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Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
  
Autor: Daniela Hofmann
Ort: München, Deutschland
Format: Text
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion, Extremismus, Minderheiten
Datum: 06.11.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: ca. 8 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Antisemitismus, ein gesamtgesellschaftliches Problem – ein Interview mit dem Antisemitismusbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung
Dr. Ludwig Spaenle
  

Antisemitismus, ein gesamtgesellschaftliches Problem

  
Der Landtagsabgebordnete und gebürtige Münchner Dr. Ludwig Spaenle studierte nach dem Abitur Geschichte und Katholische Theologe. Seit 1977 ist er Mitglied der CSU und war vor seiner Berufung zum Antisemitismusbeauftragten im Jahr 2018 zehn Jahre Staatsminister für Unterricht und Kultus, fünf Jahre zusätzlich zugleich Minister Wissenschaft und Kunst. Angesichts der zunehmenden Gewalt und Übergriffe in Deutschland führte ich ein Gespräch mit ihm.
 
Daniela Hofmann: Warum braucht es einen eigenen Antisemitismusbeauftragten in Bayern wo es doch einen für den Bund gibt und waren Sie überrascht, als die Wahl auf Sie fiel?
Dr. Ludwig Spaenle: Mit meiner Ernennung zum Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, hat die Bayerische Staatsregierung ein unübersehbares Zeichen gesetzt: In Bayern gehören Jüdinnen und Juden zur Gesellschaft dazu. Sie haben unsere Gesellschaft maßgeblich mitgeprägt, sie prägen sie mit und Bayern wird sie mit allen Möglichkeiten schützen. Ich habe die Aufgabe sehr gern angenommen, weil ich bereits in meiner vorherigen Funktion der Erinnerungsarbeit einerseits, dem Miteinander und Dialog zwischen den Religionen andererseits einen zentralen Stellenwert gegeben habe. Und ich wiederhole es gern: Für mich gehören Jüdinnen und Juden zum Alltag in Bayern und Deutschland und ich engagiere mich gern mit allem Nachdruck, dass das so bleibt. Und das jüdische Leben in Deutschland wie in Bayern ist sehr vielfältig – von kleinen Gemeinden wie Amberg oder Erlangen bis zur zweitgrößten deutschen in München, von orthodoxen bis zu liberalen Gemeinden.
Der Landesbeauftragte für jüdisches Leben ist auch deshalb wichtig, weil viele Themen wie Sicherheit, Bildung und Kultus der Länderhoheit unterliegen. In der Bund-Länder-Kommission arbeiten alle Beauftragten gut zusammen.
 
Der Anschlag in Halle jährte sich im Oktober. Was hat sich seitdem verändert?
Der Terrorakt von Halle geschah zum ersten Mal an einem hohen Feiertag, Terrorakt und die Tat wurden von dem Täter sogar live gestreamt. Das war eine neue „Qualität“ antisemitischer Gewalt. Dieses feige und zugleich geplante Attentat auf die Synagoge von Halle an einem hohen religiösen Feiertag hat nicht nur die Spitzen von Politik und Gesellschaft, sondern auch viele Bürgerinnen und Bürger wachgerüttelt. Spätestens seit Halle ist ihnen neu bewusst, der Antisemitismus, den manche schon tot glaubten, ist dramatisch lebendig. Und vielen ist mehr denn je bewusst: Wer Jüdinnen und Juden angreift, greift unsere Gesellschaft und unsere Demokratie an. Dieser Terrorakt hat in der Folge dazu geführt, dass in der Bevölkerung das Problem Antisemitismus intensiver denn je diskutiert wird. Und die Länder und der Bund haben begonnen, die Sicherheitskonzepte von jüdischen Einrichtungen zu überprüfen und z. B. den Schutz von Synagogen und Jüdinnen und Juden zu verstärken. Ich bin sehr froh über die Reaktion vieler Bürgerinnen und Bürger sowie Politiker.
 
Vor kurzem fand ein Anschlag vor der Synagoge in Hamburg statt - Was fehlt im Kampf gegen Judenhass?
Der Anschlag auf den jüdischen Studenten vor der Synagoge in Hamburg hat noch mal bewusstgemacht: Halle war kein Einzelfall, die Gesellschaft und der Staat sind gefordert und zwar in einem umfassenden Sinn – Die Verhinderung von Anschlägen und die Repression gegen antisemitische Straftäter sind eins.
Aber: Wir müssen darüber hinaus feststellen, dass Antisemitismus ein großes Problemfeld ist, dass sich aus unterschiedlichen Wurzeln speist. Da gibt es neben rechtsextremem Antisemitismus auch islamistischen Antisemitismus, ferner einen linksextremistischen, der vor allem das Existenzrecht Israels, des einzig demokratisch regierten Staats im Nahen Osten, in Frage stellt und einseitig zugunsten der Palästinenser und Araber Partei ergreift bezieht. Gegen alle Formen des Antisemitismus gibt es Handlungsbedarf. Lassen Sie mich dies in drei Forderungen zusammenfassen: 1. Wir brauchen eine Kultur des Hinschauens und eine damit verbundene Solidarität mit Jüdinnen und Juden. 2. Wir müssen präventiv mit Wissen gegen Judenhass und Antisemitismus angehen. 3. Die Sicherheitsbehörden und die Justiz müssen repressiv gegen antisemitische Straftäter vorgehen. Mit dem Gesamtpaket werden wir auf Dauer Erfolg haben.
 
