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Autor: David Fuhrmann
Ort: Neumarkt, Deutschland
Format: Text
Thema: Gesellschaft
Datum: 2.6.2020
Portal: www.zocd.de
Textdauer: 5 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Ich kaufe für Euch ein – Weil ihr für uns eingekauft habt – ein Flüchtling hilft während Corona aus

  

Ich kaufe für Euch ein – Weil ihr für uns eingekauft habt – ein Flüchtling hilft während Corona aus

 

Vater Ernst Herbert ist ein evangelischer Pfarrer im Ruhestand und Mitglied im ZOCD. Seit Jahren engagiert er sich für Geflüchtete aller Religionen aus der ganzen Welt und arbeitet seit seiner Gründung 2013 im Ökumenischen Arbeitskreis Religionsfreiheit in Neumarkt, in dem alle Neumarkter Kirchen und Freikirchen aktiv sind. Zurzeit stellt die Coronapandemie uns alle vor besondere Herausforderungen, doch für Vater Ernst zeigte sich wieder, wie sich wahre Nächstenliebe später auszahlt. Ein Flüchtling, den er einst aufgenommen hat, hilft ihm nun beim Einkaufen. Wie genau es dazu kam, kann man hier nachlesen:

Weil wir aber noch mehr über seine Person und Hintergründe erfahren wollten, haben wir ihn interviewt.

 

1. Warum engagieren Sie sich für Flüchtlinge?

Als ich 1991 in meine neue Gemeinde nach Hersbruck gekommen bin, besuchte schon fast fünf Jahre lang ein Hindu aus der untersten Kaste in Mauritius regelmäßig den Gottesdienst der Kirchengemeinde und einen Hausbibelkreis. Mein Amtsvorgänger hat ihn trotz seines Wunsches nicht getauft, weil er befürchtet hat, Joysory – genannt „Joy“ - suche nur den Anschluss an die Kirchengemeinde, damit er als bereits abgelehnter Asylbewerber doch noch ein Bleiberecht bekommt. Durch intensive Kontakte mit Joy konnte ich feststellen, dass seine Hinwendung zum christlichen Glauben durch und durch echt ist. Nach einem intensiven Taufunterreicht habe ich ihn schließlich getauft. So wie bei Joy war es dann auch mit der kurdischen Familie aus Ankara – der Ehemann und Familienvater war aus politischen Gründen mit Frau und den beiden Kindern aus seiner Heimat geflohen, weil er sich als aktiver Gewerkschaftssekretär mit seiner Familie nur durch Flucht der Verhaftung entziehen konnte. Mustafa und seine Familie waren in einem Nachbardorf einquartiert. Die Quartiergeber hörten von der Taufe von Joy und baten mich, mich um diese in den Islam hineingeborene Familie zu kümmern, die ebenfalls kurz vor der Abschiebung stand. Mustafa hatte schon in der Türkei von einem christlichen Gewerkschaftskollegen ein Neues Testament geschenkt bekommen und entwickelte durch die Lektüre des Evangeliums den Wunsch mit seiner ganzen Familie sich taufen zu lassen. Nach einem entsprechenden Taufunterricht habe ich die Familie durch die Taufe in die Gemeinde aufgenommen. Sie konnten nach kurzer Zeit in eine gemeindeeigene Wohnung ziehen und hatten fortan ihre Stammplätze im sonntäglichen Gottesdienst und durch handwerkliche Mitarbeit in der Kirchengemeinde. Warum ich mich für Flüchtlinge engagiere? Ich habe mir das nicht ausgesucht, sondern Gott hat mir das ganz praktisch zur Aufgabe gemacht, weil sie in meine Gemeinde gekommen sind. Joy und die Familie Demirkol gehören noch heute fest zur Gemeinde und ich habe Kontakt mit ihnen. Als ich nach Neumarkt i.d.OPf. gewechselt bin, bat mich eine Frau aus der Kirchengemeinde, mich um einen Kurden aus der Türkei zu kümmern. Weil viele Russlanddeutsche nach Neumarkt gekommen sind, habe ich bei der Ausländerbehörde deren Anträge auf Familiennachzug unterstützt. Schließlich folgten seit Dezember 2015 drei Kirchenasyle von kurdischen Familien aus Syrien. Vor einem Jahr konnte ich einem iranischen Konvertiten durch meine Kontakte zur Ausländerbehörde erfolgreich beistehen und zurzeit unterstütze ich meinen Nachfolger im Amt im Fall eines iranischen Ehepaars, die erst hier in Deutschland konvertiert sind.

 

2. Welche Rolle spielt Ihr Glaube dabei?

Wenn Gott mir - bildlich gesprochen – „etwas vor die Füße legt“, dann weiß ich, dass ich mich dieser Aufgabe zu stellen habe. Wenn ich es nicht tue, dann mache ich mich schuldig. Es gehört zum Christsein, sich der Menschen in Not anzunehmen und sich für sie einzusetzen. Gott hat schon von den Juden verlangt, sich der Fremdlinge anzunehmen: „Verbirg die Verjagten, und verrate die Flüchtlinge nicht…“ (Jesaja 16,3). Menschen in Not – wie es Flüchtlinge sind – haben wir als Christen immer beizustehen, denn sie sind die uns von Gott gesandten Nächsten, denen unsere helfende Liebe zu gelten hat.

