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Autor: David Fuhrmann
Ort: Stuttgart, Deutschland
Format: Text
Thema: Religion
Datum: 03.06.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 10 min.
Sprache: Deutsch
Titel: Ramadan – Fasten und weiter?
 
 

Ramadan – Fasten und weiter?

 

Tamer – Uzun Gökcen kam in Deutschland auf die Welt, ist Muslima, ausgebildete Pädagogin und hat den Studiengang „Islamischer Religionsunterricht“ in Baden – Württemberg mitgestaltet.

Nach ihrer Ausbildung zur Grund- und Hauptschullehrerin und ihrem Magisterabschluss in Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Islam, leistete sie Pionierarbeit im Bereich des islamischen Religionsunterrichts an Schulen. Seit 2007 bildet sie selbst islamische Religionslehrer an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg aus, wo sie den Studiengang islamische Theologie/Religionspädagogik mitaufgebaut hat.

 

Frau Gökcen, auf Ihrem Facebook – Profi ist das Logo eines bekannten Männermagazins (Playboy) mit Kopftuch zu sehen – klären Sie uns doch darüber auf.

Ich habe das T-Shirt vor 20 Jahren gekauft und mich direkt verliebt, weil es mit Symbolen spielt. Da haben wir auf der einen Seite die Bunnies (Playboylogo) als sexualisierte Frauen und auf der anderen Seite das Kopftuch, das damals noch grau und schlicht war. Heute ist es mehr ein Modeaccessoire, mit dem sich Muslimas identifizieren. Vor 20 Jahren war es eher noch ein Zeichen der Unterdrückung, vor allem im Zusammenhang mit der Sexualität der Frau. Das ist gleichzeitig eine verzwickte Sache. Immerhin führt eine Unterdrückung auch zu einer Verstärkung der Sexualität. Mich faszinierte der Widerspruch in der Darstellung. Es symbolisiert das, was die Leute nicht wollen: Das Kopftuch auf dem Bunny, die Unterdrückung, ausgedrückt durch das Sexsymbol. Heute finden es viele Muslimas witzig. Die Menschen sind inzwischen zum Glück viel freier in der Gestaltung ihres Lebens.

 

Weshalb wollten Sie Pädagogin werden und warum gerade im islamisch – theologischen Rahmen?

Eigentlich sind das zwei Fragen. Ich war mir schon in meiner Jugend darüber bewusst, dass ich eine Vorreiterin in meiner Gesellschaft war. Trotz des vielen Widerspruchs von allen Seiten war ich die erste mit einem höheren Schulabschluss und einem Führerschein. Bildung war für mich der Weg zur Freiheit. Ich wollte diesen Weg gehen und ihn danach auch anderen Kindern zeigen, gerade in der Hauptschule, die für viele wie eine Sackgasse aussieht. Man ist mit 16 mit der Schule fertig und viele muslimische Mädchen heiraten danach schnell, um von daheim auszuziehen und selbstständiger zu werden. Dabei kommen sie vom Regen in die Traufe. Das war der Grund. Ich wollte den Mädchen ein Vorbild sein und demonstrieren, dass man ein selbstbestimmtes Leben führen kann und auch den Jungs zeigen, dass Frauen nicht nur denken, handeln und mitbestimmen können, sondern auch ein aktiver und wichtiger Teil der Gesellschaft sind. Sie können mehr als den Haushalt machen und Kinder zu gebären!

Islam als Unterrichtsfach gab es damals noch gar nicht. Es entstand erst durch mich in Baden – Württemberg, weil mich auch viele Fragen von Muslimen erreichten. Warum sollte Gott den Frauen Verstand geben, damit sie ihn nicht benutzten? In der Ethik des Islams geht es um Gleichberechtigung zwischen den Menschen untereinander, aber auch mit der Natur. Warum sollten also 50% über die anderen 50% herrschen und sie sogar schlagen dürfen (Sure 4,43)? Das passt doch nicht zusammen. Das hat mich total gebohrt, als Freunde meines Vaters sagten, ich dürfe keinen Führerschein machen oder mit auf Ausflüge gehen. Woher soll ein Mann wissen wie eine Frau denkt und fühlt? Er weiß es nicht. Denn letztendlich ist er immer noch ein Mann. Deswegen habe ich mich immer mehr dem Islam gewidmet, um Klarheit und eine Trennung zwischen Religion und Tradition zu schaffen.

