, Hoffnung in diese Gesellschaft zu tragen. Herausfordernd fragt er: „Sehen wir es nicht auch an der Bekehrung des Saulus zum Paulus, dass Menschen, die sich gegen uns gewendet haben, eines Tages an unserer Seite stehen können!?“ 

 


(Chald. Bischof Michaeel Najeeb am Tabernakel; Bildquelle: Hans-Martin Gloël)

 

Die Begegnung mit dem armenischen Bischof des Irak in Baghdad Oshagan Gulgulian lässt auf sich warten: der Osterbesuch eines schiitischen Geistlichen zieht sich hin. Der Mann mit dem weißen Turban und seine Begleiter besichtigen nach dem Gespräch mit dem Bischof noch die Kathedrale. 
Bischof Oshagan strahlt Lebensfreude aus und betont seine positiven Erfahrungen mit der Regierung. Sie habe eine Kommission eingerichtet, die dafür sorge, dass die Kirchen ihr Eigentum zurück bekämen, das in der Vergangenheit beschlagnahmt oder enteignet wurde.  
Die Sicherheitslage werde nun auch in Baghdad langsam besser, es gebe immer weniger Checkpoints und immer mehr offene Cafés und in der Stadt werden nun Straßen und Brücken gebaut. Die fast 400 Jahre alte, ehem. große Gemeinde der Armenier in Baghdad bestand vor allem aus Händlern, von denen fast alle nach Europa, in die USA oder nach Australien emigriert sind. Die Auswanderung und die Assimilation der Gläubigen in der Diaspora bezeichnet der Bischof als „Weißes Massaker“. Geblieben sind diejenigen, die – ähnlich wie in anderen Gemeinden zu hören – um das tägliche Brot kämpfen. 
Bischof Oshagan aber ist überzeugt: „Wenn hier erst mal Sicherheit herrscht, dann verlässt niemand mehr das Land! Der Irak und besonders Baghdad ist der beste Ort für Arbeitnehmer und auch als Händler macht man hier mehr Geld und zahlt weniger Steuern. Jeden Tag scheint die Sonne und gearbeitet wird nur bis 13.30 h und das an kaum mehr als 130 Tagen im Jahr. Ständig sind irgendwelche Feiertage und an jedem Tag, an dem es regnet ist auch Feiertag, weil die Straßen überschwemmt sind und alles geschlossen ist.“ Und dann gibt er noch seinen Geheimtipp für Geschäftsleute, die schnell reich werden wollen: „Alles hier wird in Plastik gepackt, jeder Schluck Wasser. Recycling ist die Zukunft! Wer hier eine Recycling-Firma aufbaut, wird schnell zum Billionär.“ 

Spenden auf das Konto der ELKB bei der Evangelischen Bank: DE57 5206 0410 0001 0101 07, GENODEF1EK1, Stichwort: Christen helfen im Irak kommen direkt den Partnerorganisationen der ELKB, die vor Ort Hilfe leisten zu Gute.

 

Ich danke Ihnen, Eminenz, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen.