Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen

  

Autor: Tobias Brenner
Ort: Berlin, Deutschland
Format: Text, Bilder
Thema: Politik, Gesellschaft, Religion
Datum: 10.06.2020
Portal: www.zocd.de  
Textdauer: ca. 20 Minuten
Sprache: Deutsch
Titel: Presse- und Meinungsfreiheit in Zeiten der Corona-Pandemie: Der namhafte Völkerrechtler Prof. Dr. Krajewski gibt Antworten
  

 

 

Presse- und Meinungsfreiheit in Zeiten der Corona-Pandemie: Der namhafte Völkerrechtler Prof. Dr. Krajewski gibt Antworten

 

Im Zuge der Coronakrise wurden in den vergangenen Wochen und Monaten Grundrechte teilweise massiv eingeschränkt. Doch darf der Staat das überhaupt? Wo liegen die Grenzen? Wie umgehen mit Verschwörungstheorien? Und vor allem: Wie lange macht das unsere Gesellschaft überhaupt mit?

Diese und weitere Fragen stellten wir dem deutschen Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Markus Krajewski.

Lesen Sie dazu das spannende Interview mit ihm!

 

Zur Person:

Prof. Dr. Markus Krajewski (* 1969) ist ein deutscher Rechtswissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen. Er studierte von 1991 bis 1997 an der Universität Hamburg Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften sowie internationale Beziehungen an der Florida State University in den Vereinigten Staaten. Neben seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor ist Herr Krajewski u.a. Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Menschenrechte und Generalsekretär der Deutschen Vereinigung für Internationales Recht (DVIR, Deutsche Sektion der International Law Association), Mitherausgeber des European Yearbook of International Economic Law sowie Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Wirtschaftsvölkerrecht, internationaler Menschenrechtsschutz, Recht der europäischen Außenbeziehungen und europäischem Recht öffentlicher Dienstleistungen. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze in Fachzeitschriften.

 

Professor Krajewski, angesichts der aktuellen Pandemie: ist die weiterhin anhaltende Einschränkung der Grundrechte gerechtfertigt oder übertrieben?

Hier muss zunächst festgehalten werden: Viele der Einschränkungen sind mittlerweile zurückgenommen worden, insbesondere die Beschränkungen der Berufsfreiheit. Auch Geschäfte dürfen inzwischen – natürlich mit Einschränkungen – wieder öffnen, aber natürlich sind auch im persönlichen Bereich Einschränkungen oder etwa die ganz strikten Verbote von Gottesdiensten wieder aufgehoben worden. Natürlich bleiben aber in all diesen Bereichen – wie beim Beispiel der Gottesdienste zu sehen ist – auch weiterhin sehr strenge Einschränkungen bestehen.

Allerdings können grundsätzlich alle Einschränkungen der Grundrechte gerechtfertigt werden, wenn sie ein legitimes Ziel verfolgen und die Maßnahmen verhältnismäßig sind. Nach wie vor ist das legitime Ziel die Reduktion der Reproduktionszahlen von Covid-19 und damit die Eindämmung der Pandemie.

Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit bin ich daher der Auffassung, dass uns hier überwiegend eine gute Abwägung gelungen ist. Das heißt, dass die Einschränkungen, die im Moment noch gelten, insgesamt verhältnismäßig sind, weil sie niemanden vom Genuss eines Grundrechtes vollkommen ausschließen. Beispielsweise kann man unter Einschränkungen ins Schwimmbad oder Einkaufen gehen, seinen Laden öffnen oder wieder in Gottesdienste gehen. Neben diesen persönlichen Freiheiten steht aber auf der anderen Seite ein ebenso wichtiges Rechtsgut, nämlich das Leben und der Schutz des Lebens sowie der Gesundheit. In diesem Zusammenhang bin ich daher guter Dinge, dass wir hier eine ordentliche Verhältnismäßigkeit erreicht haben.

 

Die Einschränkungen stellen also keinen Verstoß gegen das Grundgesetz dar, wie einige Wissenschaftler aber auch Verschwörungstheoretiker dieser Tage erklären?

Nein, die Einschränkungen sind kein Verstoß gegen das Grundgesetz. Das Grundgesetz verbürgt Grundrechte, aber keines dieser Grundrechte – mit Ausnahme der Menschenwürde – ist grundsätzlich schrankenlos gewährt. Alle Grundrechte können insbesondere zum Schutz anderer Grundrechte eingeschränkt werden.