 

Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie als islamische Theologin zu kämpfen?

Wenn ich irgendwo hingehe und den Leuten erzähle, dass ich eine islamische Religionspädagogin bin, kommen sie oft ins Stocken. Sie denken nach, vergleichen mich mit ihren Stereotypen und merken, dass da etwas nicht zusammenpasst. Manchmal sind sogar Frauen, Muslimas, gegangen, als ich ihnen das gesagt habe. Sie waren überfordert, weil ich nicht in ihr Weltbild passe.

Viele meiner Studenten, egal ob männlich oder weiblich, klopfen nach 1-2 Jahren an und bitten um ein persönliches Gespräch. Sie erzählen, wie sie sich zu Beginn des Studiums eine Islamdozentin vorgestellt haben: Schlicht gekleidet mit langen Kleidern. Sie bedanken sich, dass ich ihnen geholfen habe über den Tellerrand hinauszublicken, zu erkennen, dass es mehr als das Aussehen eines Menschen gibt. Genau dieses selbständige Denken ist mein Ziel. Ich bin bestimmt nicht die klassische islamische Dozentin, aber wer oder was ist das überhaupt? Meine Fragen sind oft provokativ, selten neu, aber für viele trotzdem innovativ. Und ich gebe mich nie mit einfachen Antworten zufrieden!

 

Kürzlich endete für Muslimas und Muslime die Fastenzeit – Ramadan. Welche Bedeutung hat das Fasten in einer modernen Gesellschaft, in der es oft nicht einfach ist, sich z.B. berufsbedingt an die Regeln zu halten?

Das Fasten kommt in allen monotheistischen Geschwisterreligionen vor. Es bedeutet auch Entbehrung von etwas Wichtigem, um Gott näher zu kommen. Es entspricht der Zeit der Nächstenliebe im Advent und der Fastenzeit im Christentum. Es ist eine Zeit für Spiritualität, in der man sich dem Hier und Jetzt, aber auch dem Jenseits widmet. Die Abende des muslimischen Iftars, des gemeinsamen Essens, sollte man möglichst mit Personen begehen, die wenig zu essen haben. Normalerweise sind die Türen der Moscheen offen für alle in dieser Zeit und man wird kostenlos mit einem Mahl versorgt. Es ist auch die Zeit, in der ich mich einmal im Jahr mit Freunden treffe (lacht).

Wie das mit der Arbeit geht, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Letztendlich ist die eigene Gesundheit, die Ammena, das höchste Gut Gottes und man soll sie hegen und pflegen, um den Körper Gesundheit zurückzugeben. In manchen Berufen fastet es sich leichter. So ist der Nahrungsverzicht beispielsweise für einen Arzt deutlich schwerer als für jemanden im Homeoffice. Deswegen finde ich es auch immer komisch, wenn man einen Imam fragt, ob man fasten darf oder muss. Ein religiöser Austausch ist gut, aber letztendlich ist es meine eigene Entscheidung. Immerhin ist man im Ramadan bei schwerer Arbeit vom Fasten befreit, oder man kann z.B. nachfasten. Es gibt inzwischen so viele schöne Möglichkeiten, die eigene Fastenzeit zu gestalten.

 

Welchen Umgang raten Sie Gläubigen in Deutschland, wenn es um die Einhaltung der Fastenregeln geht?

Wie vorhin erwähnt, muss jeder für sich vor Gott Rechenschafft ablegen. Wie stark jemand fastet und ob es gesundheitlich machbar ist, ist eigenständig zu entscheiden. Das muss man selbst wissen. Ich kenne Lehrkräfte, die können fasten und andere, die nach zwei Stunden ohne Trinken umkippen würden, obwohl sie äußerlich total gesund aussehen.

