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Autor: David Fuhrmann
Ort: Deutschland
Format: Text
Thema: Gesellschaft
Datum: 26.6.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 10 min.
Sprache: Deutsch
Titel: Drogen – Sehnsucht nach Erlösung durch Christus
 
 

Drogen – Sehnsucht nach Erlösung durch Christus

 
Vater Joachim hat zuerst Musik- und Theaterwissenschaften sowie Anglistik studiert, entdeckte aber später seine Begeisterung für die Religion. Er studierte katholische Theologie und Islamwissenschaft und ist seitdem Priester. Dabei betreut er außerdem Drogensüchtige, die nicht wissen wie das Leben weitergeht und nach Frieden und Erlösung suchen. Wie kommt Vater Joachim als Gläubiger, Priester und Mensch damit klar? Vater Joachim ist auch Mitglied im ZOCD
 
Warum sind Sie Priester geworden?
Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich glaube, einfach weil Gott mich berufen hat. Ich habe mir das nie direkt ausgesucht. Immerhin ist das kein Beruf wie jeder andere, sondern in meinen Augen eine Berufung. Mit Mitte 30 steckte ich in einer Krise. Ich war übersättigt von allem und suchte nach einem Sinn in meinem Leben. Zur gleichen Zeit hatte ich auch erste Erfahrungen mit dem Tod in meinem Umfeld. Wie die meisten meiner damaligen Zeitgenossen hatte ich außerdem viele negative Vorurteile gegenüber der Kirche und wollte wissen, was es damit auf sich hat. Um meine Fragen zu beantworten, begann ich Theologie zu studieren. Ich wollte zunächst nur einfach mehr über den Glauben und die Kirche wissen. Dabei entdeckte ich dann, dass mir das reine Wissen vom Kopf her nicht reichte. Ich wollte mich mehr und mehr mit meinem ganzen Sein an Gott und Seine Kirche binden und mich Ihm hingeben.
 
Als Seelsorger und Pädagoge nehmen Sie sich besonders derer an, die dem Drogenkonsum verfallen sind. War das eine Glaubensentscheidung?
Zunächst einmal nicht. Dabei fällt mir meine Mutter ein, die ich mal gefragt habe, warum sie dieses und jenes nach dem Krieg gemacht hat. Ihre Antwort war: „Es hat sich so ergeben.“ Später kam dann definitiv auch mein Glaube dazu. Auf meinem Weg als spätberufener Priester hat mich sehr bald Mutter Teresa begeistert. Es faszinierte mich, wie sie die Anbetung Gottes und die Fürsorge für die Ärmsten der Armen so einfach zusammenbrachte. Ich begann in diese Richtung zu leben, obwohl mir die Liebe zu den Bedürftigen nicht in den Schoß gefallen ist. Aus einem eher kultivierten Background bin ich als neugeweihter Priester in einem sehr armen Viertel gelandet. Dabei wurde ich gezielt in dieses Viertel mit einem hohen Ausländeranteil und vielen Muslimen versetzt, weil ich relativ viel über den Islam noch aus meinem Nebenfach der Islamwissenschaften im Studium wusste und außerdem ein bisschen türkisch sprach. Ich habe ein wenig Zeit gebraucht, mich in diesem Milieu zurechtzufinden, aber nach den ersten Jahren habe ich mich dann bewusst entschieden hierzubleiben, um nahe bei den Armen zu sein. In den Jahren darauf hatte ich dann immer mehr Kontakt zu Drogensüchtigen, da in der Nähe verschiedene psychiatrische Kliniken und Caritas-Schlafstellen sind. Irgendwann begannen viele von ihnen, sich um die Kirche herum anzusiedeln, weil sie sich hier willkommen fühlten. So entstanden mit der Zeit ein guter Kontakt und reger Austausch mit ihnen. Ich bin jetzt seit 18 Jahren hier und wir bieten als Gemeinde jeden Tag den Bedürftigen ein gemeinsames Frühstück und jeden Sonntag auch Mittagessen an. Dabei versuche ich natürlich auch, sie ganz im Geiste Mutter Teresas mit Christus in Berührung zu bringen.
Mein letzter Schritt war sehr gewagt. Nachdem ich allmählich mit einigen der obdachlosen Drogenkranken väterliche Freundschaften geschlossen hatte, begann ich Anfang dieses Jahres mit ihnen einen Katechumenatskurs. Mit diesen Menschen in einem geschlossenen Raum über den Glauben zu sprechen ist ein einziges Abenteuer: Zum Beispiel kippen manche mitten in der Stunde vor dir weg oder bekommen plötzlich einen psychotischen Anfall und werden vielleicht auch aggressiv. Das alles Begann mit dem Ziel, erstmal einen von ihnen zu taufen. Michael wurde vorgestern getauft. Er ist einer der schwerkranken Drogensüchtigen und liegt im Moment wieder im Krankenhaus. Ich werde ihn im Anschluss an das Interview noch besuchen.
 