 

3. Wer ist Hussein?

Hussein, ein Kurde aus Syrien, kam mit der Familie seiner Schwester mit drei Kindern als Asylbewerber nach Deutschland. Als er 2009 sein Jura-Studium in Damaskus erfolgreich abgeschlossen hat, wurde er zum Militärdienst eingezogen. Als 2011 der Krieg in Syrien begonnen hat, durfte er die Armee nicht verlassen. Weil er keinen Menschen töten wollte, desertierte er von der Armee und versteckte sich in seiner heimischen Kurdenregion um Afrin. Die Umstände hatten sich für Hussein, seine Eltern und Brüder wie auch für die Familie seiner Schwester als Kurden sehr bedrohlich entwickelt, so dass sie sich getrennt zur Flucht entschlossen. Hussein und die Familie seiner Schwester kamen über Bulgarien nach Deutschland. Die Eltern und zwei seiner Brüder blieben zunächst jahrelang in Istanbul hängen. Ein weiterer Bruder landete in Kiel.

 

4. Warum hilft Ihnen ein Flüchtling während der Corona – Krise?

Hussein und die Familie seiner Schwester drohte nach der Ablehnung ihres Asylantrags die Abschiebung nach Bulgarien. Die Präsidentin der Dekanatssynode verständigte mich, dass wohl in der kommenden Nacht die Abschiebung zunächst von Hussein bevorstünde und fragte mich, ob ich nicht mithelfen könne, dass er ins Kirchenasyl aufgenommen wird. Ich redete darüber mit dem Dekan und fand einen katholischen Kollegen, der bereit war, ihn in seinem großen Pfarrhaus aufzunehmen. Die Polizei kam in der Nacht umsonst. Weil in der Nacht darauf auch seine Schwester mit Ehemann und drei Kindern zur Verhaftung anstand, haben wir auch die ganze Familie im Schutz der Dunkelheit gerade noch rechtzeitig ins Kirchenasyl geholt, denn wenige Stunden darauf war die Polizei zur Verhaftung erschienen.

Als jetzt die Corona-Pandemie meine Frau und mich – weil wir als Ruheständler zur Risikogruppe gehören – gezwungen hat, unsere Wohnung nicht zu verlassen, bestand Hussein darauf, für uns einzukaufen, wie wir es ja umgekehrt für seine ganze Familie in der Zeit des Kirchenasyls getan hatten. Hussein hat der gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingsberatung von Diakonie und Caritas häufig als kostenloser Dolmetscher gedient. Hussein war auch mein Dolmetscher beim Taufunterricht für die zweite Kirchenasylfamilie und steht selbst in absehbarer Zeit vor seiner eigenen Taufe.

 

5. Welche positiven Signale gehen davon aus?

Ich habe für die insgesamt drei Kirchenasyle für kurdische Familien aus Syrien ohne Schwierigkeiten „Helferkreise“ aufbauen können – und anderem auch für jede dieser Familien einen eigenen Arzt, die in der Zeit des Kirchenasyls diese Familien mit ihren Kindern kostenlos behandelt und versorgt hat. Andere haben mit Kleidern und Spielzeug geholfen. Weitere Leute unterstützen meine Frau und mich bei den Besorgungen. Noch heute bestehen diese zahlreichen Kontakte, auch nachdem neben dem Bleiberecht auch Wohnung und Arbeit für alle drei besorgt werden konnte.

 

6. Kann das den Blick der Gesellschaft gegenüber Flüchtlingen verändern?

Alle Leute aus den drei Helferkreisen haben mit den drei syrischen Familien sehr liebenswerte Menschen kennengelernt, die jede Hilfe verdienen. Sie reden darüber natürlich in ihrem Bekannten- und Kollegenkreis. Ein kleiner, aber sehr wichtiger Beitrag in einer Zeit, in der die Stimmung für die Aufnahme von Flüchtlingen längst nicht bei allen Einheimischen positiv ist! Wir haben es immer wieder erlebt, dass Vorurteile und Ängste durch positive Erfahrungen überwunden werden. Viele Flüchtlinge überzeugen durch ihr gutes Verhalten und durch ihre Dankbarkeit für die erfahrene Hilfe.

 

7. Was wünschen Sie sich persönlich in der teils aufgeheizten Flüchtlingsdebatte?

Dass es gelingt, den Angstmachern den Wind in der Bevölkerung u.a. auch dadurch aus den Segeln zu nehmen, dass wir nimmermüde für wahrheitsgemäße Informationen über die Flüchtlinge und ihre Fluchtgründe sorgen. Dass die Ängstlichen durch eigene positive Erfahrungen mit Flüchtlingen angstfrei werden und sich für Menschen engagieren, die ihre mehr als triftigen Gründe haben, ihre Heimat in größter Not zu verlassen.

 

Vater Ernst hält unter anderem auch zahlreiche Friedensgebete in allen Neumarkter Kirchen und Freikirchen. Außerdem organisiert er in seinem Arbeitskreis Vorträge und Länderabende. Leider hat die momentane Pandemie die diesjährige Planung etwas durcheinandergewirbelt. Auf der Webseite der Kirchengemeinde Neumarkt finden sie alle Neuigkeiten zu zukünftigen Veranstaltungen.

 

 

David Fuhrmann,

2.6.2020

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Vorträge – Der ZOCD bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal

 

Anfragen sind zu richten an: ZOCD, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 52, info@zocd.de