Wo ist die Trennlinie zwischen berechtigter Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus?
Die Trennlinie zwischen berechtigter Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus verläuft da, wo Menschen das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellen. Israel ist der einzige wirklich demokratische Staat im Nahen Osten. Kritik am Handeln israelischer Politiker darf man ebenso äußern wie Kritik an deutschen oder französischen Politikern, an russischen und amerikanischen. Kritik wird antisemitisch, wo „den Israelis“ bzw. „den Juden“ als Kollektiv die Alleinverantwortung für sämtliche Probleme im Nahen Osten zugeschrieben wird und sie mit anderen Maßstäben gemessen werden als alle anderen. Sie wird antisemitisch, wenn das Regierungshandeln mit dem der Nazis gleichgesetzt wird. Delegitimierung, Doppelstandards und Dämonisierung bilden die Trennlinie zwischen Kritik und Antisemitismus. Und gerade wir in Bayern und Deutschland tun gut daran, diese Trennlinie sehr genau zu beachten.
 
Auch deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens werden in Deutschland mit dem Konflikt im Nahen Osten konfrontiert. In welche Zwickmühle bringt es die hier lebenden jüdischen Gemeinden?
Natürlich lässt auch die Jüdinnen und Juden in Deutschland der Konflikt im Nahen Osten, z. B. zwischen Israel und dem Palästinensischen Staat, zwischen Israel und dem Iran nicht kalt. Und die enge religiöse und familiäre Beziehung macht sie für die Bedrohung Israels besonders sensibel. Dafür müssen wir Respekt haben. Und zugleich wissen wir: Die Jüdinnen und Juden, die in Deutschland leben, sind Bundesbürgerinnen und Bundesbürger und sie werten politische Vorgänge nicht nur unter dem Aspekt familiärer und religiöser Nähe. Sie sind ebenso wenig haftbar für die israelische Politik wie jeder andere Bürger unseres Landes auch.
 
Es bringen scheinbar aber auch Zuwanderer aus den arabischen Ländern einen verstärkten Antisemitismus mit nach Europa. Was kann man dagegen tun und sind unsere Sicherheitskräfte generell auf den sich verstärkenden Antisemitismus eingestellt?
Auch und in besonderer Weise für Zuwanderer aus arabischen Staaten, die in ihrer Gesellschaft z. B. in der Schule mit einer kritischen Grundeinstellung gegenüber Israel sowie gegenüber Jüdinnen und Juden sozialisiert wurden, ist eine umfassende Bildungs- und Erziehungsarbeit in Bayern und Deutschland im Sinne von religiöser Toleranz und demokratischer Gesinnung im Sinne des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung nötig. Dazu können Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen einen wichtigen Beitrag leisten. Darüber hinaus aber sind Experten wie der Psychologe Ahmad Mansour gefragt, die in speziellen Projekten hier vorbildliche Arbeit mit jungen Muslimen in der Erziehung zu Toleranz und Demokratie leisten. Und er lehrt uns eins: Klare Kante zeigen gegen antisemitische Strömungen und Meinungen.
Wir müssen aber auch die Probleme angehen, die sich im Verhältnis zu Muslimen ergeben, die schon seit Jahren in Deutschland leben, aber eine Nebengesellschaft gebildet haben.
 
Ihr Wunsch für die Zukunft?
Mein Wunsch wäre es, mein Amt überflüssig zu machen. Mein Wunsch für die Zukunft ist es nämlich, den Antisemitismus zu überwinden. Und dazu möchte ich gerade über Aspekte der Bildungsarbeit – Stichwort „Bildung gegen Judenhass“ – über das Wachrütteln der Menschen in Bayern etwa mit Hilfe einer Diskussion über die Definition von Antisemitismus nach der Internationalen Holocaust Remembrance Alliance und deren Annahme beitragen. Und ich möchte dabei mitwirken, zu einer Kultur des Hinschauens und der Solidarität mit Jüdinnen und Juden zu gelangen.
 
Herr Dr. Ludwig Spaenle, haben Sie vielen Dank für die Zeit, die Sie sich genommen haben. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Erfolg für die Zukunft, auf dass Ihre Wünsche in Erfüllung gehen mögen.
 
Daniela Hofmann
 
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