Wie kommen Sie, physisch und psychisch, mit den teils äußerst komplexen und schmerzhaften Schicksalen klar, und wie hilft Ihnen Ihr Glaube dabei?
Vor allem das Beten, besonders während der eucharistischen Anbetung, hilft mir sehr. Das ist der Moment, in dem ich alles abgebe und mich wieder von der Kraft Christi füllen lasse. Besonders die letzten Tage waren sehr anstrengend, all die Anspannung und Nervosität vor der Taufe. Diese Menschen zur Taufe zu führen ist nicht leicht. Man kann es selten „professionell“ machen und alles klar trennen. Natürlich gebe ich da auch viel Herzblut hinein. Ich habe zwar meine Erfahrungen als Seelsorger, die mir helfen, nicht alles zu sehr ans Herz gehen zu lassen. Aber es gibt auch immer wieder Phasen, in denen es vor allem ein Mitleiden ist. Der Schlüssel, gerade bei diesen meist auch seelisch schwerverletzten Drogenkranken, ist letztlich die Liebe, selbst wenn ich dabei manchmal bis zur Schmerzgrenze mitleiden muss. In gewisser Weise sind diese Menschen auch Lehrmeister für uns. Sie zeigen uns als Gemeinde so unversteckt und mitunter sehr krass, was in uns allen vorgeht. Wir sind nur geübter darin, das fromm zu kaschieren, obwohl die meisten von uns ihre inneren Verletzungen mit sich tragen, die sich dann in Groll, Eifersucht und im Umgang miteinander zeigen. Wir begegnen quasi auch immer uns selbst vor der Kirchentür. In dem Maß, in dem wir uns wirklich auf die Armen einlassen und uns in ihr Leiden hineinknien, werden auch wir beschenkt. Sie sind nicht nur äußerst liebenswert, trotz ihrer harten Schale, sondern sie bringen uns auch mit dem in Verbindung, was in uns allen seelisch nicht heil ist. Gerade bei Drogenkranken finden sich so viele Wunden aus der Kindheit. Das half auch mir, der ich erst mit acht Jahren adoptiert wurde, meine eigenen Erfahrungen und Probleme aus der Kindheit zu überwinden. Diese in mir weitgehend durch den Glauben geheilten Wunden helfen mir wohl, den Verwundeten um mich herum wiederum ein wenig hilfreich nahe zu sein.
Im Umgang mit Drogenkranken braucht man in meinen Augen viel Geduld, starke Nerven und auch die Bereitschaft,  professionelle Denkmuster und Voreingenommenheit hinter sich zu lassen.  Letztendlich sollten wir versuchen, alle bedingungslos zu lieben und alles weitere Gott zu überlassen, denn am Ende ist es immer sein Werk.
 
Wie kann Glaube jenen helfen, die süchtig nach Rauschmitteln sind?
Eine der stärksten Erfahrungen in diesem Jahr war, vor allem bei dem zuletzt Getauften, wie bereit er war, sich auf Gott einzulassen. Bei vielen von ihnen ist es deutlich spürbar: sie dürsten geradezu nach Erlösung und Rettung aus ihrer Not. Sie haben nichts, sind obdachlos und sind gefangen in ihrer eigenen Drogenhölle. Viele sagen „ich glaube nicht so wirklich an Gott, aber die Drogen sind vom Teufel.“ Wie leicht sie sich dadurch dem Erlöser Jesus Christus entgegenstrecken ist unglaublich. Wir diskutieren ja in der Kirche heute viel darüber, wie wir den Menschen den Glauben näherbringen können, wenn sie gar nicht mehr in die Kirche gehen. Bei diesen Drogenkranken ist es genau das Gegenteil. Sie hungern nach Licht und Erlösung und vor allem danach, geliebt und angenommen zu werden. Die Erfahrung, dass sie in unserer Gemeinde nicht verurteilt, sondern angenommen werden und sich dadurch sogar in die Heilige Messe wagen (was für viele ein riesiger Schritt ist), ist einzigartig.
Ich trage ein größeres Benediktuskreuz um den Hals und manch einer der Kranken, die vor der Kirche sitzen, fragt nach so einem Kreuz. Da ist bereits der Ruf nach Erlösung versteckt. Michael z.B. lag im Klinikum vor kurzem fast im Sterben und als man ihm das Kreuz dort abgenommen hatte, schrie er: „Sie haben mir meine Würde genommen. Sie haben mir einfach meinen Jesus genommen!“ Das war eine unter die Haut gehende Erfahrung, diesen tätowierten, cholerischen Menschen mit harter Schale nach „seinem“ Kreuz rufen zu sehen. Er hat heftig geweint und das Kreuz innig geküsst, als er es wiedererhielt. Ich kam mir vor wie in einer Szene des Evangeliums und fühlte mich Jesus Christus sehr, sehr nah.
 
Wie kann Christus Süchtigen und Gepeinigten Erlösung schenken?
Teilweise habe ich diese Frage ja bereits vorher beantwortet. Vor allem ist es wohl die Erfahrung bedingungsloser Liebe und Angenommenseins. Gerade aufgrund ihres Leidens sind die Süchtigen sehr empfänglich für den am Kreuz leidenden und sterbenden Erlöser. Mutter Teresa sagte, Jesus begegnen wir in den Ärmsten der Armen, den Leidenden und den Entstellten. Das ist für mich das christliche Glaubensbekenntnis, dass sich Jesus ganz und gar eins macht mit den Leidenden. Wenn diese Drogenkranken durch uns diese Liebe erfahren, indem wir sie liebevoll und trotz aller Rückschläge annehmen, dann beginnt ein Prozess, in dessen Verlauf sie Erlösung erfahren können. Wir sollten immer den Auftrag vor Augen haben, mit dem Herzen bei den Armen zu sein, sie dadurch mit Jesus Christus in Berührung zu bringen und somit Christus selbst zu begegnen.
 
Vielen Dank an Vater Joachim, für diesen emotionalen und auch persönlichen Einblick in seine Arbeit.
 
David Fuhrmann
26.6.2020
 
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