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Autor: Simon Jacob
Ort: Deutschland/Düsseldorf
Kategorie: Artikel
Rubrik: Gesellschaft
Datum: 21.11.2017
Portal: www.simonjacob.info
Textdauer: ca.3 Minuten
Titel: Im NRW Landtag – Wer sind die „Suryoye“?

Im NRW Landtag – Wer sind die „Suryoye“?

Als Suryoye werden aramäisch sprachige (West- und Ostaramäisch) Christen bezeichnet, die ihre Ursprünge im Nahen Osten haben. Doch sowohl im Nahen Osten als auch in der westlichen Welt sind Begriffe wie Aramäer, Assyrer, Chaldäer oder Maroniten für sie ebenfalls bekannt. Die Suche nach einer bindungsstiftenden Identität, oft auch von Außenstehenden instrumentalisiert, führte zu einer tiefen Spaltung der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten und in Europa. Die Konsequenzen dieser tiefen Fragmentierung, die Sehnsucht der Suryoye nach einer ethnischen Identität, spiegelte und spiegelt sich immer noch in der Verunsicherung der Bevölkerung nahöstlich christlicher Denominationen - und das über Generationen hinweg. Auch die hiesige Politik wurde durch den Konflikt um die Bezeichnung der eigenen Identität oftmals nicht nur verwirrt, sondern auch teilweise mit verärgert. Nicht selten war ein Kopfschütteln bei gesellschaftlichen und politischen Gesprächen, in denen man die Ziele einer inzwischen recht großen Gemeinschaft in Deutschland - wir sprechen hier immerhin von über 100.000 Suryoye in dritter, vierter Generation - besprechen wollte, die Folge. 


Diese Gespräche sind, gerade im Zusammenhang mit islamisch – extremistischen Entwicklungen, auf die deutsche Staatsbürger mit christlich – nahöstlichen Wurzeln wie ein Seismograf äußerst sensibilisiert reagieren, essentiell wichtig. Flohen gerade viele von ihnen aus Gründen der Verfolgung und Unterdrückung durch Islamisten, aber auch wegen der Ungleichbehandlung in den Herkunftsländern mit muslimischer Mehrheit, in ein freies Europa. Meines Erachtens nach birgt jedoch eine von Sorgen geprägte und historisch negative Sichtweise auf den Islam, ob nun berechtigt oder unberechtigt, auch die Gefahr, dass sich viele Bürger, die eigentlich in der Demokratie angekommen und hervorragend integriert sind, dazu verleiten lassen, einen Rechtsruck in Europa und auch in Deutschland wenigstens zu befürworten. Nicht wenige dürften bei den letzten Bundestagswahlen ihre Stimme weit rechts abgegeben haben. Nun ist das auch ihr gutes Recht. Wir leben in einer Demokratie und die Gewalt, die parlamentarische Macht welche auf Politiker mit einem Auftrag zur Regierungsausübung übertragen wird, geht vom Volke aus. Und so muss und sollte das Volk auch abgeholt werden. Dies tat auch der Landtagspräsident von NRW, André Kuper, am 21.November 2017 im neuen Landtag in Düsseldorf. Eingeladen waren verschiedene Organisationen, die konfessionell der größten altorientalischen Kirche in Deutschland, der Syrisch – Orthodoxen Kirche, angehören.



Der Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland - ZOCD war neben gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Organisationen die zu den Suryoye zählen, ebenfalls vertreten. (Der ZOCD vertritt nicht die Suryoye. Er ist ein Zusammenschluss von Laien aus meist nahöstlichen Kirchen, aber auch von Vertretern und Mitgliedern christlicher Geschwister aus der katholischen, byzantinischen und evangelischen Kirche. Doch nimmt dieser, aufgrund der starken Präsenz nahöstlicher Konfessionen in Deutschland, sofern erwünscht, an politischen, ökumenischen und gesellschaftlichen Gesprächen teil).

Bemerkenswert war die Eingangsrede des Landtagspräsidenten selber, in der er zunächst einmal zum Ausdruck brachte, wie wichtig gelungene Integration in eine pluralistische und demokratische Gesellschaft ist. Um im nächsten Moment den anwesenden deutschen Staatsbürgern und Gästen zu bestätigen, dass sie auf eine erfolgreiche Integrationsgeschichte zurückblicken können und sich definitiv als Bürger dieses Landes wiederkennen sollten. Wegweisend und wissend bezeichnete er die Anwesenden auch als Suryoye und assoziierte den Begriff prompt mit den zwei Zusatzbezeichnungen Assyrer und Aramäer.

Während der Besichtigung des Landtags und auch am Ende des Empfangs musste ich intensiv über dieses diplomatische und richtige Entgegenkommen des Landtagspräsidenten nachdenken. Persönlich, dies ist nun meine eigene Überzeugung, bedarf es keiner spezifischen ethnischen Bezeichnung, da ich Kraft meines deutschen Passes deutscher Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten bin. Doch kann ich in einem anderen Zusammenhang die Sehnsucht meiner Mitmenschen nach einer eigenen ethnischen Identität, die man ihnen Jahrhundertelang vorenthalten halt und immer noch vorenthält, verstehen. Ähnlich ergeht es anderen Völkern und sogar Religionsgemeinschaften aus dem nahöstlichen und besonders aus dem arabischen Raum, was sie bei der Suche nach Identifikation für Dogmatiker anfällig macht.

Am Ende der Führung fragte ich die Organisatoren, warum dies das erste Mal war, dass Vertreter der Suryoye  in dieser Konstellation eingeladen wurden.

Die Antwort war recht einfach, plausibel nachvollziehbar und lässt sich in den Worten wie folgt zusammenfassen

„Weil die Suryoye, weil ihre Organisationen, zu tief fragmentiert sind. Ihnen fehlt einfach ein gemeinsames politisches Gremium, welches sie verbindet und effizient koordiniert.“

Ich konnte dem nichts mehr hinzufügen, weil es eine sachlich konkrete und der Wahrheit entsprechende Analyse des Status quo darstellt.

Daraus resultierend bin ich der Meinung, dass es für eine gemeinsames Gremium Zeit wird, um uns als Bürger dieses Landes nicht nur vor den Verlockungen einer Instrumentalisierung zu schützen -  gerade wegen der Situation in den Ursprungsländern, aber auch angesichts sich radikalisierender Randerscheinungen im religiösen, linken und auch rechten Spektrum hier in Deutschland. Ebenfalls obliegt uns die Pflicht, unsere neue Heimat vor Gefahren zu bewahren, auf die wir als Christen mit nahöstlichen Wurzeln besonders sensibel reagieren. Das schaffen wir nur in einer gemeinsamen Struktur, die nach demokratischen Maßstäben effizient ist und frei von patriarchalischen Strukturen agiert.

Es wird Zeit….

Im Namen des Zentralrates Orientalischer Christen möchte ich mich für die Einladung herzlichst bedanken.

 

Simon Jacob

Düsseldorf, 21. November 2017