Das bedarf jedoch gesetzlicher Grundlagen. Da hatte ich anfangs Bedenken, etwa in Bezug auf die vollkommene Schließung von Geschäften. Hier sehe ich nicht, dass es dafür eine Rechtgrundlage im Infektionsschutzgesetz gibt. Maßnahmen wie etwa Abstandsregelungen, Maskenpflicht und andere Hygieneregeln finden nach meinem Dafürhalten im Infektionsschutzgesetz eine Rechtsgrundlage – und dann haben wir es letztlich mit einem verhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte zu tun.

 

Fühlen sich mündige Bürgerinnen und Bürger durch solche drastischen Maßnahmen nicht eingeschüchtert?

Dass es bei vielen Menschen so ist, kann ich absolut verstehen. Hier sollten wir auch volles Verständnis haben, zumal jeder von uns die Maßnahmen am eigenen Leib erlebt hat. Da hieß es auf einmal: „Ihr dürft zwar noch draußen spazieren, und wenn es nötig ist dürft ihr auch noch etwas Milch kaufen gehen“ – aber das war‘s dann auch ungefähr. Ansonsten hieß es mehr oder weniger: Stellt euer ganzes Leben von heute auf morgen mehr oder weniger auf die Maßnahmen ein.

Das sind massive Einschränkungen, wie sie die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Geschichte noch nicht erlebt hat. Dass dies ohne Vorwarnung und letztlich ohne einen besonders elaborierten, demokratischen Diskursprozess einher ging, sondern tatsächlich per Exekutive - wie gesagt von heute auf morgen - verfügt wurde und man sich dann vielleicht die Frage stellt „Kommt jetzt nicht doch der autoritäre Staat um die Ecke?“, kann ich daher verstehen.

Auch dagegen zu protestieren und auf die Straße zu gehen ist meiner Ansicht nach völlig legitim. Auf der anderen Seite muss man aber sagen, was wir jetzt sehen: Sobald es irgendwie möglich war, gab es eine Diskussion und einen geordneten Rückzug. In diesem Zusammenhang bestätigt sich die Vermutung vieler, dass der Staat jetzt „Geschmack“ an der Einschränkung von Grundrechten bekommen hätte, nach meinem Dafürhalten nicht.

 

Stichwort Akzeptanz: Wie weit dürfen solche Maßnahmen überhaupt reichen, um von den Bürgern mitgetragen zu werden?
Wo liegen die Grenzen?

Also zum einen glaube ich, dass man diese Grenzen nicht abstrakt bestimmen kann. Viele haben zum Beispiel auch gesagt, dass sich ihr Leben gar nicht so dramatisch veränderte im Zuge der Maßnahmen. Bei anderen hatten diese aber natürlich massive Einwirkungen zur Folge.

Da muss man nur an Menschen denken, die auf engstem Raum zusammenwohnen, Gewalt in der Familie erleben, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen wie auch Menschen mit psychischen Erkrankungen. Da muss man natürlich sagen: Das sind hochdramatische Einschränkungen gewesen, die auch Langzeitfolgen haben werden. Daher kann man nicht pauschal sagen „14 Tage Lockdown erträgt die Republik nicht“, sondern man muss eben sehr differenziert sagen: Was bedeutet das konkret für wen?

Hier hoffe ich aber, dass wir aus den vergangenen Wochen und Monaten gelernt haben, sodass wir einen ganz pauschalen Lockdown ohne Differenzierungen und vor allen Dingen auch ohne entsprechende Kommunikation nicht nochmal erleben. Das könnten wir uns meiner Meinung nach nicht nochmal leisten – insbesondere ohne parlamentarische Debatten.

Im Moment wird ja aber wieder sehr viel über die wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen diskutiert. Das ist auch alles richtig, zumal sich ja da auch wieder zeigt, dass es gewisse Gegensätze sowohl zwischen Opposition und Regierung aber auch innerhalb der Regierung gibt. Allerdings fehlt mir hier eine Diskussion darüber, wie weit überhaupt Grundrechte generell in solchen Fällen eingeschränkt werden können. „Wer muss das tun und auf welcher Rechtsgrundlage?“ oder „Wer muss die entsprechenden Maßnahmen vorgeben?“ sind hier die zentralen Fragen.

