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Autor: Simon Jacob
Ort: Berlin, Deutschland
Kategorie: Artikel
Rubrik: Religion, Politik
Datum: 19.10.2018
Portal: www.simonjacob.info
Textdauer: ca. 10 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Religionsfreiheit – Konfrontation im Bundestag
   

 

Religionsfreiheit – Konfrontation im Bundestag

 

Nach Jahren als aktiver Journalist, Aktivist und Botschafter des Zentralrates Orientalischer Christen in Deutschland e.V., aber auch als Bürger einer Demokratie, die sich in den letzten Jahren einer immer größeren gesellschaftlichen Verzerrung hingeben musste, und im Besonderen als tiefgläubiger Christ, habe ich inzwischen die Erkenntnis erlangt, dass eines der wichtigsten Rechte der Menschheit darin bestehen sollte, an nichts glauben zu dürfen, sofern man dies möchte. Endgültig zementiert hat diese Einschätzung eine Debatte im Bundestag am 19.10.2018, zu der auch der Zentralrat Orientalischer Christen eingeladen war. Der 2013 in Deutschland gegründete Verein war mit der größten Delegation, insgesamt waren zwölf Teilnehmer verschiedenster nahöstlicher Kirchen anwesend, auf der Ehrentribüne vertreten. Zusammen mit Vertretern der Jesiden und Juden verfolgten wir den debattenreichen Schlagabtausch zwischen zwei Fraktionen,  wobei die eine Fraktion, namentlich die AfD, als Provokateur betrachtet wurde und die restlichen Parteien in seltener Einheit mehr oder weniger dagegenhielten.

 

Um was ging es nun an diesem wunderschönen, goldenen Herbsttag in Berlin?

 

Drei Parteien hatten einen Antrag zur Stärkung der Religionsfreiheit als Menschenrecht eingereicht. CDU/CSU und SPD betitelten ihren Antrag mit den Worten: „Menschenrecht auf Religionsfreiheit weltweit stärken.“ Bündnis 90/Die Grünen einigten sich auf den Titel: „Einsatz für Religions- und Weltanschauungsfreiheit weltweit verstärken“ und die AfD nannte ihren Antrag: „Christenverfolgung stoppen und weltweit sanktionieren.“

 

Dass der Antrag der CDU/CSU und SPD, aufgrund der Mehrheit im Bundestag, durchgeht, war zu erwarten. Ebenfalls die Ablehnung der Anträge von AfD und Bündnis 90/Die Grüne. Das Ergebnis ist auf der Seite des Bundestags zu finden. Der Link dazu HIER.

 

Viel interessanter und gravierender war für mich als Beobachter der Schlagabtausch zwischen den einzelnen Fraktionen, und im Besonderen zwischen der AfD und allen weiteren Parteien. Eine Gegebenheit, die meine persönlichen, erst ein paar Monate zurückliegenden Erfahrungen im Irak und in Syrien ergänzte - ohne dass den Anwesenden bewusst war, dass ich im Irak indirekt mit der Thematik, durch die Anwesenheit eines AfD Abgeordneten und das Zutun einer wertgeschätzten Verwandten, bereits im Vorfeld konfrontiert worden war.

 

Im März 2018 befand ich mich, auch um in Zusammenarbeit mit der ARD eine neue Reportage zu drehen, sowohl in Bagdad, Najaf, Kerbala, Erbil, der irakischen Ninive – Ebene als auch in Nordsyrien. Ich führte mit hohen Geistlichen, religiösen Repräsentanten als auch den politischen Vertretern Gespräche, um mehr über die aktuellen Entwicklungen, besonders im Zusammenhang mit den indigenen Minderheiten (Christen, Jesiden, Schabak…), zu erfahren. Dass der IS nun in den Untergrund abgetaucht ist, wo die Nachfolger der Terrororganisation versuchen sich neu zu formieren und zu strukturieren, musste nicht unbedingt bedeuten, dass sich die Lage aller Minderheiten verbessert hatte. Das Gegenteil war und ist sogar der Fall. Kaum ein Christ wird sich wohl wieder zurück nach Mosul wagen; in eine Stadt, in der der eigene Nachbar das Hab und Gut in Besitz genommen hat. Doch dies aus der Perspektive des Glaubens zu betrachten, würde vielleicht religiös – ideologisch die Motivation, als Glaubensbekenntnis und auf Gott berufend, die Tat des Täters gegenüber dem Opfer erklären. Doch reicht das bei Weitem nicht aus, wenn man die tiefe Komplexität nahöstlicher Konflikte begreifen möchte, die bereits seit dem Sykes – Picot Abkommen brodeln und nicht enden wollen. Versetzt man sich in das Jahr 1916 zurück und betrachtet das Ganze aus der Perspektive des Stammes- (Clan) angehörigen, sieht man die Teilung zweier großer sunnitischer Stämme zwischen der syrischen Region Deir Ez Zor und der Ninive – Ebene im Nordirak bis nach Mosul. Stämme, die sich im syrischen Teil ihres Stammesgebietes nach der Machtergreifung schiitischer Geistlicher 1979 im Iran, einer weiteren Bedrohung durch schiitische Missionare ausgesetzt sahen. Die Benachteiligung durch Damaskus, sofern man nicht zum Schiitentum konvertierte, verstärkte nur noch den Hass auf alles Schiitische und den Westen, der den Stämmen eine willkürliche Grenze aufgezwungen hatte, die später den Kern des sogenannten Islamischen Staates bildete. Allein hier würde sich der durchschnittliche westliche Beobachter schwer tun, den Überblick zu bewahren. Doch wenn nun auch noch das kodifizierte und Jahrhunderte alte Stammesgesetz hinzukommt, welches seit über 102 Jahren, seit Sykes – Picot, nach Rache lechzt, nehmen die Gegebenheiten ein Ausmaß an, welches selbst das Basiswissen vieler Experten, besonders im kulturellen Umfang, sprengen würde.