 

Glauben Sie, dass eine höhere Macht einen bestraft, wenn man sich nicht strikt an religiöse Regeln hält?

Da würde ich fragen, was eine höhere Macht überhaupt ist und was Strafe für sie bedeutet? Religion ist eine Glaubenssache, nach dem Grundsatz: „Ich kann nichts beweisen, aber ich glaube daran“.  Es wird immer einen Theologen geben der physikalische Gegebenheiten auf göttlichen Einfluss zurückführt.

Wie definiere ich also Strafe? Wenn meine Tochter im Regen spielt und keine Regenjacke anzieht, obwohl ich es ihr gesagt habe, was wird dann passieren? Sie wird sich höchstwahrscheinlich erkälten. Für mich ist Strafe keine Züchtigung oder Strafarbeit, sondern die Folge meines Handelns. Denn die Sprache Gottes, egal ob Tora, Koran oder Bibel, findet in Symbolen statt. Wir stellen uns Gott immer bildlich als Menschen vor, obwohl wir es gar nicht tun sollen. Er versteht uns, aber wir müssen auch lernen ihn zu verstehen. Ist mit Strafe also Züchtigung gemeint oder für das eigene Handeln, im Leben, Verantwortung zu übernehmen?

 

Was wünschen Sie sich von einer westlich – säkularisierten Welt, wenn es um den Umgang mit dem Ramadan geht, welcher von vielen Muslimen inzwischen als eine Art „Gedenk- und Feierzeit“ wahrgenommen wird, wie es auch bei anderen Religionen in einer modernen Gesellschaft üblich ist?

Der Streit, ob der Islam und die Muslime ein Teil von Deutschland sind, sollte gar nicht erst geführt werden. Wenn ich deutsche Staatsbürgerin und Muslima bin, gehöre ich zu Deutschland und bin Teil der Gesellschaft. Was ich mir wünsche passiert bereits. Wenn ich sehe, dass die Kanzlerin Muslimen zum Ramadan gratuliert und am Iftar teilnimmt, merke ich, dass wir wahrgenommen werden. Wir bekommen Karten zum Ramadan und manche Moscheen dürfen sogar ihr Abendgebet laut aufsagen. Das ist ein guter Anfang. Wir leben in einem christlich geprägten Land, aber auch das Christentum brauchte Zeit, um sich zu etablieren. Der Islam ist hier relativ jung. Immerhin kam er erst vor 60 Jahren durch Gastarbeiter nach Deutschland.

Ich würde mir aber z.B. von den Schulen mehr Rücksicht wünschen. Beispielsweise passen das Fasten und die Bundesjugendspiele nicht zusammen. Muslimische Kinder möchten fasten, aber gleichzeitig auch an den Spielen teilnehmen. Auf solche Sachen sollte mehr geachtet werden. Natürlich kann man nicht alle Meetings während des Ramadans absagen, das geht ja auch in muslimischen Ländern nicht. Aber alles in allem befindet sich Deutschland, in meinen Augen, auf einem guten Weg.

 

Wo kann man Ihr spezielles Playboy – Shirt erwerben?

Ich habe das in einem Shop in der Seitengasse einer Seitengasse entdeckt. Leider habe ich das T-Shirt nie wiedergefunden, sonst hätte ich es gleich gekauft. Wenn es jemand sieht, kann er mich gerne benachrichtigen. Das wäre ein wunderbares Abschlussgeschenk für meine Studenten (lacht)!

 

Aufgrund der vielen Fragen von Studenten hat Tamer - Uzun Gökcen auch ein eigenes Weblexikon geschaffen. Auf der Webseite Mein Islam – Dein Islam findet man zahlreiche Antworten auf Fragen, die Muslime im Alltag begegnen. Die Seite empfehlen wir allen, die sich für den gelebten Islam interessieren.

 

David Fuhrmann

Augsburg, 03.06.2020

 

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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal

 

Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de