 

Könnten darüber hinaus populistische Tendenzen und die Ablehnung der demokratischen Ordnung durch die Pandemie verstärkt werden?

Ich glaube, das müssen wir sehr genau beobachten. Hier bin ich mir noch nicht sicher, ob wir letztlich bisher nur Leute beobachtet haben, denen im wahrsten Sinne des Wortes „die Decke auf den Kopf gefallen ist“, die einfach mal raus mussten und dann draußen und im Internet ziemlich dummes Zeug rumposaunen mussten. Da könnte es sein, dass das im Sommer wieder abflaut. Es könnte aber natürlich auch sein, dass es tatsächlich Tendenzen verstärkt, die von bestimmten politischen Akteuren ausgeschlachtet werden. Da müssen wir nur in andere Teile der Welt blicken, um zu sehen, wie diese Mechanismen funktionieren.

Wir müssen daher wirklich sehr vorsichtig sein und uns den Debatten auch stellen. Deswegen finde ich es auch wichtig, wenn Politiker und Politikerinnen in diese Debatten rein gehen und sagen „Ich gehe zu diesen Demonstranten, ich höre mir an was sie zu sagen haben, auch wenn das vielleicht Quatsch ist.“ Letztlich geht es einfach darum, so viele Leute wie möglich mitzunehmen.

Einen in der Rolle gefärbten Verschwörungstheoretiker wird man sowieso nicht überzeugen können, weil für den letztlich jedes Gegenargument ja nur ein Beweis der Verschwörung darstellt. Diese Leute sind in meinen Augen aber eine ganz kleine Minderheit. Allerdings muss man als Politik wieder anfangen in der Kommunikation die Bürgerinnen und Bürger wieder abzuholen, insbesondere jene, die das von Anfang an nicht verstanden haben – und auch bisher niemanden kennen, der am Coronavirus erkrankt ist.

 

Der einfache Bürger, der juristisch nicht bewandert ist, hat Angst davor, dass seine Bürgerrechte beschnitten werden – dies machen sich Ideologen zunutze. Wie können solche Ängste den Bürgern wieder genommen werden?

Ich glaube, wir können viele dieser Ängste den Bürgerinnen und Bürgern dadurch nehmen, indem wir darauf hinweisen, dass viele dieser Maßnahmen von unseren Gerichten überprüft werden. Teilweise war das ja auch Eilrechtsschutz in dem Moment selbst. Aber wir werden in den nächsten Wochen und Monaten Verfahren haben, an denen sich die Gerichte damit auseinandersetzen. Das muss dann aber auch kommuniziert werden.

Daher wird es jetzt darauf ankommen, dass die Politik und vielleicht auch die Gerichte selbst, sowie natürlich die Medien und Wissenschaft das aufgreifen und sagen „Da seht her: Unsere Verwaltungs- und Verfassungsgerichte schauen sich diese Sachen differenziert an und machen nicht alles mit, was die Politik vorgeschlagen hat.“ Tatsächlich gab es auch schon Entscheidungen sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch einzelner Landesverfassungs- als auch einzelner Verwaltungsgerichte, die damit die Exekutive in ihre Schranken gewiesen haben. Deshalb nochmal: Das müssen wir stärken und auch kommunizieren, indem wir sagen, wir haben hier eine funktionierende Justiz, welche die Rechte der Bürgerinnen und Bürger ernst nimmt.

 

Obskure Verschwörungstheorien mit religiösen Tendenzen halten auch bei christlich geprägten Gemeinschaften im nahöstlichen Bereich Einzug. Zugleich wird die Legitimation des Rechts und der Rechtsprechung mit dem Argument „Gott steht über alles“ zurückgewiesen. Wie kann man dem als Demokratie entgegentreten?

Ich glaube hier muss man Sachen auseinanderhalten. Wenn ein Mensch aus seiner persönlichen Sicht sagt: „Für mich gibt es kein höheres Gesetz als das göttliche Gesetz“, dann ist das in unserem Land natürlich von der Religionsfreiheit geschützt. Das darf man glauben und diesen Glauben nimmt einem auch niemand. Es wird allerdings dann zu einem Problem, wenn ich mit diesem Gedanken meine, mich über demokratisch legitimierte Entscheidungen von Parlamenten und Regierungen hinwegsetzen zu dürfen. Hier muss man sagen: Das gestattet der Rechtsstaat nicht, denn der Rechtsstaat ist kein Gottesstaat. Er ist aber auch vor allen Dingen kein höchstpersönlicher Gottesstaat, wo jeder für sich sagen könnte „Ich bin jetzt heute der Meinung, das ist das höchste religiöse Gebot.“ Ich glaube, diesen Menschen muss man diesen Gedanken vor Augen führen.