 

Das eben genannte Beispiel soll verdeutlichen, wie problematisch und teils schwer verständlich die Gesamtsituation ist, deren Bandbreite man erst dann ansatzweise begreifen kann, wenn man die Vergangenheit, die kulturellen Gegebenheiten, territoriale Umstände und religiöse Aspekte, die in Machtkonflikten als ideologische Waffe zum Einsatz kommen, im Gesamtzusammenhang erfassen kann. Dies zu tun, sich all dem hinzugeben, erfordert mehr als ein jahrelanges Studium. Ausschlaggebender ist die kulturelle und ethnische Zugehörigkeit zu einer Region, in der die Religion, besonders die monotheistischen Richtungen, seit der ägyptische Pharao Echnaton (Amenophis IV.) alle Götter verbannt hatte und sich als der Vertreter des einen Gottes Aton betrachtete, eine bedeutende Rolle spielt.

Damit legitimierte der Begründer des Monotheismus das „Einherrscherprinzip“ und vereinte alle Macht auf seine Erscheinung, legitimiert durch den einen Gott. Dieser Gedanke des Herrschens als einzige Macht in der Region, ist nach wie vor Bestandteil der Stämme und kollidiert, übrigens auch in Europa, wenn sich in urbanen Regionen Parallelgesellschaften bilden, mit der individuellen Entfaltung des  Einzelnen in einer pluralistischen und demokratischen Gesellschaft.

 

Und nun, während meines Aufenthaltes im Irak im März 2018, erhielt ich, als ich mich noch in Bagdad befand, einen Anruf von meiner sehr wertgeschätzten Tante Hatune Dogan, die als Novizin der Syr.-Orthodoxen Kirche und Gründerin der Stiftung „Helfende Hände“ mich fragte, ob ich wüsste, warum ein Bischof der Syr.-Orthodoxen Kirche in Erbil keine Zeit für sie und einen mit ihr reisenden Abgeordneten der AfD hätte. Natürlich wusste ich das nicht. Wie denn auch. Ich war im entfernten Bagdad und hatte zum genannten Zeitpunkt auch keine Möglichkeit, den erwähnten Bischof zu erreichen. Offen gesagt, ich wollte es auch nicht. Nicht weil ich der Meinung war, dass der Reisende der AfD, welcher mit meiner Tante im Nordirak verweilte, keine guten Absichten hegte. Das tat er, in Anbetracht der Fülle an Problemen, bestimmt. Vielmehr machte ich mir Sorgen darüber, dass diesem, in Augenschein der angeheizten Stimmung in Europa und die Art und Weise wie inzwischen populistisch als auch polemisch kreuz und quer geschossen wird, nur ein bestimmter, dem aktuellen Zeitpunkt entsprechender und punktuell beschränkter Blick zuteilwird. 

 

Und damit kommen wir zurück zur Abstimmung im Bundestag. Der eingereichte Antrag der AfD sieht vor, jedenfalls lässt dies der Wortlaut vermuten, dass Hilfe nur Christen zuteilwerden soll. Mit einem klaren Freund – Feind Bild; in diesem Fall den Islam als Ganzes, welcher die treibende Kraft hinter der Verfolgung von religiösen Minderheiten ist. Und tatsächlich ist der politische Islam mit seinem kodifizierten Gesetz innerhalb der Scharia, was dem vorislamischen Clankodex entsprungen ist, tatsächlich ein Teil des Problems. Aber eben nur ein Teil.

Denn wenn man zurückblickt in das Jahr 1916, als das Sykes – Picot Abkommen zwischen Briten und Franzosen geschlossen wurde, erscheinen viele Entwicklungen in einem anderen Licht.

Und dieses Licht zur Erhellung des Verstandes, der Vernunft, der Rationalität und der Menschlichkeit, ganz ohne Polemik und im Sinne der Religionsfreiheit als Menschenrecht - gerade für die, die nicht mehr glauben mögen und genug davon haben, besonders im Nahen Osten - ist jedem zu wünschen, der mit dem Feuer spielt. Im Orient als auch im Okzident.

 

Die Artikelserie Irak – Syrien März 2018 – „Ist Frieden im Nahen Osten möglich“ – wird in den nächsten Tagen in der Gänze veröffentlicht werden und steht vorab als PDF unter dem Link wie folgt zum Abruf bereit.

 

Simon Jacob,

Augsburg, den 22.10.2018

Buchtipp: 

Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zuganglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.

 

 

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