Wir leben in einem pluralistischen Land und wenn jeder sagen würde „mein Gott verfügt über das oberste Gesetz“ dann können wir nicht zusammenleben. Das funktioniert überhaupt nicht. Deswegen haben wir die Antwort als demokratischer Rechtsstaat: Ihr könnt glauben und euer persönliches Verhalten nach dem ausrichten, was ihr möchtet. Ihr könnt eure persönlichen Entscheidungen genau so leben wie ihr sie für richtig haltet. Aber wenn ihr gegen die Rechtsnorm verstoßt, könnt ihr euch nicht auf ein göttliches Gebot berufen, es sei denn ihr befindet euch in echten Gewissensnöten.

 

Was bedeutet „in echten Gewissensnöten?“

Hier sind wir wieder bei den Grundrechten. Natürlich werden auch der Glaubens- und Gewissensfreiheit Freiheitsräume geschaffen. Wenn jemand sagt „für mich ist es wirklich eine Gewissensnot“ beispielsweise bestimmte Heilbehandlungen über sich ergehen zu lassen, dann wird man da möglicherweise sagen, dass diese Freiheitsräume auch bestehen bleiben.

 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Meiner Ansicht nach kann man sehr schön am Verbot von Gottesdiensten diskutieren. Etwa sagte das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das vergangene Ostern ganz deutlich: Das Verbot von Gottesdiensten ist schon „eine harte Nummer“,  und das kann der Staat nicht dauerhaft durchhalten. Das geht zwar für den Moment, da man sehen konnte, dass es tatsächlich bei religiösen Feierlichkeiten ein Infektionsrisiko gibt. Zusammengefasst gilt aber: Wenn jemand sagt „der Staat verbietet mir dauerhaft in Gottesdienste zu gehen, Gottesdienste zu feiern und damit meinen Glauben in Gottesdiensten zu leben ist das für mich ein Grundrechtsverstoß“, dann hat derjenige damit Recht, und die Gerichte werden ihm auch recht geben.

Da denke ich kann man auch religiöse Gemeinschaften darauf hinweisen, dass unsere Gerichte auch diese Freiheiten schützen. Allerdings muss dies in den Verfahren geschehen, die der Rechtsstaat dafür vorsieht und eben nicht, dass jeder einzelne denkt, ich setze mich darüber hinweg und berufe mich auf das göttliche Gesetz. Dazu muss man vor ein Gericht treten und sagen, „dass der Staat dies von mir verlangt, ist für mich eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung meiner Religionsfreiheit“ und dann wird ein staatliches Gericht darüber entscheiden.

 

Was würden Sie Menschen in der aktuellen Situation raten, die ihre Religion praktizieren möchten, aber aufgrund traumatischer Erfahrungen in ihren Heimatländern - etwa Flüchtlinge aus dem Nahen Osten -  Angst vor „geheimen und satanischen Mächten“ haben, damit sie nicht Ideologen und Dogmatikern auf den Leim gehen?

Zugegebenermaßen fällt mir diese Bewertung schwer. Ich würde zwar durchaus behaupten, dass ich ein religiöser Mensch bin, aber ich habe natürlich diese Erfahrungen nie machen müssen und kann auch traumatischen Erlebnisse nur sehr begrenzt nachvollziehen.

Ich glaube aber, es ist eine wichtige Aufgabe für uns bzw. für diejenigen unter uns, die nah an diesen Menschen dran sind und auch die Ursache dieser Ängste verstehen können. Da ist es wichtig, den Leuten klar zu machen, dass man diese Ängste und Traumata ein Stück weit nachvollziehen kann. Ich weiß zwar nicht wie diese Diskurse geführt werden. Aber wenn jemand sagt: „Da seht her: So fing es bei uns doch auch an!“, dann muss darauf hingewiesen werden, dass wir zumindest in Deutschland seit 70 Jahren eine andere Erfahrung haben. Die gilt sowohl für unsere staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, die andere, kollektive Erfahrungen gemacht haben in den vergangenen Jahrzehnten. Auch der Staat wird seit diesen 70 Jahren von einer Vielzahl an Akteuren im Zaum gehalten wird – und das sind eben nicht nur die Gerichte, sondern auch die Medien, die Presse, Verbände, Vereine als auch die staatliche wie auch private Bildung.

Am Ende ist es aber die Aufgabe von jedem selbst. Dazu gibt es einen schönen Satz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters, Ernst-Wolfgang Böckenförde: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Das heißt für mich: Diese Voraussetzungen müssen im gesellschaftlichen Raum geschaffen und erhalten werden.

Wir müssen miteinander ins Gespräch kommen. Wenn man dann solchen Menschen begegnet, die sagen „der Staat will mir Böses“, dann muss man im Zweifelsfall – ich bin zwar kein Psychologe – erstmal zuhören. Dazu gehört auch, sich selbst zu fragen: „Wo sind hier Ängste, und sind die vielleicht auch berechtigt?“ Im Gespräch sollte aber dann auch auf Gegenbeispiele hinweisen werden.

 

Nun scheint es so, dass uns – zumindest in Deutschland – die große Katastrophe bis auf Weiteres erspart geblieben ist. Experten warnen aber in diesem Zusammenhang bereits vor dem sogenannten „Präventionsparadox“: Die Katastrophe ist ausgeblieben, weshalb viele Menschen zu dem Eindruck gelangen könnten, dass das Virus „gar nicht so schlimm“ sei. Vor diesem Hintergrund: Sollte uns im Herbst eine „zweite Welle“ erreichen und es wieder zu umfangreichen Einschränkungen kommen: Für wie schwierig würden Sie eine erneute Einführung oder gar Verschärfung von Maßnahmen halten?

Das kommt meiner Einschätzung nach wirklich darauf an, wie stark diese zweite Welle dann kommen würde. Ich kann mir vorstellen, dass wenn die Welle dann noch stärker sein sollte – was ja durchaus einige prognostizieren – und wir dann oberitalienische, New Yorker oder ostfranzösische Verhältnisse bekommen und damit dann auch die Todeszahlen signifikant nach oben steigen sollten, dann glaube ich wäre eine weitere Akzeptanz für abermalige Einschränkungen gegeben.

Wenn es aber dagegen ähnlich ablaufen würde wie jetzt im Frühjahr, dass zwar die Infektionszahlen steigen, aber eine Überlastung des Gesundheitssystems und signifikante Todeszahlen ausbleiben, dann glaube ich würden erneute Einschränkungen nicht wieder auf Akzeptanz stoßen.

Allerdings habe ich auch nicht das Gefühl, dass genau die gleichen Maßnahmen und Einschränkungen so wiederkommen würden. Ich habe eher den Eindruck, dass man in diesem Fall viel punktueller vorgehen und sagen würde „Gut, es gilt eben wie ganz zu Beginn der Coronakrise eine Ausgangsperre im Landkreis X.“ Das würden die Leute dann meiner Meinung nach akzeptieren, weil sie dann nämlich denken „Oh, es kann tatsächlich sein, dass wenn ich auf die Straße gehe und jemandem begegne ich mich möglicherweise anstecke und dann auch selbst verbreiten würde.“

An dieser Stelle muss man natürlich auch sagen, dass sowohl politisch als auch virologisch in den letzten Monaten einiges dazu gelernt wurde, was ja wiederum viele Leute verfolgen. Letzten Endes denke ich daher, dass die Bürgerinnen und Bürger bei einer deutlich stärkeren zweiten Welle der Corona Pandemie erneute Maßnahmen und Einschränkungen akzeptieren würden – man es aber im Gegenzug nicht verstehen würde, wenn es erneut zu flächendeckenden Maßnahmen kommen würde.

 

Vielen Dank für Ihre Einschätzungen Professor Dr. Krajewski!

 

Tobias Brenner,

11.6.2020

 

 

 

Prof. Dr. Markus Krajewski ist Autor und Herausgeber zahlreicher wichtiger Schriften.

Das vollständige Schriftenverzeichnis kann mit diesem Link eingesehen werden.

 

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

 

Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal

 

Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de